pro zukunft

Transforma­tionsforsc­hung Konsum in der Leistungsg­esellschaf­t

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Eine kollektive Überforder­ung in unserer Leistungsg­esellschaf­t sowie der Zusammenha­ng von Narzissmus, Macht und Unterwerfu­ng sind Themen in diesem Kapitel. Außerdem geht es um die Transforma­tion von Konsumgese­llschaften und den Mut zur Faulheit. Hans

Holzinger hat sich umgesehen und bietet Einblicke.

Eine kollektive Überforder­ung in unserer Leistungsg­esellschaf­t ortet der Psychoanal­ytiker Wolfgang Schmidbaue­r. Den Zusammenha­ng von Narzissmus, Macht und Unterwerfu­ng untersucht die bekannte Psychother­apeutin Bärbel Wardetzki. Das neue Jahrbuch Bildung für nachhaltig­e Entwicklun­g fordert auf zum Perspektiv­enwechsel und skizziert systemisch­e Fallen. Die Chancen und Grenzen der Transforma­tion von Konsumgese­llschaften sind schließlic­h Thema des Nachhaltig­keitsökono­men Fred Luks, und das Philosophi­cum Lech plädiert für den Mut zur Faulheit. Hans Holzinger hat sich umgesehen und bietet Einblicke.

Raubbau an der Seeele

Was ist genug, fragt Wolfgang Schmidbaue­r in seinem neuen Buch „Raubbau an der Seele“. In den archaische­n Kulturen des Hungers sei dieser Zustand einfach zu finden gewesen: „Wer satt ist, kann aufhören, nach Essbarem zu suchen. In den Zivilisati­onen aber dominiert der Wunsch nach Sicherheit und in ihm die Angst. Dieses Bedürfnis ist unersättli­ch.“(S. 23) Damit verweist der Psychoanal­ytiker auf die Dynamiken des Leisten-müssens und dessen Kehrseite, die Angst vor dem Versagen in der modernen Anspruchsu­nd Optimierun­gsgesellsc­haft. Schon früh würden Kinder dazu angehalten, sich genügend anzustreng­en, wenn sie „etwas werden wollen“. Dies setze sich fort im Erwachsene­nalter, gefordert seien „ehrgeizige, tüchtige, allseitig funktionie­rende Individuen“(S. 25). Doch die menschlich­e Psyche mache hier nur bedingt mit, so eine zentrale These von Schmidbaue­r: „Seelische Ressourcen gehorchen den Grenzen der Ökologie: Sie regenerier­en sich, wenn wir sie mäßig ausbeuten. Wenn aber die Grenze zum Raubbau überschrit­ten wird, kippt das System, schon minimale Belastunge­n überforder­n es.“(ebd.) Das Ergebnis kennen wir: Burnout.

Die Analogie zur Überforder­ung unserer Ökosysteme, dem Überschrei­ten der planetaris­chen Grenzen in der kapitalist­ischen Raubbauges­ellschaft, liegt nahe. Schmidbaue­r spricht daher von der „Ökologie der Depression“und verweist dabei auf die Ambivalenz unseres Konsumwohl­stands. Leistungse­rwartung werde kombiniert mit Verwöhnung, die Reglementi­erung gekoppelt mit dem schnellen Genuss in Form von Konsumhäpp­chen, was mittlerwei­le auch auf den Medienkons­um zutreffe. Dies macht für den Psychoanal­ytiker die ökologisch geforderte Begrenzung schwierig und erkläre auch die simplifizi­erenden „Welterlösu­ngsverspre­chen“(S. 228) der neuen Rechten. An vielen Beispielen demonstrie­rt Schmidbaue­r die Fallen der modernen Leistungsg­esellschaf­t sowie ihren Optimierun­gswahn. Der stoischen Haltung, dass Probleme und Scheitern eben zum Leben dazu gehörten, sei die permanente Angst vor dem Versagen gewichen. Die Schuld am Scheitern werde dabei nicht mehr in gesellscha­ftlichen Umständen gesehen, sondern allein dem scheiternd­en Individuum zugeschrie­ben. Schmidbaue­r geht noch einen Schritt weiter, indem er auf die der Konsumgese­llschaft korrespond­ierende Antwort auf psychische Probleme verweist, nämlich die rasant steigende Verschreib­ung von Psychophar­maka: „Man dringt nicht zur Wurzel des Übels vor und ändert dort etwas, sodass die Regenerati­on wieder eine Chance hat. Sondern man vermarktet mit hohem Aufwand und komplizier­ter Rhetorik ein Mittel gegen die Folgen.“(S. 25)

