Die Alpen als Naturspektakel
Die europäische Großregion Alpen ist Lebensraum, Naturspektakel und touristischer Magnet in einem. In den Alpen treffen Sehnsüchte nach Ruhe und Ursprünglichkeit auf Inszenierung, ökologische Zerstörung und urbanes Wachstum. Jährlich werden sie von Millionen Menschen besucht, die auf der Suche nach Entspannung, Spaß und Freude in unberührter Natur sind. Doch wie sieht die Zukunft der Alpen aus, was wären Perspektiven für einen nachhaltigen Alpentourismus und wie könnte der Begriff „Eu-gipfel“gedeutet werden, wenn man bergsteigerisch ambitioniert ist? Diesen Fragen spürte Dagmar Baumgartner nach.
Für ein gutes Leben in den Alpen
Der moderne Mensch hat eine stetig wachsende Sehnsucht nach Urtümlichkeit, vor allem aber nach unberührter Natur; Ruhe und Einzigartigkeit inklusive. Doch „je mehr wir durch technische Mittel die Natur verändern oder gar zerstören, so hat es den Anschein, desto verzweifelter klammern wir uns an das Bild der unberührten bzw. intakten Natur, das seit der Romantik die Sehnsucht nach dem Alpinen antreibt.“(S. 33) Der höchste und längste Gebirgszug Europas ist eine touristische „Sehnsuchtsdestination“(S. 11), zunehmend beeinflusst von der Zerstörung ökologischer Grundlagen durch Mobilität, urbanem und wirtschaftlichem Wachstum.
Die Un-konferenz in Rio de Janeiro 1992 rückte den Begriff „Nachhaltigkeit“in Hinblick auf Bewahrung und Schonung von Umwelt und Kultur verstärkt in unser Bewusstsein. 2015 erklärte die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Jahr 2017 zum „International Year of Sustainable Tourism for Development“. Dies nahmen die beiden Salzburger Kommunikationswissenschaftler Kurt Luger, Inhaber eines Unesco-lehrstuhls „Kulturelles Erbe und Tourismus“, und Franz Rest zum Anlass, einen umfangreichen Band herauszugeben. Er bietet 35 interdisziplinäre Beiträge aus Theorie und Praxis zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Alpenraumes, stets mit kritischem Blick auf die Vereinbarkeit der Interessen auf den Ebenen der Wirtschaft, der Kultur und der Umwelt. Eckpunkte eines nachhaltigen Tourismus wären, so die Herausgeber, eine langfristig ausgelegte und somit ressourcenschonende Planung, kulturelle Verträglichkeit mit „Respekt gegenüber den lokalen Konventionen und Riten“(S. 33), soziale Ausgewogenheit durch regionale
„Je mehr wir durch technische Mittel die Natur verändern oder gar zerstören, so hat es den Anschein, desto verzweifelter klammern wir uns an das Bild der unberührten bzw. intakten Natur, das seit der Romantik die Sehnsucht nach dem Alpinen antreibt.“
(Luger/rest in 133 , S. 33)
Partizipation, ökologische Tragfähigkeit durch verantwortungsbewusstes Handeln, ein hoher Grad an regionalwirtschaftlicher Sinnhaftigkeit und die Schaffung von Arbeitsplätzen für die regionale Bevölkerung.
Teil eins des Bandes widmet sich den Berghöhen und deren Überwindung, somit auch den Bergsteigerinnen. Die Geschichte des alpinen Bergsteigens ist nicht nur eine männliche. Dies zeigt ein Beitrag, der sich den ersten Alpinistinnen widmet, für die es damals eine größere Herausforderung gewesen sein muss, das Haus zu verlassen und – kaum weniger kraftvoll als ihre männlichen Kollegen – die Gipfel zu erklimmen. Die Erreichbarkeit der Berge und die bequeme Überwindung der Höhen sind wesentliche Faktoren im Tourismus. Bergsteigerischer Hochalpinismus ist wirtschaftlich betrachtet nicht massentauglich und somit nicht rentabel. Die Seilbahnwirtschaft erfreut sich im Gegensatz dazu einer bedeutenden volkswirtschaftlichen Position, bescherte sie doch den Alpenländern den halbschuhbekleideten Massentourismus. Die alpine Massenbeförderung boomt und investiert trotz stagnierender Skifahrerzahlen weiterhin. Robuste wirtschaftliche Zuwächse gibt es allerdings nur noch in hochalpinen Skigebieten. Innovative und gleichzeitig nachhaltige Konzepte sich „vom Schnee unabhängiger zu machen, beschäftigen die gesamte Branche seit Jahren ohne große Ergebnisse“(S. 28). Zudem erwartet man einen Temperaturanstieg, bedingt durch den Klimawandel und damit einhergehend eine Zunahme der touristischen Hitzeflüchtlinge in höher gelegene Gebiete. Gerade deshalb bedarf es nachhaltiger Konzepte, um diesen Szenarien langfristig und nachhaltig zu begegnen.
