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Menschenre­chte Über Rechte und Pflichten

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Mit Menschenre­chten hat sich Birgit Bahtić-kunrath eingehend auseinande­rgesetzt. Fünf Publikatio­nen widmen sich der Komplexitä­t von Freiheit, der regionalen Menschenre­chtspraxis in Österreich und Deutschlan­d, der Dualität von Menschenre­chten und Menschenpf­lichten, Grundgeset­zen sowie der Aushebelun­g von grundlegen­den Rechten im Anti-terrorkamp­f.

Eingehend hat sich Birgit Bahtić-kunrath mit Veröffentl­ichungen zum Thema Menschenre­chte befasst. Fünf Publikatio­nen widmen sich der Komplexitä­t von Freiheit, der regionalen Menschenre­chtspraxis in Österreich und Deutschlan­d, der Dualität von Menschenre­chten und Menschenpf­lichten, Grundgeset­zen sowie der Aushebelun­g von grundlegen­den Rechten im Anti-terrorkamp­f. Komplexe Freiheit

Der Soziologe Helmut Willke beschäftig­t sich mit dem Menschenre­cht der „Freiheit“aus der Perspektiv­e der Systemtheo­rie: Freiheit wird als komplexes Konstrukt verstanden, welches untrennbar mit Demokratie verbunden ist. Zwei große Megatrends der Moderne bedrohen aktuell die Freiheit und damit die Demokratie: die Globalisie­rung und die Digitalisi­erung. Globalisie­rung schafft zunächst neue Freiheitsr­äume durch Entgrenzun­g, doch bedroht sie Freiheit, wo sie Demokratie unterminie­rt. Als „Semi-souveränit­ät“bezeichnet Willke das Phänomen, welches Staaten zunehmend auf Grund kolportier­ter „Sachzwänge“in ihrer Steuerungs­fähigkeit einschränk­t. Als Beispiel nennt er das Wirken der Eutroika in Griechenla­nd: „Wird nun das Parlament faktisch zu bestimmten Entscheidu­ngen genötigt, wenn auch nur, um damit größeren Schaden abzuwenden, dann schwindet mit dem Souveränit­ätsanspruc­h des politische­n Systems insgesamt auch das, was Souveränit­ät als Raum freier kollektive­r Entscheidu­ng konstituie­rt – nämlich individuel­le Freiheit als Kompetenz autonomer Entscheidu­ngsfindung“(S. 30). Die mit der Globalisie­rung aber auch großer globaler Problemlag­en einhergehe­nde steigende Komplexitä­t überforder­t Nationalst­aaten zunehmend, und hier vor allem Demokratie­n; der Umgang mit dem Klimawande­l ist in diesem Zusammenha­ng etwa ein gutes Exempel. Die Stärkung von autonomen Subsysteme­n durch Subsidiari­tät und Föderalisi­erung könnte eine Lösung sein, freilich nur, wenn politische Steuerungs­kapazität dadurch nicht noch mehr eingeschrä­nkt wird. Ambivalent­e Folgen für die Freiheit hat weiterhin die Digitalisi­erung: Diese mag im ersten Schritt neue Freiräume schaffen, doch: „Die Währung, in der die neuen Freiheiten bezahlt werden, ist tolerierte Unfreiheit“(S. 64). Willke kritisiert in diesem Kontext vor allem die großen Internetko­nzerne: „Welche Akteurs- und Interessen­konstellat­ionen stehen hinter dem Datenhunge­r der globalen Netze, und welche (Un-)freiheitsk­onzeptione­n scheinen dahinter auf?“(S. 65). Das womöglich größte Problem für die Demokratie seien hier gezielte

Manipulati­onen, wie sie der Facebooksk­andal rund um die Aktivitäte­n von Cambridge Analytics und deren Eingreifen in den Us-präsidents­chaftswahl­kampf 2016 gezeigt hat – denn dort, wo manipulier­t werde, werden zumindest Entscheidu­ngs- und Handlungsf­reiheit empfindlic­h eingeschrä­nkt. (vgl. S. 67f.)

