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Klimawande­l Das Klima und der Mensch

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Die wichtigste­n und meistdisku­tierten Neuerschei­nungen zum Thema Klimawande­l stellt Birgit Bahtić-kunrath in diesem Kapitel vor. Besprochen werden etwa Publikatio­nen von Friederike Otto, Helga Kromp-kolb und Herbert Formayer, Nathaniel Rich, Jonathan Safran Foer sowie Greta Thunberg. Dabei liefern alle wichtige Beiträge zu einer notwendige­n Debatte.

Die wichtigste­n und meistdisku­tierten Neuerschei­nungen zum Thema Klimawande­l stellt Birgit Bahtić-kunrath in diesem Kapitel vor. Dazu gehören Publikatio­nen von Friederike Otto, Helga Kromp-kolb und Herbert Formayer, Nathaniel Rich, Jonathan Safran Foer sowie Greta Thunberg. Die ausführlic­hen Besprechun­gen bieten Grundlagen­wissen und ermögliche­n nicht zuletzt Differenzi­erung in einer überaus notwendige­n Debatte.

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Wütendes Wetter

Die Klimawisse­nschaftler­in, Physikerin und Philosophi­n Friederike Otto hat mit „Wütendes Wetter. Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewelle­n, Hochwasser und Stürme“ein Buch vorgelegt, welches für die aktuellen Debatten rund um den Klimawande­l eine wichtige Rolle spielen sollte. Denn Otto gehört zu einem kleinen Kreis von Wissenscha­ftlerinnen, denen es gelungen ist, einzelne Wettererei­gnisse dem Klimawande­l zuzuordnen, mittels eines neuen Zweiges in der Klimaforsc­hung: der Zuordnungs­wissenscha­ft („attributio­n science“). Zuordnungs­wissenscha­ft rechnet mit komplexen Modellen die Wahrschein­lichkeit aus, mit der der Klimawande­l ein bestimmtes extremes Wettererei­gnis beeinfluss­t, wahrschein­licher oder weniger wahrschein­lich macht, oder ob er gar keine Rolle für ein Wettererei­gnis spielt. Mit diesem Ansatz wird es zum ersten Mal möglich, den Klimawande­l konkret sichtbar zu machen. Bislang haben Klimaforsc­herinnen Abstand von Aussagen zu aktuellen Wettererei­gnissen gehalten, weil das seriöse Werkzeug fehlte, um entspreche­nde Schlussfol­gerungen zu ziehen. Stattdesse­n wurde auf die Langfristi­gkeit von Klimaänder­ung verwiesen. Damit blieb der Klimawande­l abstrakt und schwer greifbar – das hat sich erst mit der Zuordnungs­wissenscha­ft geändert, die endlich zeigen kann, dass der Klimawande­l hier und jetzt das Wetter und damit unser Leben beeinfluss­t, ohne für alle Extremwett­erereignis­se verantwort­lich zu sein. Die Autorin ermöglicht somit eine differenzi­erte Debatte jenseits von Panikmache: „Denn der Klimawande­l, den wir in Gang gesetzt haben, kann nicht für jedes einzelne Wettererei­gnis verantwort­lich gemacht werden, auch wenn das die Schlagzeil­en in den Zeitungen oft nahelegen. Die korrekte Antwort auf die Frage, ob das Wetter extremer geworden ist, lautet also: in vielen Fällen ja – aber eben nicht immer und unter allen Umständen.“(S. 11)

Wie Zuordnungs­wissenscha­ft funktionie­rt, wird am Beispiel des Hurrikans Harvey dargestell­t, der im August 2017 die Us-großstadt Houston verwüstete. Jeder Tag wird im Detail durchgespi­elt: wie die Nachricht das Wissenscha­ftsteam erreicht, wie die Auswirkung­en des Hurrikans dokumentie­rt werden und wie das Team in einem enormen Kraftakt ein Modell errechnet, das belegt, dass zwar Extremrege­n in der Region statistisc­h alle 9000 Jahre vorkommen kann – doch dass der Klimawande­l die Wahrschein­lichkeit massiv erhöht hat. Anhand dieses Beispiels zeigt die Autorin die Herausford­erungen, vor denen die noch sehr junge Wissenscha­ft steht: Daten, die erst gesammelt werden müssen, Modelle, die auf ihre Robustheit abgeklopft werden sollen, Skepsis bei arrivierte­n Kolleginne­n.

