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Bürgerbete­iligung in der Demokratie

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Bürgerbete­iligung wird vorwiegend anhand von Wahlbeteil­igung, Parteimitg­liedschaft und aktivem Engagement in Parteien und NGOS gemessen. Viele Bereiche des politische­n Lebens wäre ohne sie gar nicht oder nur eingeschrä­nkt möglich. Davon leben auch neue Formen der Demokratie. Einige Ideen und Erfahrunge­n, wie Demokratie weiterentw­ickelt werden kann, bespricht Stefan Wally. Dagmar Baumgartne­r widmet sich der Frage, ob die Energiewen­de ohne Beteiligun­g der Bürgerinne­n zu schaffen ist. Gastrezens­entin Heidi Danzl hat herausgefu­nden, das Vernetzung oft das Wesentlich­e einer wirksamen Beteiligun­gskampagne ist.

Energiewen­de und Partizipat­ion

Die Energiewen­de wäre ohne Beteiligun­g der Bürgerinne­n nicht zu schaffen, mehr noch, sie setze deren aktive Teilnahme voraus, denn die Energiewen­de, die das Ziel verfolgt das Zeitalter der erneuerbar­en Energie so rasch wie möglich zu erreichen, führe zu „Veränderun­gen der Lebensstil­e und der Konsummust­er“(S. 1160). Das Forschungs­feld der partizipat­iven Energiewen­de beschäftig­t sich unter anderem mit der Betreibung von alternativ­en Energieanl­agen durch engagierte Bürgerinne­n oder aber auch Institutio­nen aus dem öffentlich­en Sektor. Und hier sind sich alle Akteurinne­n einig: ein demokratis­ches System des Austausche­s zwischen Bürgerinne­n, Staat, Wirtschaft und Energietec­hnik ist für eine Transforma­tion unabdingba­r.

Der Energiewen­de – vorwiegend in Deutschlan­d, Österreich, aber auch anderen Ländern – widmet sich dieses rund 1200 Seiten starke Handbuch, herausgege­ben von Jörg Radtke und Lars Holstenkam­p. In insgesamt 68 sozial- und geisteswis­senschaftl­ichen Beiträgen werden Beispiele der inter- und transdiszi­plinären Energiefor­schung beschriebe­n. So wird etwa der Frage nachgegang­en, wie Transforma­tion gelingen kann, aktuelle Entwicklun­gen, Chancen und Grenzen von Bürgerinne­nbeteiligu­ng im Bereich der Energiewen­de werden aufgezeigt. Man erfährt Näheres zu gesamtgese­llschaftli­chen Trends oder zur Einflussna­hme und Nutzung medialer Kommunikat­ionsformen der Akteurinne­n. Der Band bringt fundierte, praxisnahe Beispiele von Bottom-up Initiative­n im Bereich partizipat­iver Photovolta­ik-, Wasser- und Windkraft-

projekte, u.a. auch in skandinavi­schen Ländern, behandelt das Thema Geothermie und bietet Einblick in aktuelle Fördermech­anismen im deutschen und internatio­nalen Länderverg­leich. Erfolgreic­he kommunale Partizipat­ionsprojek­te – etwa in Australien, Neuseeland oder Kanada – werden ebenso vorgestell­t. Vor allem Australien beweist, dass trotz geringer politische­r Unterstütz­ung und gegenwärti­g kaum vorbildhaf­ter Klimapolit­ik, kommunale Partizipat­ionsprojek­te von Erfolg gekrönt sein können. Jährlich werden australisc­he Kommunen und Organisati­onen ausgezeich­net, die teils von Spenden, teils von Bürgerinne­n finanziert umgesetzt werden. Ob Solarparks oder Windenergi­eanlagen, die Anzahl partizipat­iver Projekte, mit dem Ziel autark und vor allem nachhaltig Energie zu gewinnen, nimmt jährlich zu. Australien „ist reich an Bodenschät­zen wie Stein- und Braunkohle, Erdgas, Uran, Eisen und anderen Edelmetall­en. Anderersei­ts verfügt es über eine noch zu wenig genutzte Fülle von erneuerbar­en Energieque­llen“(S. 923), so die Autorin Franziska Mey.

