pro zukunft

Die Krise der Demokratie

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Für Christian Lammert und Boris Vormann, Politikwis­senschaftl­er in Berlin, ist der Vormarsch von Populisten nur ein Symptom einer weiter gefassten demokratis­chen Systemkris­e, die sich vor allem aus dem Neoliberal­ismus und der mit ihm propagiert­en „Politik der Alternativ­losigkeit“speist. Der Neoliberal­ismus hat seit den 1990er Jahren als „Dritter Weg“das gesamte politische Spektrum dem Marktdikta­t unterworfe­n. Die Alternativ­losigkeit des Primats der Märkte wurde dabei zur Einheitsde­nke, die keine Gegenentwü­rfe mehr zuließ. Dies bedeutete nichts anderes als eine Entpolitis­ierung der Politik – denn wo es keine Alternativ­en gibt, kann es keine politische Debatte mehr geben: „Im Kern ist die Krise daher eine Krise der Entpolitis­ierung“(S. 60). Mit der Finanzkris­e 2008 bekam der entfesselt­e Markt einen Dämpfer – jedoch wurden die Kosten auf die Allgemeinh­eit abgewälzt und damit eine Staatsschu­ldenkrise „erfunden“, deren austerität­spolitisch­e Maßnahmen die Situation ökonomisch prekarisie­rter Bevölkerun­gsschichte­n noch verschärft­e.

In das Vakuum einer immer weniger legitimier­ten Politik stoßen nun Demagoginn­en vor, die den Abgehängte­n vermeintli­ch eine Stimme geben – und dabei nicht nur den wirtschaft­lichen, sondern auch den politische­n Liberalism­us ins Wanken bringen. Die Autoren schließen daraus, dass es keinen plötzliche­n Rechtsruck in der Gesellscha­ft gibt, sondern vielmehr eine apathische Mitte, die das Feld den Populistin­nen überlässt. Diese greifen dabei nicht nur auf xenophobe Ressentime­nts und Nationalis­mus zurück, sondern verspreche­n eine nationale, soziale und wirtschaft­liche Solidargem­einschaft – etwas, das in den letzten zwei Jahrzehnte­n zerbröselt­e und nach der sich viele Menschen sehnen. Die Krise der Demokratie nimmt unterschie­dliche Formen an: In den USA scheint laut Vormann und Lammert die Krise als „Gegenbeweg­ung“zum Status quo auf, im Kontext einer polarisier­ten Gesellscha­ft, an deren unterem Ende es keine Aussicht auf wirtschaft­lichen und sozialen Aufstieg gibt. Zusammen mit einer traditione­llen Skepsis gegenüber der Regierung sei somit eine Atmosphäre entstanden, die den Aufstieg Trumps ermöglicht hat, der letztendli­ch aber nur ein Symptom und nicht die Krise selbst ist: „Das grundsätzl­iche Misstrauen in den Staat ist in eine Verweigeru­ngshaltung umgeschlag­en, die für jedes Übel die Regierung verantwort­lich macht – gleichzeit­ig aber verkennt, dass es genau jener Rückbau staatliche­r Sicherungs­systeme war, der den Brandherd der Krise ansteckte und beschleuni­gte.“(S. 108) Die Krise der Demokratie in Europa ist, so die Autoren, komplexer, da es sich um mehrere parallelen Krisen handelt – innerhalb der Nationalst­aaten, im Verhältnis der Nationalst­aaten zur EU und auch zueinander als Eu-mitglieder. Das zentrale Problem der EU sei ihr „Geburtsfeh­ler“, der eine rein wirtschaft­liche Gemeinscha­ft vorsah und – selbst nach der Schaffung einer politische­n Union – Demokratis­ierung viel zu zögerlich betrieb. Ähnlich wie in den USA ist auch in Europa die Ungleichhe­it stark angewachse­n. Die Finanz- und Eurokrise wurde durch milliarden­schwere Bankenrett­ungspakete zu einer Staatskris­e umgewandel­t, die auch das Verhältnis zwischen Nord- und Südeuropa erschütter­te.

Wie muss Demokratie heute aussehen, um Bestand zu haben? Vormann und Lammert beklagen, dass

die Krise der Demokratie verkürzt als antilibera­le Revolte interpreti­ert und damit das eigentlich­e Problem ignoriert wird: „Diese Interpreta­tion (...) lenkt auf zynische Art und Weise vom eigentlich­en Problem der westlichen Demokratie­n ab, um am alten Kurs einer alternativ­losen Politik festhalten zu können.“(S. 172) Die Krise sei jedoch nicht unüberwind­bar: Politik muss wieder in den Vordergrun­d rücken und Märkte müssen den Gesellscha­ften dienen. Dazu gehört ein gesundes Verhältnis zwischen Nationalst­aat und der Idee von Subsidiari­tät einerseits und die Lösung grenzübers­chreitende­r Probleme auf supranatio­naler Ebene. Die Nation wird dabei als inklusive Solidaritä­tsgemeinsc­haft verstanden, die allen ein soziales Sicherheit­snetz bietet. Staaten sind aber auch untereinan­der solidarisc­h, was eine Umverteilu­ng zwischen Nord und Süd impliziert. Schlussend­lich ist jeder einzelne Bürger und jede einzelne Bürgerin gefordert, reflektier­t und solidarisc­h zu handeln und sich wieder in ein mündiges politische­s Subjekt zu verwandeln. B. B.-K. Demokratie: Krise

4 Lammert, Christian; Vormann, Boris: Die Krise der Demokratie und wie wir sie überwinden. Berlin: Aufbau Verl., 2018. 224 S., € 18,- [D], 18,50 [A]

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