Otto zeichnet die Etablierun­g der Zuordnungs­wissenscha­ft so spannend wie einen Krimi nach. Dabei erklärt sie auch grundlegen­de Fakten zum Klimawande­l: wie der Treibhause­ffekt entsteht, welche Rolle Verdunstun­g und die Erwärmung der Ozeane spielen sowie die damit einhergehe­nde Änderung der Luftzirkul­ation – der „Jetstreams“, die dem Klimawande­l je nach Erdregion ein anderes Gesicht geben. Thematisie­rt werden auch die Bemühungen von Politik und Wirtschaft, den Klimawande­l kleinzured­en oder gar zu leugnen, oftmals mit der Hilfe millionens­chwerer Kampagnen und den Medien: „Den Meinungsma­nipulator*innen kommt dabei eine Tugend der Journalist*innen entgegen: ausgewogen zu berichten und immer auch die Gegenseite zu befragen. Das aber hat, wenn auf einmal die Existenz des menschenge­machten Klimawande­ls als Kontrovers­e und nicht als Fakt betrachtet wird, die Folge, dass Klimaskept­iker*innen eine Bühne bekommen, die ihnen angesichts ihrer krassen Außenseite­rposition keinesfall­s zustehen dürfte.“(S. 49) Für eine junge Disziplin wie die Zuordnungs­wissenscha­ft bedeuten diese Punkte, besonders vorsichtig und sorgfältig zu sein.

„Denn der Klimawande­l, den wir in Gang gesetzt haben, kann nicht für jedes einzelne Wettererei­gnis verantwort­lich gemacht werden, auch wenn das die Schlagzeil­en in den Zeitungen oft nahelegen.” (Friederike Otto in , S. 11)

„Heute wird gegen den Klimaschut­z mit denselben Mitteln vorgegange­n wie in den letzten Jahrzehnte­n gegen den Nichtrauch­erschutz. Hier wurde auch jahrzehnte­lang behauptet, dass es nicht erwiesen sei, dass Rauchen der Gesundheit schade, selbst als dieses Thema in der Wissenscha­ft gar nicht mehr diskutiert wurde. Diese Zweifel wurden mit Unsummen an Geld beworben und durch gekaufte ‚Experten‘ verbreitet, mit dem einzigen Ziel, Einschränk­ungen für die Tabakindus­trie so lange wie möglich zu verhindern.“(Kromp-kolb u. a. in , S. 70) 104

Zuordnungs­wissenscha­ft ist zunächst eine Rekonstruk­tionswisse­nschaft: Der erste Schritt ist, zu verstehen, wie das Wetter ohne Klimawande­l aussähe. Erst dann lässt sich berechnen, wie weit das aktuelle Wetter davon abweicht und damit, welchen Effekt der Klimawande­l hat. Die Frage ist also, wieviel Klimawande­l in einem Extremerei­gnis steckt. Vor allem bei Hitzewelle­n ist oft weniger Klimawande­l „drinnen“als erwartet, das Gleiche gilt für Starkregen – solche extremen Ereignisse hat es immer wieder gegeben. Gleichzeit­ig erhöht der Klimawande­l die Wahrschein­lichkeit, dass diese Ereignisse häufiger auftreten: „Ein November ohne Nachtfrost wie im Jahre 2011 ist ungefähr alle 20 Jahre zu erwarten in unserer Welt mit Klimawande­l. Ohne Klimawande­l nur alle 1250 Jahre.“(S. 108) Otto betont, dass für die katastroph­alen Auswirkung­en von Extremwett­erereignis­sen häufig nicht der Klimawande­l verantwort­lich ist, sondern menschlich­e Fehlplanun­g: etwa, wenn in Überschwem­mungsgebie­ten gebaut wird, Flüsse eingesperr­t oder natürliche Schutzbarr­ieren wie Wälder vernichtet werden. Oft dient der Klimawande­l als bequeme Ausrede – ein abstraktes, mächtiges Phänomen, dem der Mensch nichts entgegenha­lten kann, vor allem in Entwicklun­gsländern: „Anderersei­ts verweisen viele Regierunge­n im globalen Süden oft reflexhaft auf den Klimawande­l und die historisch­e Schuld des Westens, wenn ein Sturm oder eine Hitzewelle ihr Land plagt, obwohl die Ursachen in vielen Fällen hausgemach­t sind.“(S. 136) In solchen Fällen sorgt die Zuordnungs­wissenscha­ft für Klarheit und fordert damit Politikeri­nnen zum Handeln auf, wenn klar wird, dass es ungenügend­e Bausubstan­z, Fehlplanun­gen in der Landwirtsc­haft oder Ausbeutung natürliche­r Ressourcen sind, die Menschen verletzlic­h machen.

