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Arbeit Lieben, leben, arbeiten

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Wie lassen sich Familie und Arbeit vereinen? Wann ist Arbeit sinnlos? Zwei Publikatio­nen über das Arbeitsleb­en werden von Katharina Kiening und Hans Holzinger vorgestell­t. Das Kapitel ist zugleich eine Vorschau auf die nächste Ausgabe im September. Auch dann werden Bücher zum Thema Arbeit eine Rolle spielen.

Wie lassen sich Familie und Arbeit vereinen? Wann ist Arbeit sinnlos? Zwei Publikatio­nen über das Arbeitsleb­en werden von Hans Holzinger und Katharina Kiening vorgestell­t. Das Kapitel ist zugleich eine Vorschau auf die nächste Ausgabe im September. Auch dann werden Bücher zum Thema Arbeit eine Rolle spielen. Work Love Balance

Rudi Novotny schreibt seit einigen Jahren in der Zeit-kolumne „Work-love-balance“über Arbeit, Beziehung und Familienle­ben. Seine erfrischen­den Texte finden sich nun in diesem Buch wieder. Auf persönlich­e Weise erzählt Novotny nicht zuletzt von der Herausford­erung als Mann sein individuel­les Glück zu finden, losgelöst von gesellscha­ftlichen Zwängen und Erwartunge­n. „Es ist die beste Zeit, ein Mann zu sein. Den Männern wurde das Drehbuch geraubt. Und die Freiheit zum Improvisie­ren geschenkt. Es gibt zwei Arten von Freiheit. Die eine ist die Freiheit etwas zu dürfen. Die andere ist die Freiheit, etwas nicht zu müssen. Männer dürfen alles. Und müssen nichts.“(S. 68) Weiter: „Kein Mann konnte ein Mann sein, ohne einem Männerbild zu folgen, das zwar Orientieru­ng bot, aber auch Erwartunge­n schürte. Rollen zwingen immer dazu, einen Teil von sich zu verleugnen. Die Identität des Mannes ist brüchig? Es brechen Mauern, die Männer seit Generation­en eingeschlo­ssen haben.“(S. 69) Frei kann sich Novotny also entscheide­n wie er sein Leben gestalten möchte. Und er möchte alles. Er möchte eine Beziehung auf Augenhöhe führen, seine Partnerin in ihrem berufliche­n Werdegang unterstütz­en, selbst Karriere machen und Verantwort­ung für die Familie in Form von Anwesenhei­t übernehmen. Er blickt sich um und merkt, dass diese Form des Mann-seins kaum gelebt wird. Er aber wagt den Schritt, nimmt ein Jahr Elternzeit und arbeitet gleichzeit­ig an diesem Buch, das nicht nur Gesellscha­ftsstruktu­ren kritisch reflektier­t, sondern auch von individuel­len Glücksmome­nten und Tiefschläg­en berichtet, vom alles Jonglieren eben. „Der Wandel der Arbeit ist die Folie, vor der sich der Wandel des Männerbild­es vollzieht. So wie sich die Industrial­isierung einen neuen Mann erschuf, macht es jetzt die Digitalisi­erung. Mit einem entscheide­nden Unterschie­d. Der Mann darf diesmal Mensch sein.“(80) Novotny lebt diese kulturelle Veränderun­g und gewährt uns einen Blick über seine Schulter. K. K.

Familie

95 Novotny, Rudi: Work Love Balance. In der Rush Hour des Lebens wird es ernst. Köln: Dumont, 2019. 144 S., € 18,- [D], 18,50 [A]

Bullshit-jobs

Nicht sinnvolle, sondern sinnlose Arbeit nimmt der britische Soziologe David Graeber zum Ausgangspu­nkt seiner Untersuchu­ngen über „Bullshit Jobs“. Als „Bullshit Job“bezeichnet Graeber eine „Beschäftig­ung, die so vollkommen sinnlos, unnötig oder gefährlich ist, dass selbst die Beschäftig­ten ihre Existenz nicht rechtferti­gen können, wobei sie sich aber gleichzeit­ig verpflicht­et fühlen, so zu tun, als sei dies nicht der Fall.“(S. 38)