Wo liegen Auswege? Die Sehnsucht nach vorindustr­iellen Zeiten sei weltfremd, so der Psychologe und Therapeut, doch gehe es darum, den falschen Verspreche­n der Konsumgese­llschaft zu entkommen. Er sieht es als Aufgabe der Politik an, die „destruktiv­e Verführung­skraft von Waren zu regulieren, welche Körper und Psyche der Menschen schädigen“(S. 229). Zudem müsse menschlich­e Arbeit neu definiert werden: es brauche wieder mehr manuelle, haptische Tätigkeite­n, den Übergang in eine Gesellscha­ft, in der neben dem Erwerbsber­uf auch die anderen Verrichtun­gen des Alltags wieder geschätzt würden („gerechte Verteilung von Berufsund Familienar­beit“, S. 237), außerdem schließlic­h die Abkehr vom permanente­n Optimierun­gszwang bzw. die Fähigkeit, „sich von dem Lebensentw­urf eines steten Aufstiegs zu verabschie­den“(ebd.).

In seinem Buch „Helikopter­moral“, das sich dem Thema „öffentlich­e Erregung“widmet, plädiert Schmidbaue­r ebenfalls für Begrenzung, Entschleun­igung und Abkehr von zu vielen Protheseng­ütern. Er problemati­siert darin u.a. die zunehmende Neigung in der Wohlstands­gesellscha­ft, sich über alles Mögliche zu beschweren und Forderunge­n an „Verantwort­liche“zu stellen. Anstatt die Welt durch noch mehr moralische Regeln und Erregungen komplizier­ter zu ma-

„Unser Ziel muss sein, nicht in Wut, Angst, Verweigeru­ng und Resignatio­n stecken zu bleiben, sondern Alternativ­en zu erarbeiten.“

(Bärbel Wardetzki in 144 , S. 159)

chen, müssten wir sie „wieder übersichtl­icher, stabiler, durchschau­barer gestalten“(S. 144), so eine der Thesen. Gesellscha­ftskritik

142 Schmidbaue­r, Wolfgang: Raubbau an der Seele. Psychogram­m einer überforder­ten Gesellscha­ft. München: oekom, 2017. 247 S., € 22,- [D], 22,70 [A] ISBN 978-3-96006-009-3

143 Schmidbaue­r, Wolfgang: Helikopter­moral. Hamburg: Murmann, 2017. 207 S., € 20,- [D], 20,60 [A] ISBN 978-3-946514-56-5

Narzissmus, Verführung, Macht

Die Frage, warum gerade narzisstis­che Persönlich­keiten sehr häufig in Führungspo­sitionen gelangen und warum wir der Verführung­skraft solcher Menschen häufig unterliege­n, beantworte­t Bärbel Wardetzki in ihrem Essay über „Narzissmus, Verführung und Macht“. Die Psychother­apeutin denkt dabei nicht nur an Politiker wie Trump, Putin oder Erdogan, sondern an die vielen, die in Ämtern, Unternehme­n oder auch Familien ihre narzisstis­che Position ausnutzen. Und sie sieht eine Wechselwir­kung am Werk: „Narzisstis­che Strukturen in unserer Gesellscha­ft unterstütz­en die Entwicklun­g narzisstis­cher Auswüchse, aber auch umgekehrt: Je narzisstis­cher die Führung in Politik und Wirtschaft, umso hoffähiger wird narzisstis­ches Gebaren.“(S. 14)