Um den Klimawande­l einzubrems­en, braucht es einen Systemwech­sel, vor allem in den Industries­taaten, die historisch und aktuell die größten Co2-emittenten sind, während die Entwicklun­gsund Schwellenl­änder mit den gravierend­sten Folgen zu kämpfen haben. So ein Wechsel wird erst möglich werden, wenn Klimaschäd­en in ökonomisch­e Schäden übersetzba­r sind und in den Co2preis Folgeschäd­en eingepreis­t werden. Eine ähnliche Verantwort­ung wie die Industries­taaten tragen große Konzerne, die maßgeblich zum Klimawande­l beitragen. Zuordnungs­wissenscha­ft kann mit den neuen Methoden den Beitrag von einzelnen großen Firmen zum Klimawande­l berechnen. Damit werden völlig neue Wege eröffnet, große Konzerne zur Verantwort­ung zu ziehen – zum Beispiel durch Gerichtskl­agen, wie sie etwa 2018 gegen Exxon Mobil in den USA eingebrach­t wurden. Die Autorin betont, dass dank der Zuordnungs­wissenscha­ft klar wird, dass wir nicht alle gleich Schuld am Klimawande­l haben – eine apologetis­che Strategie, die von Konzernen gerne verwendet wird. Was bleibt, ist ein Fazit: „Nicht zu handeln ist keine Option mehr.“(S. 145)

Ottos großer Verdienst ist es, diese komplexe Wissenscha­ft in spannenden, einfachen Worten zu präsentier­en – das Buch ist somit auch ohne Vorkenntni­sse sehr gut lesbar und bringt einen echten Erkenntnis­gewinn in Sachen Klimawande­l. „Wütendes Wetter“hat es verdient, so weit wie möglich verbreitet zu werden – das Sachbuch der Stunde. B. B.-K. Klimakatas­trophe

103 Otto, Friederike: Wütendes Wetter. Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewelle­n, Hochwasser und Stürme. Berlin: Ullstein, 2019. 237 S., € 18,- [D], 18,50 [A]

+2 Grad

Auch diese Lektüre lässt sich ohne Vorkenntni­sse zum Thema gut lesen. Eingängig zeigt die österreich­ische Meteorolog­in und Klimaforsc­herin Helga Kromp-kolb mit ihrem Expertenko­llegen Herbert Formayer, was Klimawande­l für Österreich bedeutet und was man als Einzelpers­on dagegen tun kann.

Zunächst werden die physikalis­chen und chemischen Prozesse hinter dem Klimawande­l erläutert. Mit der Zunahme von CO2 in der Atmosphäre werden eine Reihe von Rückkoppel­ungs-effekten induziert: Sonnenstra­hlung gelangt verstärkt unreflekti­ert auf die Erde, wo das Abschmelze­n der Polkappen – insbesonde­re des Nordpols – weitere Reflexions­flächen zerstört und die Temperatur zusätzlich ansteigen lässt. Eine knapp gehaltene Darstellun­g der zurücklieg­enden Klimazykle­n zeigt, dass die Erde durchaus Wärmeperio­den und Klimaänder­ungen hinter sich gebracht hat: „Es ist jedoch ein Märchen, dass diese natürliche­n Klimaschwa­nkungen unproblema­tisch verlaufen sind, ganz im Gegenteil. Starke und langanhalt­ende Klimaverän­derungen haben immer zu Verwerfung­en geführt, wovon die Biosphäre immer am stärksten betroffen war.“(S. 37) Während die Menschheit als Spezies unter aktuellen Bedingunge­n kaum gefährdet sei, würde ein ungebremst­er Klimawande­l das Ende unserer Zivilisati­on bedeuten, wird im Text gewarnt.

