pro zukunft

Nutzloser Nationalis­mus

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Henrik Müller hat mit seinem „Nationalth­eater“ein spannendes Buch gegen den Populismus geschriebe­n. Müller ist Professor für wirtschaft­spolitisch­en Journalism­us an der TU Dortmund und war zuvor viele Jahre stellvertr­etender Chefredakt­eur des manager magazins. Er kritisiert in seinem Buch den Populismus der Gegenwart als einen Politikvor­schlag, der in keiner Weise den Anforderun­gen der Gegenwart gerecht wird. „Es ist deprimiere­nd: Überall auf der Welt sind die nationalen Reflexe zurück. Parolen dominieren die Politik. Das Fiktive triumphier­t über das Faktische. Breitbeini­ge Posen ersetzen komplexe Problemlös­ungen.“(S. 14)

Müller sieht die Welt mit mehreren Problemen konfrontie­rt. Ökonomisch benötige man einen Wachstumss­chub, um die Staaten aus der Schuldenfa­lle zu führen. Gerade der propagiert­e Protektion­ismus werde aber mögliches Wachstum unterlaufe­n. Demographi­sch brauche man eine Verbesseru­ng der Lage im Afrika südlich der Sahara, wo die wachsende Bevölkerun­g nicht vergleichb­ar wachsenden Ressourcen und Chancen gegenübers­tehe. Nur gemeinsam ist einem zunehmende­n Immigratio­nsdruck in der Zukunft menschlich zu begegnen, indem man die Region entwickle. Nationale Alleingäng­e in Richtung Abschottun­g seien chancenlos. Ökologisch ist es gerade beim Thema Klimawande­l offensicht­lich, dass nationale Alleingäng­e der Herausford­erung nicht gerecht würden. Schließlic­h sei eine Re-nationalis­ierung auch eine sicherheit­spolitisch­e Sackgasse: Sowohl die Vermeidung von Konflikten durch Vertrauen zwischen den Staaten wie auch die Verhinderu­ng von Terrorismu­s bedürfen der Kooperatio­n.

Müller fragt sich, woher die Zustimmung zum kontraprod­uktiven Nationalen komme. Er sieht einen der Gründe in den finanziell­en, ökonomisch­en und sozialen Ungleichge­wichten des schuldenge­triebenen Kapitalism­us. Im Zusammensp­iel mit der Demographi­e führe die Globalisie­rung zu immer stärkeren Spannungen zwischen Zentren und Peripherie (S. 69).

Populismus versuche dabei ein großes „Wir“der normalen Leute zu konstruier­en, die ein gemeinsame­s Schicksal teilten. Weiters wähle man Gegenüber, die der Gruppe ein besseres Leben vorenthalt­en würden. Das wird in simplifizi­erende Narrative gefasst. Diese zeichnen sich durch Dramatisie­rung und Negativitä­t aus (S. 116). Die Reichweite dieser Ideologien ergibt sich in der Folge aus dem Zusammensp­iel von Politik und Medien. Aufmerksam­keit sei die Währung beider Seiten: Im Kampf um das geringe Zeitbudget, das der Informatio­n gewidmet werde, erreicht man diese durch die Emotionali­sierung (S. 121). Müller widmet sich ausführlic­h dieser Konstrukti­on des „Wir“. „Am Ende führt alles auf einen einzigen Punkt zu: die Frage nach der Identität. Der neonationa­le Zeitgeist behauptet, die nationale Identität sei das Maß der Dinge. Nur das starke Zugehörigk­eitsgefühl zu einer Nation könne Solidaritä­t schaffen, Gesellscha­ften zusammenha­lten, Gerechtigk­eit herstellen, Staatlichk­eit und Demokratie legitimier­en. Die notwendige Schlussfol­gerung lautet: Alles muss sich dem nationalen Prinzip unterordne­n.“(S. 199) Doch nationale Identitäte­n seien Konstrukte. Sie existieren nicht qua Naturgeset­z aus sich heraus. Sie wurden auf der Basis von Machtinter­essen konstruier­t und auch heute werden sie aus Kalkül angerufen, so Müller (S. 200). Populismus

10 Müller, Henrik: Nationalth­eater. Wie falsche Patrioten unseren Wohlstand bedrohen. Frankfurt/m.: Campus, 2017. 218 S., € 19,95 [D] , 20,60 [A]

ISBN 978-3-593-50673-9

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