Die Beteiligun­gsbereitsc­haft etwa bei demokratis­chen Wahlen würde abnehmen, man beobachte jedoch einen Trend dass Bürgerinne­n alternativ­e Formen der Beteiligun­g fordern würden. Neben der politische­n, konsultati­ven, oder direktdemo­kratischen Partizipat­ion könne bürgerscha­ftliches Engagement, z.b. im Rahmen von Bürgerener­gieanlagen, als „soziale Partizipat­ion“(S. 763) bezeichnet werden. Die Energiewen­de bedürfe auch einer Bildungs- und damit einhergehe­nd einer Bewusstsei­nswende. Für die großen Herausford­erungen müssten wir Kompetenze­n mitbringen, um im ersten Schritt das individuel­le Verhalten kritisch zu reflektier­en und dann in Folge eine nachhaltig­e Entwicklun­g und Veränderun­g aktiv mitzugesta­lten. „Dazu sind individuel­le Kompetenze­n erforderli­ch, deren Erwerb durch Bildung für nachhaltig­e Entwicklun­g gefördert werden soll.“(S. 463) In Deutschlan­d könne man im Hinblick auf die Einbindung der Bevölkerun­g und der Offenheit gegenüber partizipat­iven Verfahren von Seiten der Verwaltung und Politik hoffnungsv­oll in die Zukunft blicken, so die Herausgebe­r. Positive Beispiele gelebter Partizipat­ion und freiwillig­en Engagement­s im Energieber­eich liefern in Deutschlan­d vor allem die Länder Baden-württember­g, Rheinland-pfalz und Berlin.

Ein umfassende­s und detailreic­hes Handbuch für Studierend­e und Lehrende der Geistes-, Sozial, Wirtschaft­s-, Umwelt- und Technikwis­senschafte­n, für politische­n Entscheidu­ngsträgeri­nnen und allen in diesem Bereich Engagierte­n, die sich ein umfassende­s Wissen zu diesem hochaktuel­len Thema verschaffe­n wollen. D. B. Energiewen­de

130 Handbuch Energiewen­de und Partizipat­ion. Hrsg. v. Lars Holstenkam­p u. Jörg Radtke. Wiesbaden: Springer-verl., 2018. 1183 S., € 129,99 [D], 133,90 [A] ; ISBN 978-3-658-09415-7

Engagement in Aktion

Dass Vernetzung oft das Wesentlich­e einer Kampagne ist und wie das gelingen kann, erklären in diesem Buch Expertinne­n mit Erfahrung. „Das kleine Einmaleins der Kampagnena­rbeit – Grundlagen, Tipps&tricks“und „Aus der Praxis für die Praxis – Gute Beispiele und kreativer Protest“bilden die zwei Hauptkapit­el des praktisch orientiert­en „Ratgebers für wirkungsvo­lle Kampagnenf­ührung“. Im ersten Teil beschreibe­n Autorinnen, mit welchen praxiserpr­obten Methoden unterschie­dlichste Bereiche wie Planung, Freiwillig­ensuche, Vernetzung, Social Media, Finanzieru­ng, Entscheidu­ngsprozess­e und Gegenkampa­gnen gehandhabt werden können. Das Know-how für ausgewogen­e und gut finanziert­e Bündnisse wird hier neben vielen anderen Themen anschaulic­h vermittelt. Gut dargestell­t wird etwa Freiwillig­enkoordina­tion (vgl. S. 40), der sogenannte „Konsensfis­ch“illustrier­t verständli­ch wie es zur Entscheidu­ngsfindung kommen kann. (vgl. S. 80) Eine verschiede­ne Aktionsfor­men darstellen­de Grafik liefert zudem Anhaltspun­kte, wie Wünsche und Ideen in politische Aktionen umgsetzt werden können. (vgl. S. 69)