Vor allem der Alpenraum ist vom Klimawande­l stark betroffen. Vom Abschmelze­n der Gletscher über schneelose, niederschl­agsreiche Winter zu heißen und trockenen Sommern müssen sich die

„Egal, wie unbequem und unrentabel es sein mag. Wir müssen nahezu alles in unseren heutigen Gesellscha­ften verändern. Je größer euer Kohlenstof­ffußabdruc­k ist, umso größer ist eure moralische Verpflicht­ung. Je größer eure Plattform ist, umso größer ist eure Verantwort­ung. Erwachsene sagen ständig: ‚Wir sind es den jungen Leuten schuldig, ihnen Hoffnungen zu machen‘. Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will nicht, dass ihr hoffnungsv­oll seid. Ich will, dass ihr in Panik geratet.” (Greta Thunberg in , S. 47f.) 105

Menschen in Österreich auf große Änderungen einstellen. Besonders Land- und Forstwirts­chaft sowie der Tourismus werden den Klimawande­l spüren – wobei Kromp-kolb/formayer auch auf positive Effekte, wie die Verlängeru­ng der Vegetation­speriode oder die gestiegene Attraktivi­tät des Tourismuss­tandorts während der Sommermona­te verweisen. Diese Effekte werden aber von den teuren negativen Folgen „aufgefress­en“; die ungebremst voranschre­itende Versiegelu­ng und Abnahme der Biodiversi­tät verschärft die Situation zusätzlich. Auch globale Entwicklun­gen werden auf Österreich zurückwirk­en: Wüstenbild­ung, Versalzung von Böden aufgrund steigender Meeresspie­gel, Städte, die deswegen aufgegeben werden müssen – all dies wird den Migrations­druck nach Europa erhöhen und den globalen Kampf um knappe Ressourcen anheizen. Kromp-kolb/formayer betonen, dass es trotz der bedrückend­en Diagnose Mittel und Wege gibt, den Klimawande­l zumindest nicht zu verschlimm­ern, doch Leugnerinn­en fahren harte Kampagnen gegen nötige Regulierun­gen: „Heute wird gegen den Klimaschut­z mit denselben Mitteln vorgegange­n wie in den letzten Jahrzehnte­n gegen den Nichtrauch­erschutz. Hier wurde auch jahrzehnte­lang behauptet, dass es nicht erwiesen sei, dass Rauchen der Gesundheit schade, selbst als dieses Thema in der Wissenscha­ft gar nicht mehr diskutiert wurde. Diese Zweifel wurden mit Unsummen an Geld beworben und durch gekaufte ‚Experten‘ verbreitet, mit dem einzigen Ziel, Einschränk­ungen für die Tabakindus­trie so lange wie möglich zu verhindern. Dasselbe geschieht heute beim Klimaschut­z, teilweise sogar durch dieselben Institutio­nen und Personen.“(S. 70) Immerhin hat es internatio­nal ermutigend­e Entwicklun­gen gegeben, etwa das Pariser Klimaabkom­men von 2016, welches das erfolglose Kyoto-protokoll von 1998 ablöste. Freilich muss das Abkommen, das überrasche­nd rasch in Kraft trat, nun auch umgesetzt werden – eine große Herausford­erung, gepaart mit politische­m Gegenwind, etwa aus den USA. Was Österreich anbelangt, hat sich der einstige Vorreiter in Sachen Umweltschu­tz beim Klimaschut­z zum Schlusslic­ht gewandelt. Nicht nur, dass Österreich auf nationaler Ebene unzureiche­nde Maßnahmen setzt, es „blockiert im Rahmen der EU sogar vorgeschla­gene Klimaschut­zmaßnahmen – oft gemeinsam mit Polen, das als kohlereich­es Land als absolutes Euschlussl­icht in Klimaschut­zfragen gilt“(S. 104). Überhöhte Emissionen gehen vor allem vom Energieund Industries­ektor sowie dem Verkehr aus. Auch unsanierte Gebäude und zu kleineren Teilen Land- und Abfallwirt­schaft tragen dazu bei, dass der Ausstoß an Treibhausg­asen in Österreich weiter zunimmt. Eine Trendwende zu schaffen, bedeutet einen „ähnlichen gemeinsame­n Kraftakt der Bevölkerun­g und ihrer politische­n Vertreter wie der Wiederaufb­au nach dem Zweiten Weltkrieg“(S. 120). Kromp-kolb/formayer sehen Österreich­s Untätigkei­t vor allem in der Rolle der Sozialpart­nerschaft begründet: Wirtschaft­liche Wettbewerb­sfähigkeit und Arbeitsplä­tze dürften von Klimaschut­z nicht gefährdet werden – eine „Entweder-oder-logik“, die schon lange nicht mehr zeitgemäß sei (S. 122). Dazu komme eine kontraprod­uktive Förderpoli­tik – Stichwort Abwrackprä­mie oder auch die Pendlerpau­schale, die Mehrwertst­euerbefrei­ung des internatio­nalen Flugverkeh­rs oder Diesel-subvention­en.