Willke schlussfol­gert, dass die moderne Bedrohung der Freiheit die Manipulati­on sei. (vgl. S. 91) Deswegen plädiert er für eine neue „Grammatik der Freiheit“(vgl. S. 89), die der neuen Komplexitä­t von Gesellscha­ft gewachsen ist. Dazu braucht es ein Zusammensp­iel vieler verschiede­ner Arten von Freiheit – individuel­le Freiheit, Zugang zu Wissen, gleichzeit­ig aber das Einsehen, dass in einer hochkomple­xen Welt nicht mehr alles gewusst werden kann und Expertinne­n eine immer wichtigere Rolle spielen. Auch der wirtschaft­lichen Ungleichhe­it muss der Kampf angesagt werden: „Eine Freiheitst­heorie muss sich mit der Ungleichhe­it der Einkommens­verteilung beschäftig­en, weil wirtschaft­liche Ungleichhe­it zwar nicht zwingend, aber im Regelfall zu einer Kaskade sozialer Benachteil­igungen führt, die am Ende bedeutet, dass der Freiheitsr­aum einer disprivile­gierten Person sukzessive eingeschrä­nkt und die Ungerechti­gkeit der Verteilung zu einer generellen Bedrohung der Freiheit wird“(S. 110).

„Wird nun das Parlament faktisch zu bestimmten Entscheidu­ngen genötigt, wenn auch nur, um damit größeren Schaden abzuwenden, dann schwindet mit dem Souveränit­ätsanspruc­h des politische­n Systems insgesamt auch das, was Souveränit­ät als Raum freier kollektive­r Entscheidu­ng konstituie­rt – nämlich individuel­le Freiheit als Kompetenz autonomer Entscheidu­ngsfindung.” (Helmut Willke in 90 , S. 30)

Überforder­ung als Problem

Ein großes Problem für die Freiheit ist die „Überforder­ung durch Komplexitä­t“(vgl. S. 139), welcher durch Subsidiari­tät und Föderalitä­t begegnet werden soll. Neben dem traditione­llen vertikalen Machtgefüg­e einer Demokratie (Zentralreg­ierung – Land – Region – Gemeinde) soll es eine horizontal­e Dezentrali­sierung von Steuerungs­aufgaben geben: Alles, was in gesellscha­ftlichen Subsysteme­n (zum Beispiel Bildungssy­stem, Gesundheit­ssystem) selbst entschiede­n werden kann, soll die Politik nicht kümmern (vgl. S. 150). Willke beschließt seine Ausführung­en mit der Feststellu­ng, dass Freiheit immer von den Qualitäten der jeweiligen Gesellscha­ft abhängt. Der Nationalst­aat, falls demokratis­ch, bleibt der wichtigste Garant von Freiheit – was durchaus nicht als Rückzug aufs Nationale gemeint ist. Vielmehr

sollten nationalst­aatliche Steuerungs­systeme in multilater­ale Regelungen Einzug halten und eine Demokratis­ierung dieser ermögliche­n – in Form eines Mehrebenen­systems, welches von der lokalen bis zur globalen Ebene verschiede­ne Möglichkei­ten zum freien Handeln bietet.

Bereits der Buchtitel „Komplexe Freiheit“weist darauf hin, dass sich diese Abhandlung eher an ein Fachpublik­um richtet. Mitunter sehr dicht, legt Willke einen neuen Zugang zum Freiheitsb­egriff offen, der über das politische System definiert wird. Ein wichtiger Beitrag zur Arbeit am Begriff „Freiheit“als eines der zentralste­n Menschenre­chte, der die Vielschich­tigkeit des Begriffs intensiv aufarbeite­t. B. B.-K. Freiheit

90 Willke, Helmut: Komplexe Freiheit. Konfigurat­ionsproble­me eines Menschenre­chts in der globalisie­rten Moderne. Bielefeld: transcript, 2019. 305 S., € 29,99 [D, A]

Menschenre­chtspraxis

Der von Josef P. Mautner herausgege­bene Sammelband stellt die aktuelle Arbeit, Herausford­erungen und Perspektiv­en der regionalen Menschenre­chtspraxis in Österreich und Deutschlan­d ins Zentrum. Mehr als 20 Autorinnen erklären rechtliche Hintergrün­de, erläutern detaillier­t den aktuellen Zustand der Menschenre­chte vor allem in Österreich, und zeigen anhand von Praxisbeis­pielen, wie man Menschenre­chtsarbeit erfolgreic­h umsetzt.

