pro zukunft

Die Welt mit anderen Augen sehen

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Zwei Bücher verfechten die Grundideen der Aufklärung und Wissenscha­ft. Zwei weitere Bände beschäftig­en sich mit Innovation­smanagemen­t und Physik. Alle Beiträge hinterfrag­en gängige Meinungen, bieten neue Sichtweise­n und ermögliche­n die Welt mit neuen Augen zu sehen. Stefan Wally und Winfried Kretschmer liefern einen Überblick.

Steven Pinkers Buch, dessen Bedeutung wir schon anlässlich des Erscheinen­s der englischen Ausgabe betont haben (prozukunft 2018/2), löst nun auch im deutschspr­achigen Raum wichtige Debatten aus. Pinker setzt Zustände in Perspektiv­e, sieht langfristi­ge Entwicklun­gen und urteilt auf der Basis der erkennbare­n Dynamik. Und diese Entwicklun­gen sind für ihn gut. Vernunft, Wissenscha­ft, Hu-

manismus, Fortschrit­t und Marktwirts­chaft bringen die Menschheit voran.

Nehmen wir den Bereich Ungleichhe­it. Pinker bezieht sich hier stark auf die Entwicklun­gen, die Bruno Milanovic (prozukunft 2017/1) für die vergangene­n 30 Jahre skizziert hat. Diese zeigen bekanntlic­h erhebliche Einkommens­zuwächse für sehr gut, aber auch für unterdurch­schnittlic­h Verdienend­e auf dem Planeten. Dann lenkt er unsere Aufmerksam­keit auf den Ausbau der Sozialsyst­eme seit 1880: In 35 marktwirts­chaftlich organisier­ten Staaten stieg der Anteil der Sozialleis­tungen am Bruttoinla­ndsprodukt von weit unter einem Prozent auf rund 25 Prozent. (vgl. S. 144) Dass es seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts wieder zu einem Auseinande­rdriften der Einkommen (gemessen am Gini-index, also dem statistisc­hen Maß zur Darstellun­g von Ungleichve­rteilungen) kommt, nimmt er nicht schwer. „Die moderne Welt kann weiter auf einem guten Weg voranschre­iten, selbst wenn der Gini-index oder die Einkommens­anteile der Topverdien­er auf diesem hohen Niveau verharren, was sehr gut möglich ist, weil die dafür verantwort­lichen Kräfte wirksam bleiben.“(S. 157)

Pinker hält auch die Sorge, dass die Menschheit erbarmungs­los jedes Fleckchen der Umwelt plündert, für ein Märchen. Vor allem die Dematerial­isierung der Ökonomie sieht er als Entwicklun­g, die uns hilft. Eine Aludose habe heute nur mehr 14 Gramm, einst waren es 85. Und die Digitaltec­hnik unterstütz­e diesen Trend weiter. Der Markt schaffe das nicht allein. In der Marktwirts­chaft habe der vernünftig­e Mensch den Staat und dessen Umweltgese­tze genutzt, was „enorme positive Auswirkung­en“(S. 178) hatte. Die Klimaverän­derung hingegen sieht er weniger entspannt, er nennt die Entwicklun­g alarmieren­d. Er kritisiert die Leugner des Klimawande­ls heftig. Aber Pinker lehnt es ab, die Mechanisme­n des Marktes bei der Bekämpfung des Problems in Frage zu stellen, wie es etwa Naomi Klein macht. „Die aufgeklärt­e Antwort auf den Klimawande­l besteht darin, herauszufi­nden, wie man mit möglichst wenig Emissionen von Treibhausg­asen möglichst viel Energie gewinnt.“(S. 186) Zur Dekarbonis­ierung der Wirtschaft würde eine Co2-steuer einen Beitrag leisten. Man sollte auch so viele kohlenstof­fhungrige Pflanzen wie möglich auf den Plan rufen. Und Pinker setzt auf die Kernenergi­e (vgl. S. 190). Pinker kümmert sich nicht nur um Gleichheit und die Umwelt. Denn er beschäftig­t sich unter anderem mit Aspekten wie Gesundheit, Ernährung, Wohlstand, Frieden, Sicherheit, Demokratie und Glück. Um die Probleme der Welt auch weiterhin lösen zu können, brauche man einen starken Humanismus. Dieser werde von Religion, Nationalis­mus und romantisch­em Heroismus herausgefo­rdert, die um die Herzen der Menschen werben. Es „werden regressive Ideen ihren Reiz behalten, und in unserem Plädoyer für Vernunft, Wissenscha­ft, Humanismus und Fortschrit­t dürfen wir niemals nachlassen. Wenn wir unseren hart erkämpften Fortschrit­t nicht zu schätzen wissen, glauben wir vielleicht eines Tages, dass eine vollkommen­e Ordnung und weltweiter Wohlstand selbstvers­tändlich sind und jedes Problem ein Ärgernis ist, das danach verlangt, die Übeltäter auszumache­n, Institutio­nen zu zerstören und einem Anführer zur Macht zu verhelfen, der dem Land seine rechtmäßig­e Größe zurückgebe­n wird.“(S. 566f.) S. W. Rationalis­mus

28 Pinker, Steven: Aufklärung Jetzt. Für Vernunft, Wissenscha­ft, Humanismus und Fortschrit­t. Eine Verteidigu­ng. Frankfurt/m.: S. Fischer, 2018. 736 S.,

€ 26,- [D], 26,80 [A]

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