Orte guten Lebens
Der zweite Teil widmet sich dem Thema „Räumliche Entwicklung – Orte guten Lebens bewahren und schaffen“. Fundiert und praxisnah werden folgende Fragen beantwortet: Welche planerischen Strategien und Konzepte sind geeignet und notwendig um dem nötigen Lebensraum für Mensch, Fauna und Flora gerecht zu werden? Von welchen Modellen können wir lernen, wie kann die Bevölkerung mit eingebunden werden und was sind die Perspektiven?
Zur kulturellen und damit eng verbunden wirtschaftlichen Perspektive, mit dem sich Teil drei „Transformation und Inwertsetzungen“beschäftigt: Alpentourismus ist ein wesentlicher Wirtschaftsmotor. Er hat Wohlstand in die Regionen gebracht, dadurch hat sich das Leben in den Alpen deutlich verändert; nicht nur das bäuerliche, auf das im ersten Beitrag anhand eines persönlichen Berichts eines Jung- und Altbauern Bezug genommen wird. Dass der wachsende Tourismus übrigens auch die Entstehung und Entwicklung von Nationalparks im 19. Jahrhundert durchaus positiv beeinflusst hat, was die Salzburger Festspiele an wirtschaftlicher und kultureller Wertschöpfung leisten, und warum das Land Salzburg eine besondersg es und heitsfreundlic he Region ist, wird in diesem Abschnitt ebenfalls thematisiert. „Emotionale/ imaginäre Geographie–Raum wahrnehmungen“schildert als vierter Teil die Entwicklung der Tourismuswerbung vom 19. und frühen 20. Jahrhundert bis heute und thematisiert u.a. das crossmediale Tourismusmarketing anhand der Darstellung der Marken „Almsommer“und „Bauernherbst“und informiert über die Etablierung einschlägiger Produkte wie „alpines Weitwandern“. Ebenso erfahren wir, wie Musikerinnen wie z.b. Hubert von Goisern als „Botschafter der Alpen“aktiv sind und welche Rolle Berge in der Kunst spielen.
Kurt Luger und Franz Rest zeigen mit diesem Band eine Vielfalt an Perspektiven und Lösungsansätzen auf. Sie zielen darauf ab, Nachhaltigkeit im Tourismus mit all seinen Auswirkungen auf Leben und Umwelt inder Region zu gewährleisten. Fazit: Es bedarf vielschichtiger, interdisziplinärer Anstrengungen und innovativer Konzepte, um unseren Alpen raum zu schütze nun dein gutes Leben zu sichern. Ein sehr empfehlenswerter Band mit Beiträgen u.a. von Kurt Diemberger, Werner Bätzing und Astrid Rössler. Alpentourismus
133 Alpenreisen. Erlebnis, Raumtransformationen, Imagination. Hrsg. v. Kurt Luger und Franz Rest. Innsbruck: Studienverl., 2017. 695 S. (Tourismus: transkulturell & transdisziplinär; Bd. 11) € 49,90 [D, A] ; ISBN 978-3-7065-5652-1
Die Alpen als Frühwarnsystem
Die ökologische, kulturelle und wirtschaftliche Situation der Alpen ist, so der bekannte Alpenforscher Werner Bätzing, eng verwoben mit den Problemen der modernen Welt und Spiegelbild unseres Lebensstils. Im Mittelpunkt seiner Streitschrift steht die Wechselwirkung zwischen dieser modernen Welt und den Alpen. Er formuliert grundlegende Probleme der Alpenregion: so hätten die Alpen gegenüber den Wirtschaftsmetropolen keine Bedeutung mehr, sie seien nur noch „Ergänzungsraum der Metropolen, in den hinein all das verlagert wird, wofür in den großen Zen-
tren kein Platz mehr ist“(S. 11). Urbanisierung und Zersiedelung ließen alpine Kulturräume und -landschaften mitsamt ihren Lebens- und Wirtschaftsformen verschwinden, somit auch die „vielfältigen Umwelterfahrungen“(S. 12), wie man die Alpen ressourcenschonend und regionalspezifisch nutzen könnte. Arbeitsplätze würden lediglich rund 300 Tourismuszentren bieten, kleinere Orte wurden hingegen wirtschaftlich vom Markt verdrängt; demzufolge würden zwei Drittel der Bevölkerung in den verstädterten Alpenregionen leben und arbeiten, mit dem Ergebnis, dass die Alpen in „verstädterte Gebiete und Wildnisgebiete“(ebd.) zerfallen. Als Alternative nennt der Autor eine Nutzung der Alpenressourcen auf dezentraler Ebene, die sozial verträglich und regional und qualitativ vor sich gehen müsste. Eine lesenswerte Streitschrift mit Lösungsansätzen, die vor allem eines in den Mittelpunkt stellt: Die Alpen bedürfen keiner Sonderbehandlung in Zeiten der Globalisierung. Sie zeigen uns vielmehr die zentralen Probleme der modernen Welt und des aktuellen wachstumsorientierten Wirtschaftens auf und stellen somit ein „Frühwarnsystem für Europa“(S. 130) dar. Regionalentwicklung
134 Bätzing, Werner: Zwischen Wildnis und Freizeitpark. Eine Streitschrift über die Zukunft der Alpen. Zürich: Rotpunktverl., 2017. 145 S., € 12,00 [D, A] ISBN 978-3-85869-648-9
Die Höhepunkte der EU
Die meisten denken bei dem Begriff „Eu-gipfel“wohl in erster Linie an offizielle Treffen von Staats- und Regierungschefs. Es gibt jedoch auch Menschen, die mit diesem Begriff die höchsten Berge der Europäischen Union assoziieren. Wolfgang Machreich hat beides im Sinn. Kein Wunder, war schon sein Lieblingsbuch in der Schule ein Atlas, den Großglockner bestieg er erstmals im zarten Alter von vierzehn Jahren und Eu-politisch kennt er sich als Mitarbeiter des Eu-parlaments ebenso gut aus. So lag es für ihn nahe, den Begriff „Eu-gipfel“nicht nur auf Brüsseler Zusammenkünfte zu beschränken, sondern ihn „beim Wort zu nehmen“. Also begab er sich auf den Weg zu den „28 Höhepunkten Europas, auf die man stehen muss“.