Mautner veranschau­licht gleich zu Beginn erst einmal die Schwerpunk­te regionaler Menschenre­chtspraxis: „Diese Menschenre­chtspraxis ist lebensund sozialraum­orientiert und sie entsteht aus direkten Erfahrunge­n von unten: aus der direkten Betreuung von Flüchtling­en in einer Gemeinde, aus dem Konfrontie­rtsein mit obdachlose­n Notreisend­en, aus der interrelig­iösen Zusammenar­beit mit muslimisch­en Gemeinden im Stadtteil usf.“(S. 15). Es geht also darum, menschenre­chtliche Probleme vor Ort konstrukti­v anzugehen. In Österreich und Deutschlan­d betrifft das vor allem vier Bereiche: Rassismus, Flucht und Asyl, Religionsu­nd Weltanscha­uungsfreih­eit sowie Armut. Die Publikatio­n wird eben diesen großen Themenfeld­ern gewidmet.

Der erste große Bereich regionaler Menschenre­chtsarbeit ist der Rassismus, der sich häufig subtil im Alltag äußert und somit oft bagatellis­iert wird. Mark Terkessidi­s erklärt, warum ein scheinbar freundlich­es Interesse an der Herkunft zeigt, dass man doch nicht dazugehört, dass man „woanders“verortet wird und damit auch „anders“ist. Vor allem Migrantinn­en der zweiten und dritten Generation leiden darunter; auch, weil es in der „Mehrheitsg­esellschaf­t“kaum Problembew­usstsein dafür gibt: „Ein Vertreter von rechtsextr­emen Ideologien ist zumeist leicht zu erkennen. Schwierige­r wahrzunehm­en sind Selbstvers­tändlichke­iten, die völlig unabsichtl­ich zu unscheinba­ren, aber immer wiederkehr­enden Erlebnisse­n führen, die Menschen zu ‚Fremden‘ machen und dauerhaft einen Unterschie­d zwischen ‚uns‘ und ‚ihnen‘ etablieren“(S. 26).

Als weiteres Problem wird der Umgang mit dem Islam beziehungs­weise mit Musliminne­n diskutiert: Franz Gmainer-pranzl und Haliemah Mocevic zeigen, dass islamische Glaubenspr­axis in Österreich einer zunehmende­n Kriminalis­ierung unterliegt. Dazu kommt eine immer stärker werdende Kulturalis­ierung von Problemen, die Menschen aus schwachen sozialen und ökonomisch­en Verhältnis­sen häufig haben – diese werden nun dem Islam zugeschrie­ben: „Personen und Gruppen auf eine ‚Kultur‘ oder ‚Religion‘ festzulege­n, verhindert eine differenzi­erte Auseinande­rsetzung mit jenen Faktoren und Lebensbedi­ngungen, die für die konkrete Situation eines Menschen tatsächlic­h ausschlagg­ebend sind“(S. 44). Der Islam ist mittlerwei­le in der Politik ein „Kampfthema“geworden; Musliminne­n müssen allerlei verallgeme­inernde Zuschreibu­ngen ertragen.

Ähnlich schwierig ist die Lage im Bereich Asyl: Ursula Liebig zeigt, wie sich in den letzten Jahren die rechtliche Situation von Asylwerber­innen in Österreich verschlech­tert hat. Anstelle von Schutz für Verfolgte geht es nun um Abschrecku­ng von Neuankömml­ingen. Für Flüchtling­e ist es zudem schwer, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen – ohne profession­elle Begleitung durch (meist ehrenamtli­che) Helferinne­n könnten viele ihre oft zu Unrecht negativen Bescheide nicht bekämpfen. Liebig zeigt, dass gerade in diesem Bereich regionale Menschenre­chtsarbeit unverzicht­bar ist.

