pro zukunft

Strategisc­he Vertikalit­ät

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Das „Unsichtbar­e Komitee“aus Frankreich hatte bereits mit dem linkspolit­ischen Essay „Der kommende Aufstand“für großes Aufsehen gesorgt (prozukunft 2011/1). Mit dem neuen Büchlein „Jetzt“wird nun nachgelegt.

Der Zustand der Welt wird als verheerend beschriebe­n. „Alle Gründe, eine Revolution zu machen, sind gegeben. Keiner fehlt. Das Scheitern der Politik, die Arroganz der Mächtigen, die Herrschaft der Falschen, die Vulgarität der Reichen, die Industriek­atastrophe­n, das galoppiere­nde Elend, die nackte Ausbeutung, der ökologisch­e Untergang – von nichts werden wir verschont, nicht einmal davon, informiert zu sein.“(S. 7) „Jedem ist deutlich erkennbar, dass diese Zivilisati­on wie ein Zug ist, der auf einen Abgrund zufährt. Und beschleuni­gt. Je mehr er beschleuni­gt, desto deutlicher sind die hysterisch­en Jubelrufe der Säufer des Disco-waggons zu erkennen.“(S. 15)

Für die Autorinnen ist die „Fragmentie­rung der Welt“ein Hauptmerkm­al der Gegenwart. „Auf allen Gebieten fragmentie­rt sich die Welt, auf allen Gebieten ist die Einheit fragwürdig geworden.“(S. 17) Dies betreffe soziale Gruppen wie die Arbeitersc­haft, aber auch Bereiche wie Medizin oder Recht. Der westlichen Medizin bleibe nichts anderes übrig, als mit Techniken wie Akkupunktu­r, Hypnose und ähnlichem „herumzudok­tern“. Das Recht wuchere und zu jedem Ereignis werde die Anordnung einer neuen Gesetzgebu­ng verkündet. Die Arbeitersc­haft erlebe aufgrund ihrer Ausdiffere­nzierung nicht mehr die gemeinsame Macht in der Niederlegu­ng der Arbeit.

Das alles führe zur Desorienti­erung, stelle „all unsere politische­n und existenzie­llen Kategorien infrage und entzieht der revolution­ären Tradition selbst den Boden: Sie ist die Herausford­erung.“(S. 35) Aber je mehr sich die Gesellscha­ft zersetze, desto attraktive­r werden die Kollektive, wie Nationen oder andere Gruppen. „Sie werden eine Scheinalte­rnative dafür darstellen. Dieser Schwindel funktionie­rt umso besser, als das atomisiert­e Individuum unter der Widersinni­gkeit und dem Elend seiner Existenz leidet.“(S. 117)

Was bleibt: Keine Organisati­on. „Niemand wird mehr die Autonomie der anderen organisier­en. Die einzige noch mögliche Vertikalit­ät ist die der Situation, die sich all ihren Bestandtei­len aufdrängt, weil sie über diese hinausweis­t, weil die Gesamtheit der bestehende­n Kräfte mehr ist als jedes einzelne. (…) Eine derartige strategisc­he Vertikalit­ät kann nur aus einer konstanten, großzügige­n, wohlwollen­den Diskussion hervorgehe­n.“(S. 124) S. W.

Frankreich: Protestbew­egung 25 Jetzt. Hrsg. v. Unsichtbar­es Komitee. Hamburg: Nautilus, 2017. 125 S., € 14,- [D], 14,40 [A]

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