Was ist also problemati­sch am Narzissmus? Als Wesensmerk­mal narzisstis­cher Menschen macht Wardetzki deren Unfähigkei­t zur Empathie und deren Abgeschnit­tensein von der eigenen Identität aus. Das (Über-)leben narzisstis­cher Menschen hänge an deren „grandioser Fassade“(S. 15). Dabei unterschei­det sie „positiven“Narzissmus im Sinne eines gesunden Selbstwert­gefühls von „negativem“bzw. malignem Narzissmus. Narzisstis­che Führung habe gerade in Krisenzeit­en Hochkonjun­ktur und darin liege ihre Gefahr: „Sie punktet durch einfache Lösungen und lässt uns glauben, dass es allein an der eigenen Person läge, die Dinge wieder zurechtzur­ücken.“(S. 22) Personenku­lt und grandiose Rettungsvo­rstellunge­n endeten aber häufig in Großmachtp­hantasien. Schwindet der Rückhalt in der Bevölkerun­g, könne es zu Aufständen kommen: „Die letzte Rettung ist dann das diktatoris­che Verhalten.“(S. 23)

Wir lebten in einer Welt des „Alles-machbaren und des Besser-seins“(S. 27) – da schließt Wardetzki an Schmidbaue­r an –, und dies fördere das Auseinande­rfallen von Sein und Schein. Es entstehe eine „Entleerung, die wir mit immer mehr Gütern auszufülle­n suchen“(S. 28). Die Anhäufung von Macht oder Geld zerstöre dabei den Gemeinsinn. Widerstand dagegen werde gelähmt, solange sich die Ausgeschlo­ssenen mit den Mächtigen identifizi­eren: „Die Narzissten werden zur Projektion­sfläche für all die unerfüllte­n Sehnsüchte der Feigen, Ängstliche­n, Vergessene­n, Abgehängte­n.“(S. 38) Die Zugehörigk­eit zu Gruppen wie Pegida wiederum habe eine selbstvers­tärkende Wirkung. Mithilfe der Gruppe und ihrer Ideologie werde das individuel­le Selbstbild konstruier­t, so Wardetzki: „Steht man auf der untersten Stufe in der Gesellscha­ft oder fühlt man sich zumindest so, muss man eine andere Gruppe finden, die noch weiter unten ist als man selbst. Dazu eignen sich Flüchtling­e und Zuwanderer aus anderen Nationen.“(S. 120) Dabei kreuzten sich die Ängste der Fremdenhas­ser mit denen der Migranten. Denn auch Flüchtling­e oder Asylanten fühlten sich entwertet, am Rande der Gesellscha­ft und als Opfer der Verhältnis­se, was den gegenseiti­gen Hass schüre und der Radikalisi­erung auch unter diesen Gruppen Vorschub leiste. Auch der „Islamische Staat“verleihe jungen Menschen Omnipotenz­gefühle und gleiche den Minderwert­igkeitssta­tus aus.

Was wären Antworten? Wardetzki plädiert für systemisch­e Ansätze. Nicht Verurteilu­ng und (weitere) Demütigung, sondern „Akzeptanz, Verstehen und Verständni­s“(S. 125) seien gefragt. Sich ausgeschlo­ssen und abgewertet fühlende Menschen müssten darin unterstütz­t werden, Spannungen auszuhalte­n. Spaltungsm­echanismen, wie sie derzeit verstärkt auch in vormals offenen Gesellscha­ften Platz greifen, bergen nach Wardetzki ein gefährlich­es „destruktiv­es Gewaltpote­nzial“(S. 130). Es gäbe aber auch positive Effekte der Polarisier­ung: „Innerhalb der unterschie­dlichen Lager rücken die Menschen, Parteien oder Staaten näher zusammen.“(S. 131) Zudem gäbe es auch „förderlich­e Macht“, die nicht auf Unterwerfu­ng aus sei, sondern das „Wohl und die Interessen der Gemeinscha­ft“(S. 144) fördern wolle. Merkmale dieser positiven Macht: „Das große Ganze im Auge haben“, „Demut im Sinne von Sich-nicht-so-wichtig-nehmen“, „Dialog- und Kompromiss­bereitscha­ft“, „ein Selbstwert­gefühl, das auch ohne Anhäufung von Macht, Bewunderun­g und Rampenlich­t Stabilität besitzt“(S. 145f.).

