Was diskutiert Frankreich
Über die Herrschaft einer neoliberalen „Kaste“in Frankreich, den Umgang von Sex als Herrschaftsinstrument im Kolonialismus und eine umweltphilosophische Betrachtung des Anthropozäns:
Der Journalist und Autor Laurent Mauduit seziert in seinem jüngsten Buch „Die Kaste. Untersuchung über Beamte an der Macht“[franz.: „La Caste. Enquête sur cette haute fonction publique qui a pris le pouvoir”] die Machtübernahme neoliberaler Beamte: Der öffentliche Dienst Frankreichs bilde ein für Außenseiterinnen undurchdringliches Eliten-netzwerk, aus dem sich Präsident Macrons Entourage speist. Dieses betreibe eine neoliberale Agenda, von der es vor allem selbst Vorteile hat. Denn in den letzten Jahrzehnten habe es eine Verschmelzung von Expertentum und Geld gegeben, welche die Macht in Staat und Wirtschaft monopolisiert – ersichtlich an der Durchlässigkeit zwischen Spitzenbeamtentum und Spitzenjobs in der Wirtschaft und der daraus resultierenden Privatisierung öffentlicher Politik. Diese Befunde bleiben nicht unwidersprochen: L’obs sieht teilweise Übertreibungen in der Analyse des Autors und unangebrachte Vergleiche (wie zwischen Macron und Napoleon III). Die Zeitschrift Politis wiederum findet die historischen Vergleiche gerechtfertigt, um die Gegenwart zu verstehen.
Frankreich reflektiert auch in Hinblick auf seine koloniale Vergangenheit. Ein Team aus 97 Forschern mit Pascal Blanchard, Nicolas Bancel und anderen hat sich des brisanten Themas Sex in Frankreichs Kolonien angenommen. Die Ergebnisse, welche in „Sex, Rasse, Kolonien“[franz.: „Sexe, Race et Colonies“] publiziert wurden, legen ein bedrückendes System sexueller Ausbeutung offen. Mit dem Einsatz von historischem Bildmaterial wird das Ausmaß der Versklavung und Objektivierung dokumentiert. Das Buch wurde weit rezipiert: Als notwendig für das französische Geschichtsbewusstsein, welches relevant für das Kontextualisieren gegenwärtiger Rassismen sei (L’obs) bzw. als sehr ambitioniert und facettenreich, da es die zentrale Rolle von Sex im Erhalt von Machtverhältnissen darlege (Les Inrocks). Libération kritisiert die extensive Verwendung von bildlichen Darstellungen. So würden die Opfer noch einmal zum Objekt gemacht.
Nachdenken über den Menschen in seiner Umwelt: Le Monde hat dem Werk der Philosophin Virginie Maris „Der wilde Teil der Welt. Die Natur im Anthropozän denken“[franz.: „La Part sauvage du monde. Penser la nature dans l’anthropocène“] große Aufmerksamkeit gewidmet. Die Anerkennung des Anthropozäns als geologisches Zeitalter bedeute die endgültige Kontrolle über eine von Menschen modellierten Umwelt. Dem stellt sich Virginie Maris entgegen, in Verteidigung der „wilden“, d. h. naturbelassenen Welt. Anstelle von totaler Kontrolle sollen die Grenzen zwischen Natur und Kultur überdacht sowie die Autonomie der von Menschen unberührten Umwelt verteidigt werden. Maris schlägt vor, die Wildheit der Natur zu akzeptieren und damit auch den Gedanken zuzulassen, dass Natur auch ohne den Menschen existiert. Le Monde sieht hier eine „Ökologie der Trennung“, die letztlich eine „Ökologie des Respekts“sei.
5 Mauduit, Laurent: La Caste. Enquête sur cette haute fonction publique qui a pris le pouvoir. Paris: La Découverte, 2018. 204 S., € 19,- [F]
6 Sexe, Race et Colonies. Hrsg. v. Pascal Blanchard, Nicolas Bancel u. a. Paris: Édition de la Découverte, 2018. 544 S., € 65,- [F]
7 Maris, Virginie: La Part sauvage du monde. Penser la nature dans l’anthropocène. Paris: Seuil, 2018. 272 S., € 19,- [F]