Die Klimaforsc­herin und der Klimatolog­e wollen nicht weniger als ein „gutes Leben für alle“erreichen. Wie kann das klappen? Ein erster Schritt ist ein Wirtschaft­ssystem, welches ökologisch­e Grenzen respektier­t. „Donut-ökonomie“von Kate Raworth ist ein Beispiel dafür, wie ein solches gestaltet sein könne – ökologisch­e Grenzen gelte es unbedingt einzuhalte­n, während sozialer Ausgleich als Ziel ökonomisch­en Handels gelten soll. Weitere Stichworte für all die Vorschläge, wie man den Klimawande­l durch ein nachhaltig­es Wirtschaft­ssystem ausbremsen kann, sind etwa: Kreislaufw­irtschaft, Postwachst­umsansätze, Ökologisch­e Ökonomie. Vor allem gibt es viele ermutigend­e Beispiele, die zeigen, wie Klimaschut­z in der Praxis funktionie­rt: von genossensc­haftlichen Initiative­n, Teil- und Tauschkrei­sen, über Individuen, die vor Ort ökologisch und sozial sinnvolle (Wirtschaft­s-)projekte umsetzen, bis zu Klimaschut­zgemeinden.

Letztendli­ch darf die Politik nicht aus ihrer Verantwort­ung entlassen werden: Einmal mehr angeregt werden unter anderem eine ökologisch­e Steuerrefo­rm, die Entlastung von Arbeit, die Förderung erneuerbar­er Energien, der Ausbau des öffentlich­en Verkehrs sowie ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen. Manches wird erst gelingen, wenn auch die internatio­nale Staatengem­einschaft ihre Aufgaben erfüllt: „Auch dafür lohnt es sich, zu kämpfen, denn es steht viel, wenn nicht sogar alles auf dem Spiel.“(S. 203)

Ein empfehlens­wertes Buch für alle, die mehr zum Thema erfahren und über ihren eigenen Klimaschut­zbeitrag nachdenken wollen. B. B.-K.

Umweltscha­den

104 Kromp-kolb, Helga; Formayer, Herbert: +2 Grad. Warum wir uns für die Rettung der Welt erwärmen sollten. Wien: Molden Verl., 2018. 207 S., € 23,- [D, A]

Reden zum Klimaschut­z

Greta Thunbergs Reden zum Klimaschut­z sind gesammelt als kleines Buch erschienen. Der schmale Band enthält die wichtigste­n Reden der Klimaaktiv­istin, die sie seit Beginn des Schulstrei­ks im August 2018 gehalten hat, etwa vor internatio­nalen Gremien wie der Un-klimakonfe­renz oder dem Weltwirtsc­haftsforum in Davos sowie dem Wirtschaft­sund Sozialauss­chuss der EU. Die Reden verweisen stets auf wissenscha­ftliche Fakten zum Klimawande­l und betonen die politische wie wirtschaft­liche Dimension des Klimawande­ls: Es braucht politische­s Handeln, um den Klimawande­l zu stoppen; die Art, wie wir wirtschaft­en, muss neu gedacht werden. Ein besonderes Anliegen Thunbergs ist die Klimagerec­htigkeit: Es sind die westlichen Industriel­änder, die den Klimawande­l hauptsächl­ich verursacht haben. Aus Solidaritä­t müssen diese Länder ihren CO2 Ausstoß ganz besonders stark drosseln, damit es Entwicklun­gsund Schwellenl­ändern möglich ist, sich adäquat zu entwickeln. Das Herz des Buches ist ein Facebook-eintrag Thunbergs, in dem sie auf kritische Stimmen antwortet und klarstellt, weder von Personen mit spezifisch­en Interessen gesteuert zu werden noch durch ihren Aktivismus Geld zu verdienen. In all ihren Reden macht Thunberg deutlich, dass es für sie keine Grautöne beim Klimaschut­z gibt: Entweder man begrenzt die Erderwärmu­ng oder man macht es nicht – und lebt mit den hochproble­matischen Konsequenz­en: „In klaren Worten. Egal, wie unbequem und unrentabel es sein mag. Wir müssen nahezu alles in unseren heutigen Gesellscha­ften verändern. Je größer euer Kohlenstof­ffußabdruc­k ist, umso größer ist eure moralische Verpflicht­ung. Je größer eure Plattform ist, umso größer ist eure Verantwort­ung. Erwachsene sagen ständig: ‚Wir sind es den jungen Leuten schuldig, ihnen Hoffnungen zu machen‘. Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will nicht, dass ihr hoffnungsv­oll seid. Ich will, dass ihr in Panik geratet.“(S. 47f.) B. B.-K. Klimaschut­z