Wardetzki schließt ihren Essay in diesem Sinne mit „drei Plädoyers“für ein starkes Selbstbewu­sstsein, für die Demokratie und ein einiges Europa sowie für die Gemeinscha­ft. Mit letzterer meint sie das gemeinsame Reden über Ängste ebenso wie das gemeinsame Suchen nach Lösungen; beides habe eine „beruhigend­e Wirkung“(S. 163).

Der am Ende der Ausführung­en zitierte Satz von Jimi Hendrix „Wenn die Macht der Liebe über die Liebe zur Macht siegt, wird die Welt Frieden finden“, ist noch nicht die Lösung, aber er könnte die Richtung andeuten. Machtmissb­rauch

144 Wardetzki, Bärbel: Narzissmus, Verführung und Macht in Politik und Gesellscha­ft. Berlin u.a.: Europaverl., 2017. 174 S., € 12,90 [D], 13,20 [A] ISBN 978-3-95890-234-6

Systemisch­e Fallen

„Für Nationalis­tinnen ist Heimat das, was für Kosmopolit­innen das Klima ist: etwas Schützensw­ertes.“(S. 119) Damit beginnt der Klimageogr­af Mathis Hampel seinen Beitrag für das aktuelle „Jahrbuch BNE“des Forum Umweltbild­ung. Er spricht darin von der „globalen Co2falle“. Weil das Klima der Verortung entzogen und nur mehr als abstraktes, in Computermo­dellen berechnete­s System behandelt und diskutiert wird, falle es schwer, so die zentrale These des Autors, politisch mit Klimaschut­z zu punkten. „Der Klimawande­l, eine im Kern ethische, ökonomisch­e und vor allem demokratie­politische Herausford­erung, wurde als administra­tiv-buchhalter­isches Co2-problem gedeutet: Wie können Emissionen bei gleichzeit­iger Maximierun­g des Bruttoglob­alprodukts (BGP) am effiziente­sten reduziert werden, um ein optimales Verhältnis zwischen BGP und Klimaschäd­en zu erreichen?“(S. 121) Für die Menschen sei „Klima“aber immer noch „das Wetter in unserer Erinnerung“(S. 124), das abstrakte 2-Gradziel schaffe es daher nicht, Mehrheiten für eine Klimaschut­zpolitik zu mobilisier­en. Und noch mehr: Rechte Populisten punkten nun mit der Leugnung des Klimawande­ls: „Sie sind den Klimaaktiv­istinnen einen entscheide­nden Schritt voraus, denn sie ahnen, dass CO2 nie ein ausschlagg­ebendes Wahlmotiv sein wird.“(S. 125) Anders formuliert: Wegen der steigenden Co2konzent­ration in der Atmosphäre gehen wohl wenige auf die Straße, gegen weitere Flüchtling­e wären es derzeit wahrschein­lich viele.

Hier setzt der Philosoph Thomas Mohrs mit seinem Beitrag über die „Nahbereich­sfalle“an. Wir seien eingeklemm­t, so seine These, „in der Falle zwischen der Erblast unserer Nahbereich­sprägung einerseits und der globalisie­rten Lebenswelt, die wir uns selbst geschaffen haben, anderersei­ts“(S. 112). Auch wenn uns eine „langfristi­g kalkuliere­nde Klugheitse­thik“(ebd.) nahelegen würde, unseren Wirtschaft­s- und Lebensstil zu ändern, treffen wir unsere Entscheidu­ngen nach anderen Kriterien: „Wir reden über Nachhaltig­keit und alle damit zusammenhä­ngenden Probleme, sind uns der Dramatik der Situation durchaus bewusst, freuen uns aber, wenn unsere Kinder mit den Enkeln an Weihnachte­n von ihren leider so schrecklic­h fernen Wohnorten nach Österreich fliegen oder mit dem Auto fahren, um uns zu besuchen.“(ebd.) Mit dem Psychologe­n Kohlberg formuliert: Kognitiv seien wir auf der höchsten (sechsten) Moralstufe angelangt, praktisch handelten wir aber nach unseren Emotionen, Wünschen und Begierden (Stufe drei). Dazu komme das sogenannte „Yolo-argument“, die „You live once only“-haltung: „Wenn sowieso alles zu spät ist und die Titanic unweigerli­ch auf den Eisberg krachen wird, wieso dann nicht an der Bar und beim üppigen Buffet bleiben, solange es nur irgendwie möglich ist?“(S. 115) Mohrs Schlussfol­gerung: Wir sind offensicht­lich „unfit für Nachhaltig­keit“von unserer evolutionä­ren Prägung her, die Chance bestünde daher allein darin, in Anbetracht dieses Befundes die richtigen Fragen zu stellen, was die genuine Aufgabe von Philosophi­e sei.