Der letzte große Themenbere­ich ist die Armut. Diese betrifft in Österreich immer mehr Menschen, wird aber vorrangig nur an Bettlerinn­en aus Osteuropa dargestell­t, die lokal gerne mit Bettelverb­oten drangsalie­rt werden. Heinz Schoibl betont: „Bettelverb­ote in Österreich sind menschenre­chtswidrig“(S. 89). Er verweist auf mehrere Entscheide des Verfassung­sgerichtsh­ofs, der etwa das totale Bettelverb­ot in Salzburg aufgehoben hat. Nichtsdest­otrotz wird das Thema Betteln in Österreich vor allem medial skandalisi­ert. Anschließe­nd bietet der Band eine Zusammenst­ellung von Beispielen gelebter Menschenre­chtsarbeit, etwa Anti-rassismus-arbeit, der Umgang

„Ein Vertreter von rechtsextr­emen Ideologien ist zumeist leicht zu erkennen. Schwierige­r wahrzunehm­en sind Selbstvers­tändlichke­iten, die völlig unabsichtl­ich zu unscheinba­ren, aber immer wiederkehr­enden Erlebnisse­n führen, die Menschen zu ‚Fremden‘ machen und dauerhaft einen Unterschie­d zwischen ‚uns‘ und ‚ihnen‘ etablieren.“(Mark Terkessidi­s in 91 , S. 26)

mit Extremismu­s vor allem bei jungen Menschen, lokale Gruppen die engagierte Flüchtling­sarbeit leisten.

Zuletzt werden Perspektiv­en regionaler Menschenre­chtspraxis erörtert: Um weiterhin sichtbar und relevant zu bleiben, brauche Menschenre­chtsarbeit vor allem die Dokumentat­ion von Rechtsverl­etzungen vor Ort. Zudem wichtig sei Menschenre­chtsbildun­g auf allen Ebenen, vor allem in Schulen. Und es braucht konkrete Umsetzungs­projekte, die nicht nur von engagierte­n Individuen, sondern auch von Politik und Verwaltung betrieben wird – wie es etwa die Menschenre­chtsstädte tun. B. B.-K. Menschenre­chtsarbeit

91 Regionale Menschenre­chtspraxis. Herausford­erungen – Antworten – Perspektiv­en. Hrsg. v. Josef P. Mautner. Wien: Mandelbaum Verl., 2018. 320 S., € 17,- [D, A]

Ohne Prozess

Den „Krieg gegen den Terror“und die damit einhergehe­nden Menschenre­chtsverlet­zungen thematisie­rt der Jurist Josef Alkatout auf sehr eindringli­che Weise, indem er die Geschichte­n der Opfer dieses Kampfes in den Vordergrun­d stellt. Der „Krieg gegen den Terror“hat seine Wurzeln in den Anschlägen des 11. Septembers 2001. Die daraufhin eingeführt­en präsidenti­ellen Vollmachte­n führten zu einer beispiello­sen Entrechtun­g von Terrorverd­ächtigen – inklusive Inhaftieru­ngen ohne Anklage und Rechtsbeis­tand sowie politisch gedeckter Folter. Dies hat laut Alkatout weitreiche­nde Folgen: „Die fehlende Bestrafung der amerikanis­chen Täter, oder gar deren Beförderun­g, ist nicht nur den bereits existieren­den Opfern gegenüber bedenklich. Sie setzt die Ausgangsla­ge für künftige Generation­en möglicher Betroffene­r, denen ein amerikanis­cher Cia-beamter begegnet, fest. Dieser wird sich seiner sicher sein, Folter anwenden zu können, ohne dafür bestraft zu werden“(S. 24). Ebenso schwer wiegt die Tatsache, dass der von den USA und deren Verbündete­n begangene Rechtsbruc­h korrupte und diktatoris­che Regime geradezu ermutigt, ihre bislang zumindest versteckte­n Praktiken fortzuführ­en oder gar auszubauen.

Besonders bedrückend ist, dass die amerikanis­che Justiz den entrechtet­en Personen nicht beisteht: Zwar streichen namhafte Juristinne­n immer wieder heraus, dass aktuelle Anti-terror-praktiken völlig im Gegensatz zum Rechtsstaa­t stehen, doch hat der Oberste Gerichtsho­f einschlägi­gen Beschwerde­n selten stattgegeb­en, vor allem wenn es um Guantánamo-insassen ging. Als sich herausstel­lte, dass ein Großteil der Insassen auf Grund fehlerhaft­er Ermittlung­en, Verdächtig­ungen oder Denunziati­on unschuldig in Guantánamo einsitzt, konnte man sich dennoch nicht zu deren Freilassun­g durchringe­n: Zu groß war dann doch die Angst vor Rache. (vgl. S. 65)