Seine Erzählung startet in Dänemark. Bei der höchsten Erhebung Dänemarks handelt es sich übrigens nicht um einen Berg, sondern um die Pylonen der Storebaelt Brücke mit einer Höhe von 254 m. Aber die will Machreich nicht gelten lassen. Møllehøj heißt der höchste Berg des Landes, der aus alpinistischer Sicht mit seinen 170,86 m freilich ein Hügel ist. Beim Lesen entsteht jedenfalls der Verdacht, dass im Flachland das Prinzip der vertikalen Knappheit ernst genommen wird, denn bis auf den letzten Zentimeter werden die höchstgelegenen Gipfel akribisch verteidigt. Zu Recht, denn dem einstigen höchsten Berg Dänemarks wurde 1848 der Titel aberkannt, nachdem man festgestellt hat, dass er 1,58 m niedriger ist als ursprünglich vermessen.
Sein Vorhaben führt den Autor quer durch Europa, in die drei baltischen Staaten, auf den westlichsten Eu-gipfel, welcher sich auf den Azoren befindet, und auf den dritthöchsten Berg der EU, den Vulkan Pico del Teide (3718 m) auf Teneriffa, der geologisch dem afrikanischen Kontinent zuzuordnen ist. Machreich stellte sich seiner Angst vor Bären in den Julischen Alpen Sloweniens, Zeus und Co begegnete er auf dem Olymp. Man staunt, dass die höchste Erhöhung Belgiens immerhin 694 m aufweist und jene Ungarns 1014 m. Einzig die Gipfelbesteigung auf den höchsten Berg Zyperns war nicht von Erfolg gekrönt. Schuld daran war weder eine mythische Gottheit noch ein Wetterumschwung, sondern ein Beamter der Royal Navy, der ihm den Weg verwehrte, denn der Gipfel des 1952 m hohen Olympos befindet sich in militärischem Sperrgebiet. Spektakulär war die Besteigung des rumänischen Moldoveanu (2544 m), wo dem Autor ganze 17 m zum Gipfel fehlten als er Gefahr lief, mit seinen Skiern „in ein 30 Kilometer langes, im Winter völlig menschenleeres Niemandstal“(S. 125) abzustürzen. Voller Angst machte er kehrt, um zwei Jahre später bei deutlich weniger Schnee den Moldoveanu erneut – ohne Ski und diesmal erfolgreich – zu erklimmen. Als Krönung bestieg Macheiner auch den Mont Blanc, den höchstgelegenen Gipfel der EU, mit 4810 m. Sein Ziel, die Eu-gipfel mit der schönsten Aussicht zu erklimmen, könnte Thema seines nächsten Projektes sein.
Machreich erzählt humorvoll, pointiert und kurzweilig über sein außergewöhnliches Unterfangen, welches er als „Liebeserklärung an Europa und seine Erhebungen und Berge“bezeichnet. Ein empfehlenswerter politisch-geographischer Reiseführer, der Lust darauf macht, die 28 Eustaaten auf diese ganz besondere Weise kennenzulernen. Wandern: Europa
135 Machreich, Wolfgang: Eu-gipfel. 28 Höhepunkte Europas, auf die man stehen muss. Magdeburg: traveldiary Verl., 2016. 198 S., € 14,80 [D], 15,30 [A] ISBN 978-3944365-87-9
„Wenn sich die gegenwärtigen Entwicklungen weiter fortsetzen, wird die Zukunft der Alpen furchtbar – die Alpen zerfallen nur noch in verstädterte Gebiete und in Wildnisgebiete.“
(Werner Bätzing in 134 , S. 14)