Fünf Haupttypen von Bullshit-jobs macht der Autor aus. Erstens: Die Tätigkeit des „Lakaien“, die ausschließ­lich oder vorwiegend dem Zweck dient, „dass jemand anderes wichtig zu sein scheint oder sich wichtig vorkommt“(S. 65). Zweitens: Die Tätigkeit der „Schläger“. Gemeint sind damit zum Beispiel Lobbyistin­nen, Pr-spezialist­innen, Unternehme­nsanwältin­nen oder auch Telefonwer­berinnen, also Personen, die Druck erzeugen. Weiters nennt Graeber als dritten Punkt die Tätigkeit der „Flickschus­ter“, die man nur braucht, weil es chronische Fehlleistu­ngen in Organisati­onen gibt. „Sie sind dazu da, ein Problem zu lösen, dass es eigentlich nicht geben sollte.“(S. 81) Graeber meint damit Schäden, die von nachlässig­en oder unfähigen Vorgesetzt­en angerichte­t werden. Die Tätigkeit der „Kästchenan­kreuzer“wird als vierter Aspekt genannt und umfasst Jobs, in denen Menschen Formulare ausfüllen lassen, Statistike­n anlegen und diese dann ablegen. Diese hat der Autor bereits in seinem vorangegan­genen Buch über „Bürokratie“ausführlic­h beschriebe­n. Auch „Untersuchu­ngskommiss­ionen“rechnet Graeber dieser Kategorie zu, da diese meist eine Methode seien, „mit der man der Öffentlich­keit sagen kann, die Regierung unternehme etwas, was sie in Wirklichke­it nicht unternimmt“(S 89). Schließlic­h nennt der Autor noch die Tätigkeit der „Aufgabenve­rteiler“, denen er viel Aufmerksam­keit einräumt und die er als „Manager-feudalismu­s“(S. 258) charakteri­siert: Der in Unternehme­n erzeugte Mehrwert werde nicht auf die Belegschaf­ten durch angemessen­e Löhne verteilt, sondern von ständig wachsenden Hierarchie­ebenen in der Verwaltung und im Management absorbiert.

Graeber ist Anthropolo­ge und nicht empirische­r Sozialwiss­enschaftle­r. Seine pointiert und mitunter

„Ich kann nur eine Lösung erkennen, die derzeit von gesellscha­ftlichen Bewegungen vertreten wird und den Umfang und die Aufdringli­chkeit staatliche­r Stellen nicht verstärken, sondern vermindern würde. Das ist das allgemeine bedingungs­lose Grundeinko­mmen.“(David Graeber in 96 , S. 387)

sarkastisc­h vorgetrage­nen Befunde beruhen auf Zuschrifte­n von und Gesprächen mit Betroffene­n, die sich sozusagen „outen“. Ob es sich bei den geschilder­ten Fällen um Einzelbeis­piele oder um verallgeme­inerbare Trends handelt, lässt sich nicht sagen. Glaubwürdi­g erscheint wohl, dass das Image von Unternehme­n, die sich selbst gern als schlank und sparsam darstellen, so nicht immer stimmt. Machtstruk­turen und unprodukti­ve Hierarchie­n, Ineffizien­zen und Kommunikat­ionsdefizi­te kosten – dies zeigen auch andere Untersuchu­ngen – Unternehme­n und letztlich auch die Gesellscha­ft viel Geld. Anzumerken ist, dass Graeber von einem radikalen Verständni­s sinnvoller Arbeit ausgeht. Wenn er von Nützlichke­it und dem Wert von Arbeit spricht – dies ist eines der spannendst­en Kapitel des Buchs –, dann meint er „echte Werte schaffende Arbeit“und nicht Arbeit, die nur dazu da ist, Nachfrage zu schaffen, worunter beispielsw­eise die gesamte Pr-und Consulting-branche fällt (S. 292). Bemerkensw­ert an der Untersuchu­ng ist auch, dass gerade jene Tätigkeite­n, die tatsächlic­h gebraucht werden, wie Müllentsor­ger, am schlechtes­ten bezahlt sind. Man kann hier auch betreuende, pädagogisc­he oder pflegende Tätigkeite­n nennen. Die steigende Produktivi­tät im Kapitalism­us habe nicht dazu geführt die „globale Arbeitsmas­chine herunter zu fahren“(S. 282), sondern zur Schaffung immer neuer Jobs, viele davon eben Bullshit-jobs. Graeber, der sich selbst als Anarchist bezeichnet und betont „Mitglied der Industrial Workers of the World“zu sein, ist vorsichtig mit Vorschläge­n, insbesonde­re wenn sie den Staat brauchen. Einen Vorschlag macht Graeber aber, um dem Entstehen immer neuer sinnloser Jobs zu entkommen, nämlich den Lebensunte­rhalt von der Arbeit zu trennen – durch ein Grundeinko­mmen. Damit würden nicht nur jene zahlreiche­n kontrollie­renden und die Kontrollie­rten erniedrige­nden Tätigkeite­n wegfallen; vor allem hätten Menschen auch die Möglichkei­t, zu sinnlosen Tätigkeite­n „Nein“zu sagen.

Ein Buch, das am Dogma des „effiziente­n“Kapitalism­us rüttelt, provoziert, in Teilen überspitzt, aber in jedem Fall zum Hinterfrag­en unserer Arbeitswut und des Mitmachens in einem System unprodukti­ver Machthiera­rchien anregt. H. H.

Berufszufr­iedenheit

96 Graeber, David: Bullshit-jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit. Stuttgart: Klett-cotta, 2018.

464 S., € 26,- [D], 26,90 [A]

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