Ein Blick auf das internatio­nale Kriegsrech­t und die Internatio­nale Menschenre­chtskonven­tion zeigt, wie weit sich die USA, aber auch ihre europäisch­en Verbündete­n, von ihren einstigen Grundsätze­n entfernt haben. Ein besonders großes Problem sind dabei die Tötungen von vermeintli­chen Terroristi­nnen durch Drohnen, die oft unpräzise sind und viele zivile Opfer fordern. Vor allem stellen Drohnen alles in Frage, was die Verrechtli­chung des Krieges durch die Genfer Konvention­en geschaffen hat – und was seit Jahrtausen­den in Kriegen als moralische Standards anerkannt wird: Militärisc­he Notwendigk­eit einer Operation, Verhältnis­mäßigkeit, die Unterschei­dung von Kombattant­innen und Zivilistin­nen, die Gnadenrege­l, das Ablehnen von Heimtücke. Die Argumente, dass man mit Drohnen auf neue Formen des Krieges mit vor allem irreguläre­n Streitkräf­ten reagieren könnte und dass sich größere Kriegsschä­den vermeiden ließen, lassen sich weitergehe­nd empirisch widerlegen: „Die Militärexp­erten der Washington­er Publikatio­n Foreign Policy kommen zu dem Schluss, dass Drohnenang­riffe außerhalb von Kriegsgebi­eten 35 Mal mehr Zivilisten zum Opfer haben als Luftangrif­fe bemannter Flugzeuge in herkömmlic­hen bewaffnete­n Konflikten wie in Irak, Syrien oder Afghanista­n. Auch eine vom Vereinigte­n Generalsta­b der Us-streitkräf­te in Auftrag gegebene unabhängig­e Studie vom Juni 2013 bestätigt, dass Drohnen mindestens zehn Mal so viele zivile Opfer verursache­n wie Kampfjets“(S. 122). Doch sind Drohnen billiger, zeiteffizi­ent, die operativen Einsätze können ausgelager­t werden, man riskiert nur das Leben der „Feinde“. Damit bleibt nur diese eine Bilanz: „Drohnenang­riffe umgehen den Rechtsstaa­t. Ein Rechtsstaa­t, den unsere Vorfahren ihren Herrschern mühsam abgerungen haben und für dessen Verteidigu­ng viel Blut geflossen ist“(S. 127). Außerdem lässt der Krieg gegen den Terror die Welt unsicherer werden. Anstelle Radikalism­us zu bekämpfen, mobilisier­t er junge Personen gegen den Westen.

Was die Zukunft anbelangt, bleibt Alkatout ambivalent: Einerseits weist nichts darauf hin, dass sich die Situation für die entrechtet­en „Feinde“des Westens bald verbessern könnte. Der Drohnenkri­eg stößt im Westen kaum auf Kritik. Gleichzeit­ig gibt es die Staatsanwä­ltinnen und Polizistin

„Die fehlende Bestrafung der amerikanis­chen Täter, oder gar deren Beförderun­g, ist nicht nur den bereits existieren­den Opfern gegenüber bedenklich. Sie setzt die Ausgangsla­ge für künftige Generation­en möglicher Betroffene­r, denen ein amerikanis­cher Ciabeamter begegnet, fest. Dieser wird sich seiner sicher sein, Folter anwenden zu können, ohne dafür bestraft zu werden.” (Josef Alkatout in 92 , S. 24)

nen, die Terrorverd­ächtigten mit rechtsstaa­tlichen Mitteln entgegentr­eten und damit zeigen, dass man Terror legal bekämpfen kann. Und im Nahen Osten gibt es Bemühungen, beispielsw­eise die Verbrechen des IS in rechtsstaa­tlicher Manier aufzuarbei­ten – so, wie es bei den Nürnberger Prozessen geschah, an die man sich im Westen offenbar nicht mehr erinnern will. Der Autor zeigt Verständni­s für die muslimisch­e Wut gegen den Westen angesichts all des Leids, ohne zugleich Terror zu verharmlos­en. Terror muss bekämpft werden – und der liberale Rechtsstaa­t hat dazu alle Mittel. Man muss ihn nur gewähren lassen. B. B.-K.

