Wirtschaft verstehen und gestalten
Das (Über)leben der Menschheit war immer von der Wirtschaft abhängig. Doch in keiner Epoche war Wirtschaft so bestimmend wie im modernen, arbeitsteiligen und globalisierten Wirtschaftssystem von heute. Wer die Welt verstehen will, muss die Wirtschaft verstehen. Hans
Holzinger schaut sich aktuelle Analysen genauer an.
Der Kapitalismus soll dabei nicht überwunden, sondern eben transformiert werden. Dies sei nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus sozialen, individualpsychologischen und demokratischen Gründen nötig. Mit Karl Polanyi wird eine Wiedereinbettung der Wirtschaft in die Gesellschaft gefordert, die Aufrechterhaltung von Überproduktion und Überkonsumption als Stabilisator des globalen Kapitalismus sei dabei ein Problem (vgl. S. 70). Gesprochen wird mit Maja Göpel von einer „Eisenkäfig“-ökonomie (S. 77), die Gesellschaften und Individuen einsperre und zu Dysfunktionalitäten führe.
Reformansätze seien bekannt, nur noch nicht umgesetzt. Auf globaler Ebene brauche es eine Co2besteuerung, die Einrichtung von Klimafonds, eine modifizierte Handelspolitik, eine Finanztransaktionssteuer sowie die Ausweitung der Commons. Auf Eu-ebene werden ein verändertes Wettbewerbsrecht mit einem Externalisierungsverbot, ein Kreislaufwirtschaftsgesetz, die Reduzierung des Steuerwettbewerbs sowie der soziale Ausgleich zwischen den Staaten gefordert. Auf nationaler Ebene seien der bewusste Erhalt/aufbau öffentlicher Industrien/sektoren sowie die Umsetzung neuer Formen sozialer Sicherung, etwa durch ein Grundeinkommen, denkbar. Auf lokaler Ebene wird das Schaffen von Gemeinwohlflächen und -Räumen sowie die Einführung von Regionalgeld genannt (vgl. S. 97).
Gehofft wird auch auf den Einfluss kritischer Konsumentinnen im Sinne einer „Moralisierung der Märkte“(S. 366), um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, etwa der Sharing-ökonomie, der Service-märkte oder des fairen Handels vor-
„Die Große Transformation gilt es als einen Prozess zu verstehen, der von vielen Akteuren gestaltet wird. Ausgestattet mit einem klar definierten normativen Kompass geht es um die Fähigkeit, in komplexen gesellschaftlichen, kulturellen, ökonomischen und technologischen Prozessen zu navigieren.“
(Uwe Schneidewind in 33 , S. 32)
„Im Finanzkapitalismus erschweren schwankende Wechselkurse, Rohstoffpreise, Aktienkurse und Zinssätze die Aktivitäten in der Realwirtschaft und erhöhen gleichzeitig die Profitchance von Finanzspekulation.“(S. Schulmeister in 34 , S. 127)
anzutreiben. Vorausschauendes Handeln werde für die Wirtschaft in einer Zeit großer Umbrüche immer wichtiger, so die Autorinnen. Resiliente Unternehmen würden „die Zukunft antizipieren und dabei dennoch ökonomische Stabilität unter aktuellen Marktbedingungen gewährleisten können“(S. 375). Schließlich setzen die Expertinnen darauf, dass sich immer mehr Unternehmen auch als gesellschaftliche Akteure begreifen und neben den vom Shareholder Value getriebenen multinationalen Konzernen, Familien-, Genossenschaftsoder stiftungsbasierte Unternehmen sowie neue Formen kollaborativer Ökonomie an Bedeutung gewinnen (vgl. S. 382f.). Notwendig sei aber, dies wird mehrfach betont, ebenso die Transformation von Großunternehmen in Kernbereichen wie Mobilität, Ernährung, Immobilien- und Finanzwirtschaft, was durch Dialog und politische Vorgaben erreicht werden müsse.
Der Band bietet eine Fülle an Anregungen und Konzepten aus der Wissenschaft, wie eine Transformation in nachhaltige Gesellschaften in einem Mehrebenen-system angegangen werden kann. Neu ist – und das mögen manche kritisieren –, dass nicht mehr von Bekämpfung oder gar Abschaffung des Kapitalismus gesprochen wird, sondern von seiner Transformation. Entscheidend wird freilich sein, ob den Treibern der Nichtnachhaltigkeit, also den immensen Gewinnen aus dem Verbrennen fossiler Energie (eine Abkehr davon würde ja für die Betreiber einer gigantischen Wertvernichtung gleichkommen) bis hin zum blinden Konsumwachstum, Einhalt geboten werden kann. H. H. Sozialer Wandel
Die Große Transformation. Hrsg. v. Uwe Schneidewind. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels. Frankfurt/m.: S. Fischer, 2018. 520 S.
€ 12,- [D], 12,40 [A]