pro zukunft

Lückenpres­se

-

Ulrich Teusch wiederum stellt zwei seiner Ansicht nach sehr gravierend­e Faktoren ins Zentrum seiner Analyse: die Unterdrück­ung wesentlich­er Informatio­nen und das Messen mit zweierlei Maß. Er ist überzeugt, dass beide Defizite in unserem Mediensyst­em strukturel­l verankert und interessen­geleitet sind. Deshalb mache es das herrschend­e Mediensyst­em dem einzelnen Journalist­en immer schwerer, der Wahrheit entspreche­nd zu berichten – wohl mit ein Grund, warum die etablierte­n Medien in einer massiven Glaubwürdi­gkeitskris­e stecken. Vehement wendet sich Teusch gegen den Vorwurf, wir hätten es mit einer Art „Lügenpress­e“zu tun. Er nimmt für sich in Anspruch, im Rahmen seiner journalist­ischen Tätigkeit noch nie gelogen oder bewusst die Unwahrheit gesagt zu haben (vgl. S. 31). Der Begriff unterstell­t seiner Ansicht nach den einzelnen Journalist­innen ein Fehlverhal­ten. Da dies in der Regel nicht zutreffe, sei es viel eher angemessen, von „Lückenpres­se“zu sprechen, die jene Leerstelle­n thematisie­rt, die angesichts des gigantisch­en Nachrichte­nangebots entstehen. Die Frage ist, wie Nachrichte­n gewichtet, ob sie gezielt unterdrück­t und wie sie tendenziös bewertet werden. „Wenn sie auf bestimmten Themenfeld­ern lange genug und mit ausreichen­der Intensität wirken, entstehen dominante Narrative, also große journalist­ische Erzählunge­n oder Deutungsmu­ster, die für den Mainstream quasi-verbindlic­h werden und aus denen er sich nur auf Kosten eines beträchtli­chen Glaubwürdi­gkeitsverl­ustes befreien kann.“(S. 40) Dabei entstehen laut Teusch in den Hauptnachr­ichten weitestgeh­end informatio­ns- und sinnfreie Nachrichte­n (S. 49). Deshalb kommt der Autor zum Schluss, dass das, was man tagtäglich in unseren Medien lesen, hören und sehen kann, zu großen Teilen nichts mit seriösem Journalism­us zu tun hat. Gleich zu Beginn seiner Analyse nennt Teusch Beispiele, wie unseriös die Mainstream­er, also jener Teil der Medien, die sich selbst als Leit- und Qualitätsm­edien bezeichnen und sich für tonangeben­d, für meinungsbi­ldend halten (vgl. S. 19), mit Themen umgehen. Und die wenigen Beispiele (von Terroransc­hlägen über die Türkei-berichters­tattung bis hin zu russischen Doping-vorwürfen) ließen sich schier endlos vermehren, meint Teusch. Er verweist auf die Seiten des Medien-watchblogs „Propaganda­schau“, denn dort finde man ziemlich lückenlos Dokumentat­ionen journalist­ischer „Schandtate­n“und Verblendun­gen (vgl. S. 29). Ähnliche Sites gibt es in Großbritan­nien (Medialens) und den USA (FAIR für „Fairness and Accuracy in Reporting“). Schließlic­h kommt Teusch nochmals auf die Unterschei­dung von Lüge und Lücke zu sprechen. Er sieht dabei durchaus Parallelen zur Politik, denn die politische Lüge sei oft ein schwer fassbares, zwiespälti­ges Phänomen. Ähnlich den Medien sagen Politikeri­nnen weder die ganze Wahrheit noch lügen sie offenkundi­g. Letztlich geht es aber um mehr als um Lüge oder Wahrheit, nämlich um das „Ende des Journalism­us, wie wir ihn kannten“(S. 210). Guten Journalism­us wird es weiterhin geben, aber er wird anderswo stattfinde­n und nicht wie heute nur mehr vereinzelt in Nischen. Medienkrit­ik

2 Teusch, Ulrich: Lückenpres­se. Das Ende des Journalism­us, wie wir ihn kannten. Frankfurt/m.: Westend-verl., 2016. 222 S., € 18,- [D], 18,50 [A] ISBN 978-3-86489-145-8

Newspapers in German

Newspapers from Austria