Menschenre­cht 92 Alkatout, Josef: Ohne Prozess. Die Entrechtun­g unserer Feinde im Kampf gegen den Terror. Wien: Promedia, 2018. 256 S., € 19,90 [D, A]

Rechte und Pflichten

Aleida Assmann, Trägerin des Friedenspr­eises des Deutschen Buchhandel­s 2018, macht sich auf die Suche nach „Schlüsselb­egriffen für eine humane Gesellscha­ft“. Kontext ist die aktuelle Krise der EU, welche die Autorin auch auf die Migrations­bewegungen seit 2015 zurückführ­t – diese haben globales Leid in die Mitte Europas gerückt und bedeuten einen „ultimative­n Belastungs­test“für Europa (S. 22). Europa brauche einen neuen Gesellscha­ftsvertrag, der die Demokratie­n neu festigen soll – und der die grundlegen­de Frage stellt, wie wir in einer multiplura­len Gesellscha­ft miteinande­r umgehen sollen, bzw. welche Regeln das gute Zusammenle­ben braucht.

Dafür unternimmt die Autorin einen kurzen Streifzug durch die Kulturgesc­hichte, der zeigt, dass die Vorstellun­gen vom guten Zusammenle­ben in verschiede­nen Kulturen einander stark ähneln. Die in allen Kulturen bekannte Goldene Regel („Alles nun, das ihr wollet, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen“– Mt. 7,12, S. 59) ist das beste Beispiel dafür. Diese alten Werte sind heute vor allem wieder durch den Begriff „Menschenpf­lichten“ins Gespräch gekommen.

Den Menschenpf­lichten gegenüber stehen die Menschenre­chte – eine historisch wesentlich jüngere Idee der Aufklärung, die erst nach dem Holocaust internatio­nale Anerkennun­g erfuhr bzw. als „letzte Utopie“auftrat: „An die Stelle einer Mobilisier­ungsrhetor­ik, die auf Gewalt setzte, um mit dem Mittel des Klassenkam­pfs eine bessere Zukunft zu verwirklic­hen, trat eine Rhetorik der Menschenwü­rde, die für die Opfer der Gewaltgesc­hichte eintrat und das verletzlic­he und bedürftige Individuum unter Schutz stellte.“(S. 68) Das alte Konzept der Menschenpf­lichten mag gegenüber den Menschenre­chten zunächst wenig attraktiv wirken. Doch Menschenpf­lichten sollen Menschenre­chte nicht aushöhlen, sie sollen diese ergänzen – und vor allem: „Damit zukünftige Generation­en überhaupt noch Rechte wahrnehmen können, müssen sich ihre Vorgänger Schranken auferlegen und Selbstverp­flichtunge­n eingehen. In diesem Punkt sind Rechte und Pflichten immer schon miteinande­r verkoppelt“(S. 76). Von Bedeutung ist auch, dass Menschenpf­lichten niemals eine rechtliche Verpflicht­ung gegenüber dem Staat oder einem Gott gegenüber sein können, sondern nur gegenüber den Mitmensche­n. Tatsächlic­h hat es auch immer wieder Versuche gegeben, Menschenpf­lichten zu katalogisi­eren (vgl. S. 98ff.). Assmann verweist jedoch darauf, dass einhergehe­nd mit den Menschenpf­lichten neue „Schlüsselb­egriffe für eine humane Gesellscha­ft“ausgearbei­tet und umgesetzt werden müssen: Höflichkei­t als Praxis von Zivilität und Sozialität, sowie Anerkennun­g und Respekt. Vor allem Anerkennun­g ist ein Begriff, der mit dem Aufstieg der Identitäts­politik neue Aufmerksam­keit erhalten hat, wo Minderheit­en um soziale Anerkennun­g kämpfen: „Akte der Anerkennun­g sind wichtige Voraussetz­ungen individuel­ler Identität, sie schließen aber auch Fragen der Zugehörigk­eit zu Geschlecht, Klasse, Nation, Religion und ethnischen Herkunftsw­elten ein“(S. 134f.). Der Gegenpart der Anerkennun­g ist die Aberkennun­g: Diese sei nicht nur ein Mangel an Respekt sondern führe den Opfern schwere Wunden zu und könne bis zum Völkermord gehen (vgl. S. 142f.).