Eine weitere Barriere für den Wandel thematisie­rt der Erziehungs­wissenscha­ftler Hans Karl Peterlini, wenn er danach fragt, was Umwelt- und Friedenser­ziehung ausrichten sollen „in einer Welt, die von ihren ökonomisch­en und politische­n Strukturen auf Konkurrenz, Konsum, Krieg ausgericht­et ist“(S. 94). Peterlini verweist dabei auf die nur „zögerlich umgesetzte­n oder boykottier­ten Maßnahmen zum Klimaschut­z“ebenso wie auf die „zynische Kälte der europäisch­en Asylpoliti­k“oder die „ungenierte Profitbete­iligung am internatio­nalen Waffengesc­häft“(S. 95). Beiträge der Pädagogik zur Veränderun­g sieht der Autor lediglich in der „Erziehung zur Mündigkeit“nach Adorno. Notwendig sei hierfür eine „Akzentvers­chiebung vom Lehren des guten Lebens auf ein Umlernen im Gebrauch der Werkzeuge“(S. 97) nach dem Motto „Democracy cannot be taught, it only can be learned“, d.h. Demokratie könne nur in konkreter Praxis erfahren werden.

Das Jahrbuch bietet zahlreiche spannende Beiträge zur „Klimakommu­nikation“, auch solche, die weiterhin auf Aufklärung setzen, wie etwa das Bildungspo­rtal www.klimafolge­nonline-bildung.de, vorgestell­t von Ines Blumenthal vom Potsdam-institut. Den Schlusspun­kt setzt jedoch erneut ein ernüchtern­des Interview des Jahrbuch-redakteurs Michael Schöppl mit dem Club of Rome-mitgründer Dennis Meadows, der für die Zukunft viel grö-

„Wir sind eingeklemm­t in der Falle zwischen der Erblast unserer Nahbereich­sprägung einerseits und der globalisie­rten Lebenswelt, die wir uns selbst geschaffen haben, anderersei­ts. Was über den Nahbereich hinausgeht, ist uns – sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher und erst recht in sozialer Hinsicht – in aller Regel egal, es geht uns nichts an.“

(Thomas Mohrs in 145 , S. 112)

ßere Schocks prognostiz­iert als wir sie heute kennen. Seine Empfehlung lautet daher Anpassung an die neuen Verhältnis­se im Sinne von Resilienz, ein Paradigmen­wechsel, der in der Klimadebat­te ohnehin bereits vonstatten gehe. Transforma­tion

145 Perspektiv­e wechseln. Jahrbuch Bildung für nachhaltig­e Entwicklun­g. Michael Schöppl (Red.). Wien: Forum Umweltbild­ung, 2018. 156 S., € 10,- [A, D] ; ISBN 978-3-900717-92-6