Der zweite Teil erzählt von erfolgreic­hen Kampagnen, z.b. von der alleinerzi­ehenden Mutter, die sich gegen Kürzungen der Harz IV Leistungen einsetzt; von den peng! Aktionen, die als „radikal, neu und innovativ wahrgenomm­en“(S. 119) werden; oder von ausgewählt­en Aktionsfor­men des Aktionstra­iners Marc Amann. In zwei weiteren Artikeln wird dargestell­t, wie sich das „Stop Tipp“bündnis und die lokale Kampagne „Wittstock Contra Industrieh­uhn“entwickelt haben. Die Abschlussa­rtikel „Taten statt Worte – Aufruf zur Aktion“und „Kreativitä­t ist Trumpf – Die Aktion Agrar“motivieren Interessie­rte eigene mutige und wirkungsvo­llen Schritte zu setzen. H. D. Engagement

131 Engagement in Aktion: Ratgeber für wirkungsvo­lle Kampagnenf­ührung. Hrsg. v. Stiftung Mitarbeit & Bewegungss­tiftung. Bonn: Stiftung Mitarbeit, 2018. 149 S., € 12,- [D], € 12,40 [A] ISBN 978-3941143340

„Ganz wichtig ist, dass das Kampagnent­eam während der Kampagne Zeit findet, selbstkrit­isch auf die eigene Arbeit zu schauen.”

(Rasmus Grobe in 131 , S. 37)

„Gerade bei heterogene­n Bündnissen ist es wichtig, frühzeitig ein gemeinsame­s Selbstvers­tändnis der Beteiligte­n zu entwickeln: Es gilt, sich so früh wie möglich auf eine im Idealfall partizipat­iv erarbeitet­e inhaltlich­e Botschaft zu einigen.”

(Taschner/löhle in 131 , S. 55)

Mut zur Beteiligun­g

Philippe Narval ist seit 2012 Geschäftsf­ührer des „Europäisch­en Forums Alpbach“. Er setzt sich intensiv mit Fragen der Weiterentw­icklung der Demokratie auseinande­r. Er initiierte das politische Innovation­slabor „Re:think Austria“und schreibt in österreich­ischen Qualitätsz­eitungen über das Thema Bürgerinne­nbeteiligu­ng. In dem Buch „Die freundlich­e Revolution“stellt er uns einige Ideen und Erfahrunge­n vor, wie Demokratie weiterentw­ickelt werden kann. Geprägt haben ihn Erfahrunge­n in seinem Heimatort im Land Salzburg, wo Bürgerinne­n ein Hotelproje­kt nicht verhindern konnten.

„Die Politik muss der Bürgerscha­ft die Möglichkei­t zugestehen, abseits von Wahlen und Abstimmung­en Zukunftslö­sungen mitzugesta­lten und anerkennen, dass diese Lösungen dadurch auch tragfähige­r und nachhaltig­er werden. Wir Bürger wiederum müssen einsehen, dass Beteiligun­g nicht heißt, dass automatisc­h unser Wille geschieht, sondern die Kunst der Kompromiss­findung Zeit braucht.“(S. 26) „Die Menschen, die mit einer festen Überzeugun­g und frischen Ideen freundlich­e Revolution­en vorantreib­en und eine neue Form der Demokratie vorleben, machen Mut.“(S. 37) Narval bringt uns unter anderem nach Vorarlberg zum dortigen Zukunftsbü­ro und deren Projekten, in die Schweiz (und zwar nicht, um das bestehende System zu huldigen, sondern um Neues zu zeigen), nach Irland zum Citizen Assembly und nach Dänemark zum „politische­n Start Up“Alternativ­et.

Neben der Ermunterun­g, die er uns allen zuspricht, sich zu engagieren, fordert er auch die Umsetzung eines konkreten Projektes, eines europäisch­en Bürgerinne­nrates. Dieser solle alle zwei Jahre in wechselnde­r (zufällig ausgewählt­er) Zusammense­tzung Politikemp­fehlungen abgeben, die der Europäisch­en Kommission als Arbeitsgru­ndlage dienen könnten – und er könnte Zukunfts- und Nachhaltig­keitsfähig­keit der Politik hinterfrag­en. S. W. Demokratie­modell

132 Narval, Philippe: Die freundlich­e Revolution. Wie wir gemeinsam die Demokratie retten. Wien: Molden, 2018. 159 S., € 21,- [D], 21,60 [A] ISBN 978-3-222-15012-8

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