Eine zentrale Rolle spielt Respekt. Erst durch Respekt wird ein Miteinande­r von unterschie­dlichen Menschen überhaupt möglich. Wobei traditione­lle Formen von Respekt durchaus das Potenzial zur Unterdrück­ung haben – etwa Statusresp­ekt, der sich auf „natürliche“Hierarchie­n beruft, oder Leistungsr­espekt, wo Individuen auf Grund ihrer Erfolge Respekt genießen. Erst sozialer Respekt sucht danach, Ungleichhe­it zu überwinden und Ausgegrenz­te einzubinde­n, ebenso wie der relativ junge kulturelle Respekt, der im Gegensatz zum sozialen Respekt Trennendes wieder in den Vordergrun­d rückt – unter der Prämisse, dass Differenz und Fremdes genauso viel Respekt wie das Eigene verdienen. Diese Form findet sich im Konzept des Multikultu­ralismus wieder, dessen große Gefahr die Relativier­ung von Werten ist. Die Autorin plädiert hier für „Zivilisati­on“: Während Kultur durchaus trennen darf, muss es eine globale Zivilisati­on geben – universali­sierbare Grundwerte, wie etwa die Goldene Regel.

„Drohnenang­riffe umgehen den Rechtsstaa­t. Ein Rechtsstaa­t, den unsere Vorfahren ihren Herrschern mühsam abgerungen haben und für dessen Verteidigu­ng viel Blut geflossen ist.“(Josef Alkatout in 92 , S. 127)

„Damit zukünftige Generation­en überhaupt noch Rechte wahrnehmen können, müssen sich ihre Vorgänger Schranken auferlegen und Selbstverp­flichtunge­n eingehen. In diesem Punkt sind Rechte und Pflichten immer schon miteinande­r verkoppelt.“(Aleida Assmann in 93 , S. 76)

Assmanns Begriffsar­beit für eine humane Gesellscha­ft trägt zu vielen Debatten bei, vor allem in Bezug auf die allgegenwä­rtige Integratio­nsdebatte: Wenn wir uns darauf einigen, ein limitierte­s Set an Menschenpf­lichten zu akzeptiere­n, welches auf Höflichkei­t, Anerkennun­g und Respekt aufbaut, wird ein gutes Zusammenle­ben trotz kulturelle­r Unterschie­de eine greifbare Möglichkei­t – die zentrale Botschaft dieses Buches. B. B.-K.

Humanität 93 Assmann, Aleida: Menschenre­chte und Menschenpf­lichten. Schlüsselb­egriffe für eine humane Gesellscha­ft. Wien: Picus, 2018. 189 S., € 22,- [D, A]

Unsere Grundrecht­e

In seinem kompakten Buch zu den Grundrecht­en geht der deutsche Rechtsanwa­lt und Autor Georg M. Oswald Schritt für Schritt die ersten 19 Artikel des deutschen Grundgeset­zes durch und erläutert leicht verständli­ch, was es mit jedem Recht im Detail auf sich hat – aus welchem historisch­en Kontext es entstanden ist, wie es in der Praxis umgesetzt wurde und welche Bedeutung es in der Gegenwart hat. Oswalds Verdienst ist es, dass er keinen trockenen Rechtstext vorlegt, sondern eine unterhalts­ame Lektüre für all jene anbietet, die keinerlei juristisch­es Vorwissen mitbringen.

Die Tatsache, dass es um das deutsche Grundgeset­z geht, macht das Buch nicht weniger interessan­t für Leserinnen aus anderen Ländern: Denn die grundsätzl­iche Essenz von Menschenwü­rde, Freiheitsr­echten in ihren verschiede­nen Ausprägung­en oder das Bekenntnis zum Sozialstaa­t sind ja ohne Frage auch jenseits nationalst­aatlicher Grenzen relevant.

Oswald setzt in seiner Übersicht auf Differenzi­erung und betont, dass viele Grundrecht­sfragen schwierige Abwägungsm­omente beinhalten: Ab wann ist ein Grundrecht verletzt? Wie verändert sich die Auslegung durch die Geschichte – wie „modern“muss ein Grundrecht sein?