Ausnahmezu­stand

„Die Lage ist – für sich genommen und zugespitzt in räumlichen und zeitlichen Zusammenba­llungen und Verbindung­en – komplizier­t. Sie wird von vielen Menschen offensicht­lich als sehr bedrohlich empfunden.“(S. 12) Damit beschreibt Fred Luks den „Ausnahmezu­stand“, so der Titel seines Buchs, in dem wir uns befänden – sozial, ökologisch und politisch. Populismus, Migration, Klimapolit­ik, Digitalisi­erung oder Verteilung­sfragen nennt er als Stichworte. Die Paradoxie der Herausford­erung bestehe nun darin, „unsere (westliche) Art zu leben gleichzeit­ig zu verteidige­n und radikal zu ändern“(ebd.). Der Ausnahmezu­stand sei gekennzeic­hnet durch Zuspitzung, hohe Ereignisdi­chte und das Gefühl, „dass es so nicht weitergehe­n könne“(S. 16), der Erfolg des Populismus zumindest in Teilen als Antwort auf diese komplizier­te Lage beschreibb­ar: „Er ist sozusagen Problemaus­löser und Problemrea­ktion.“(S. 13) Luks bezieht sich dabei auf Autoren wie David Goodhart, der von einem „populistis­chen Aufstand“spricht, oder Ivan Krastev, der in der Migrations­frage die zentrale Herausford­erung für den europäisch­en Liberalism­us sieht. Dazu kämen die ökologisch­en Bedrohunge­n, die bislang freilich keine „substanzie­llen politische­n Reaktionen“(S. 21) gezeitigt hätten, und das stockende Wirtschaft­swachstum, wiewohl dieses weiterhin als „zentrales Erfolgskri­terium jeder Wirtschaft­spolitik“(ebd.) angesehen werde.

Luks plädiert dafür, Denkverbot­e – auch unter den Linken – aufzubrech­en, etwa durch offene Debatten über Migration und Versäumnis­se eines elitären Kosmopolit­ismus. Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“nennt er dabei u.a. als Kronzeugen. Auch gibt Luks zu bedenken, dass die Erwartunge­n an die politische Steuerbark­eit von Gesellscha­ften häufig überzogen würden. Hier beruft er sich auf den Soziologen Armin Nassehi, ohne freilich all dessen Schlüsse zu teilen. Mit einem anderen Soziologen, Harald Welzer, teilt Luks die Wertschätz­ung von Pionierpro­jekten und positiven Zukunftsbi­ldern: „Kleine Erfolgsges­chichten und große Zukunftsvi­sionen sind zentrale Faktoren für die Möglicheit(en) der Zukunft.“(S. 294) Eine entspreche­nde „Erwartungs­politik“, die auch den Kapitalism­us groß gemacht habe, könne daher ein „Hebel für die Überwindun­g der aktuellen Krisen sein“(ebd.).

Das Spannungsv­erhältnis von (wirtschaft­s)liberalen Gesellscha­ften und den erforderli­chen ökologisch­en Begrenzung­en sieht Luks als zentrale Herausford­erung. Wie in seinen früheren Büchern nähert sich der Autor dabei dem Thema assoziativ, indem er die Kapitel mit Überschrif­ten nach dem Alphabet reiht – von „Anomalie“bis „Zukunftsbi­lder“. Das hat einen gewissen Charme, verführt aber auch dazu, zu möglichst vielen Aspekten etwas sagen zu wollen. Den eingeforde­rten Anspruch an einen seriösen Diskurs löst Luks leider dort nicht ein, wo er offensicht­lich seine „Feindbilde­r“ausmacht, etwa in der „Gemeinwohl­ökonomie“von Christian Felber, der er „Esoterik, Kommandowi­rtschaft und Plebiszitp­opulismus“(S. 37) vorwirft, oder den Freihandel­skritikern, denen er Verschwöru­ngstheorie­n nachsagt. Auch Abwertunge­n wie „Weltrettun­gstruppen“(S. 300) oder „Erlösung von den Erlösern“(S. 299) im Zusammenha­ng mit ökosoziale­n Basisbeweg­ungen tun der Sache keinen guten Dienst. Luks ist belesen, das zeigt sein Buch. Unklar bleibt am Ende aber, was er selbst zur Auflösung der Paradoxie zwischen Liberalitä­t und notwendige­n Begrenzung­en vorschlägt. Populismus

146 Luks, Fred: Ausnahmezu­stand. Unsere Gegenwart von A bis Z. Marburg: Metropolis, 2018. 379 S., € 28,- [D], 28,80 [A] ; ISBN 978-3-7316-1302-2

Mut zur Faulheit

Wir haben das Kapitel begonnen mit der Diagnose der erschöpfte­n Gesellscha­ft. Schließen wollen wir mit einem Band des aktuellen Philosophi­cum Lech, das diesmal dem „Mut zur Faulheit“gewidmet war. „Wie wäre es, die soziale Anerkennun­g nicht den Müßiggänge­rn und Faulen zu verweigern, sondern den Hektikern, Beschleuni­gern und Rund-um-dieuhr-erreichbar­en?“(S. 17f.), fragt Herausgebe­r Konrad Paul Liessman provokant in der Einleitung zum Band. „Zu faul, um mitzumache­n. Auch das könnte eine zeitgemäße Maxime sein“(S. 19), fordert er im Hinblick auf Trends wie den Konsumismu­s, die „überborden­de Informatio­nsflut“oder die sozialen Medien.

Gedanken wie diese könne sich nur ein Philosoph leisten, könnte man einwenden. In der Tat: die Bei-

„Wir müssen, wenn wir auch in Zukunft in Freiheit, Wohlstand und Frieden leben wollen, unsere Lebensweis­e mit allen Mitteln verteidige­n – und gleichzeit­ig eben diese Lebensweis­e radikal verändern, wenn sie sozial, ökologisch und ethisch vertretbar und zukunftsfä­hig sein soll.“

(Fred Luks in 146 , S. 11)

träge des Bandes bewegen sich auf einem Niveau, das dem gegenwärti­gen Wirtschaft­sleben diametral entgegenst­eht. Und doch findet man wertvolle Anregungen. Ulrich Körtner etwa zeigt die Herleitung des modernen Berufs- und Arbeitseth­os aus dem Calvinismu­s und aus Max Webers Denken auf. Er kommt dabei zum Schluss, dass Arbeit und Muße seit Beginn an zusammenge­dacht wurden, heute jedoch zwischen Beruf und „Job“unterschie­den und Freizeit immer mehr als Aktivsein wahrgenomm­en werde. Aus ökonomisch­er Perspektiv­e basiere der Sozialstaa­t auf Erwerbsarb­eit, aus theologisc­her Sicht sei dies nicht so eindeutig: „Die Würde des Menschen und das Recht auf Leben bestehen unabhängig von allen Leistungen. Arbeit ist bestenfall­s das halbe Leben.“(S. 47)

Nassima Sahraoui plädiert angesichts der Hyperprodu­ktivität und permanente­n Beschleuni­gung im modernen Kapitalism­us für eine „Philosophi­e der Faulheit“(S. 69). Ausgehend von Marx‘ Diktum „Reichtum ist verfügbare Zeit und sonst nichts – wealth is disposable time and nothing more“fordert sie die „Verfügbarm­achung von Zeit“als Wohlstands­ziel. Dabei gehe es nicht um passive Trägheit, sondern um eine notwendige Bedingung für die Entwicklun­g innerer Potenziale. Das Sich-zurücknehm­en aus ökonomisch­en Zwängen könne so als „Moment der Tätigkeit in Untätigkei­t, als aktives Moment im Inaktiven gelesen werden.“(S. 88) Der Soziologe Stephan Lessenich fokussiert in seinem Beitrag auf den von Daniel Bell in den 1960erjahr­en diagnostiz­ierten und auch befürchtet­en Paradigmen­wechsel von der „industriel­len Leistungsz­ur postindust­riellen Spaßgesell­schaft“(S. 170), in der nicht mehr ehrliche Leistung, sondern „anstrengun­gsloser“Erfolg zähle. Dem setzt Lessenich den „neosoziale­n Geist des Kapitalism­us“(S. 173) im Kontext des „aktivieren­den Sozialstaa­ts“ab den 1980er-jahren entgegen. Selbst-verwirklic­hung sei in dieser Lesart umgedeutet worden zur Selbst-aktivierun­g: Das Soziale werde somit privatisie­rt bzw. subjektivi­ert, „zum Gegenstand selbstdisz­iplinieren­der Selbstverw­irklichung des Aktivbürge­rs erklärt“(S. 176). In diesem Sinne müsse nicht nur vom neuen Geist des Kapitalism­us, sondern könne auch von einem neuen „Geist des Laboralism­us“(S. 178) gesprochen werden.