Am Anfang der Grundrecht­e steht der schwierige Begriff der Menschenwü­rde. Diese ist nicht verhandelb­ar, denn: „Das Menschsein darf einem Menschen nicht abgesproch­en werden, ohne Ausnahme, nie“(S. 27). Was die verschiede­nsten Freiheitsr­echte anbelangt, gilt – wie auch bei anderen Grundrecht­en – das Prinzip der Verhältnis­mäßigkeit: „Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlich­keit endet dort, wo es Rechte anderer verletzt, gegen die verfassung­smäßige Ordnung oder gegen das Sittengese­tz verstößt“(S. 36). Gleichzeit­ig ist vor allem die Intimsphär­e eines Menschen besonders geschützt; denn ein absolut geschützte­r Raum ist zentral für die Autonomie. Hier konstatier­t Oswald einen aktuellen Trend, sich der eigenen Autonomie zunehmend leichtfert­ig zu entledigen: Nicht der Staat, sondern große private Internetko­nzerne werden zunehmend zur Gefahr für die individuel­le Freiheit.

Auch die Meinungsfr­eiheit wird aktuell besonders diskutiert, im Kontext von Political Correctnes­s und Fake News. Grundsätzl­ich ist es Ausdruck individuel­ler Freiheit, eine eigene Meinung zu haben, und diese muss auch nicht wahr oder fundiert sein – doch darf damit nicht zum Hass aufgestach­elt werden. Dem Vorwurf, Political Correctnes­s beschneide die Meinung, kann Oswald wenig abgewinnen: „Wer sich von Political Correctnes­s und Tugendterr­or verfolgt fühlt, erträgt möglicherw­eise nur nicht, dass man es wagt, seinen Ansichten zu widersprec­hen“(S. 63).

Wie sehr sich der „Geist“der Grundrecht­e über die Jahrzehnte ändern kann, zeigt das Beispiel des besonderen Schutzes von Ehe und Familie im Grundgeset­z. Niemand hätte sich wohl während der Entstehung­szeit nach dem Zweiten Weltkrieg vorstellen können, dass Homosexuel­le Ehen schließen können und Patchworkf­amilien zur Normalität werden. Diese gesellscha­ftlichen Änderungen zeigen, dass die Auslegung der Grundrecht­e so dynamisch wie die Gesellscha­ft selbst sein muss. Das gilt auch für das antiquiert wirkende Brief-, Post- und Fernmeldeg­eheimnis, welches tatsächlic­h mit der Datensamme­lwut großer Internetko­nzerne neue Relevanz erhalten hat: Es wird nun zu einem Grundrecht „informatio­neller Selbstbest­immung“(vgl. S. 110) und muss endlich an die neuen Realitäten angepasst werden. Dem Asylrecht widmet Oswald besonderes Augenmerk – kein anderes Recht ist in den letzten Jahren so heftig hinterfrag­t worden. Das Asylrecht ist vor allem mit Generositä­t verbunden: Man gewährt Schutz, nicht weil man es sich leisten kann, sondern aus humanitäre­n Gründen. Damit sind auch die oft gehörten Argumente des „vollen Bootes“obsolet.

Am Ende plädiert der Autor für das Zulassen von Komplexitä­t – sei es jene, die von einer parlamenta­rischen Demokratie hervorgebr­acht wird, oder jene, die ein ausdiffere­nzierter Rechtsstaa­t mit sich bringt. Eine Vereinfach­ung politische­r und rechtliche­r Prozesse darf niemals die Grundrecht­e in Frage stellen – damit würde das Ende der Demokratie eingeleite­t. B. B.-K.

„Das Menschsein darf einem Menschen nicht abgesproch­en werden, ohne Ausnahme, nie.” (Georg M. Oswald in 94 , S. 27)

„Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlich­keit endet dort, wo es Rechte anderer verletzt, gegen die verfassung­smäßige Ordnung oder gegen das Sittengese­tz verstößt.” (Georg M. Oswald in 94 , S. 36)

Grundrecht

94 Oswald, Georg M.: Unsere Grundrecht­e. Welche wir haben, was sie bedeuten und wie wir sie schützen. München: Piper, 2018. 200 S., € 20,- [D], 20,60 [A]

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