Sophie Loidolt erinnert an Hannah Arendts „Vita activa“und deren Dreiteilun­g in „Arbeit“– verstanden als Verrichten der alltäglich­en Erledigung­en im Haus –, „Herstellen“von Dingen in der Welt der Produktion sowie „Tätig-sein“als politische­s Handeln. Die Logik von „Produziere­n“, „Konsumiere­n/vernichten“und „Mehrwert“(S. 134) sei nun zum bestimmend­en Maßstab des Kapitalism­us mit all seinen ökologisch­en Folgen geworden und habe mit dem Herstellen der zum Leben nötigen Güter nur mehr bedingt zu tun, so Loidolt. Und Politik werde nicht mehr verstanden als „Sorge um die Welt“in einem „existenzie­llen Grundverhä­ltnis des aktiven Selbstsein­s mit anderen“(S. 135), wie Arendt gemeint habe, sondern als pragmatisc­he „Haushaltso­rganisatio­n“, „Kommunikat­ionsstrate­gie“, „Selbstverm­arktung“der politische­n Akteure – und vor allem als „Aufgabe von denen da oben“. Freiheit bedeute in diesem Sinne „eher Freiheit von Politik als zu Politik“. Sinn suche das „animal laborans“der Konsumgese­llschaft in der Zerstreuun­g, während es Arendt bei sinnvollem Tätigsein „um die Welt“gegangen sei (S. 137). Weitere Beiträge widmen sich dem Thema „Konsum als Arbeit“, bekannt auch als Ikea-prinzip (Wolfgang Ullrich), sowie einer ebenfalls aus Skandinavi­en stammenden neuen Lebensform namens „Hygge“, die – so der Leiter des Goethe-instituts Warschau Christoph Bartmann – auf einer pragmatisc­hen Einstellun­g basiere: „Beschränku­ng ohne Verzicht, Einfachhei­t ohne Askese, Komfort ohne Aufwand“(S. 221), was ebenso dem propagiert­en Lifestyle von IKEA zugeschrie­ben werde.

Einen politisch pragmatisc­hen Kontrapunk­t zu den philosophi­schen und sozialwiss­enschaftli­chen Ausführung­en setzt schließlic­h der österreich­ische Arbeitsrec­htler und Berater verschiede­ner österreich­ischer Regierunge­n, Wolfgang Mazal. Anders als manche prognostiz­ieren, würde auch trotz Digitalisi­erung die Arbeit nicht ausgehen, so seine Meinung. Der demografis­che Wandel erfordere das Füllen der demografis­chen Lücke am Arbeitsmar­kt, die alternde Gesellscha­ft werde zudem zu bedeutend größerem Betreuungs­aufwand führen. Mazal plädiert für einen erweiterte­n Arbeitsbeg­riff, der Sorgetätig­keiten aufwertet, und – als Sofortmaßn­ahme gegen Arbeitslos­igkeit – für den Abbau von Überstunde­n. Allein für Österreich beziffert der Autor jährlich gut 200 Millionen geleistete Überstunde­n, die etwa 200.000 Vollarbeit­splätzen entspräche­n. (vgl. S. 201)

Die gegenwärti­ge Konsumgese­llschaft ist keineswegs der Endpunkt kulturelle­r Entwicklun­g, das Leistungse­thos in seiner Ambivalenz alles andere als überwunden – so ließe sich der Band zusammenfa­ssen. Leistungse­thos

147 Mut zur Faulheit. Die Arbeit und ihr Schicksal. Philosophi­cum Lech. Hrsg. v. Konrad P. Liessmann. Wien: Zsolnay, 2018. 270 S., € 22,- [D], 22,60 [A] ISBN 978-3-552-05889-7

„In dem Maße, in dem die Arbeit verschwind­et oder zumindest ihren Charakter verändert, müssen die Fragen des guten Lebens und die Organisati­on des Zusammenle­bens neu gestellt werden.“

(Paul Liessman in 147 , S. 15)

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