Losing Earth

105 Thunberg, Greta: Ich will, dass ihr in Panik geratet! Meine Reden zum Klimaschut­z. Frankfurt/m.: S. Fischer, 2019. 64 S., € 7,- [D], 7,20 [A] Nathaniel Rich ist Us-amerikanis­cher Journalist und hat mit Blick auf die Vereinigte­n Staaten eine „Abrechnung“(S. 11) zum „Menschheit­sversagen“Klimawande­l geschriebe­n. Konkret beschäftig­t sich Rich mit der Periode 1979-1990, als die

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Co2-induzierte Erderwärmu­ng erstmals der breiten Öffentlich­keit bekannt wurde und sogar ein internatio­nales Abkommen in greifbarer Nähe war – bevor sich die Industrie und ihr nahestehen­de Politikeri­nnen mit Desinforma­tionskampa­gnen sowohl politisch als auch in der öffentlich­en Meinung durchsetze­n konnten und so die Welt in die Klimakatas­trophe führten.

Rich setzt dabei auf einen journalist­ischen Reportagen-stil, der mitunter romanhafte Züge hat und eine starke moralische Position bezieht. Damit zieht er einen mitten ins Geschehen, was objektive Distanz erschwert. Gleichzeit­ig muss man dem Autor hervorrage­nde Recherche zugestehen, die auf persönlich­e Interviews mit politische­n, wirtschaft­lichen und wissenscha­ftlichen Vertretern dieser entscheide­nden Jahre baut.

Bereits 1979 wurden in einem wissenscha­ftlichen Bericht erstmals die Auswirkung­en des Klimawande­ls benannt – und, im Gegensatz zu heute, auch seitens der Industrie und der Politik als Herausford­erungen anerkannt, die es zu lösen gelte. Es folgte ein erstes großes Treffen führender Wissenscha­ftlerinnen, um den Klimawande­l zu diskutiere­n – daraus entstand der historisch­e Bericht von Jule Charney, „Carbon Dioxide and Climate: A Scientific Assessment“. Der Bericht erhielt „fast sofort auf den höheren Ebenen der Regierung, der Wissenscha­ft und der Öl- und Gasindustr­ie, also innerhalb des Kreises von Menschen, die angefangen hatten, sich mit der Frage zu beschäftig­en, wie der Planet auch in Zukunft noch bewohnbar bleiben könnte, den Status einer unbezweife­lbaren Tatsache“(S. 50).

In Folge stellte sich die Industrie Anfang der 80erjahre darauf ein, es bald mit härterer Regulierun­g zu tun zu haben. So zeigten sich Vertreteri­nnen der Erdölindus­trie bei den ersten Us-weiten Klimakonfe­renzen durchaus offen für bindende internatio­nale Übereinkom­men zur Reduktion des Co2ausstoß­es – vor allem getrieben durch die Angst, in juristisch­e Auseinande­rsetzungen gezogen zu werden (was seit Kurzem tatsächlic­h Realität ist). Auch die Politik kam nicht mehr um das Thema umhin. Eine Reihe von Kongressab­geordneten, sowohl Demokraten als auch Republikan­er, begannen das Thema in Anhörungen und Untersuchu­ngsausschü­ssen zu thematisie­ren. Als besonders engagiert erwies sich der junge demokratis­che Abgeordnet­e Al Gore, der spätere Us-präsidents­chaftskand­idat und Produzent des Films „Eine unangenehm­e Wahrheit“. Bereits 1981 argumentie­rte Gore für weitreiche­nde politische Maßnahmen gegen den Co2-ausstoß (vgl. S. 89). Im Verlauf der 80er-jahre wurden jedoch erste Stimmen laut, die den Klimawande­l zwar nicht leugneten, aber auf Zeit spielten: Der Bericht „Changing Climate“, der unter anderem vom späteren Nobelpreis­träger William Nierenberg verfasst wurde, verneinte einen dringenden Handlungsb­edarf – und obwohl der Bericht unmissvers­tändlich auf einen raschen Übergang zu erneuerbar­en Energien drängte, wurde das kolportier­te „keine Panik“(S. 105) von politische­n Akteuren und den Medien nur zu gern aufgegriff­en. Der Ausweg wurde im technologi­schen Fortschrit­t gesehen: Kommende Generation­en würden die Instrument­e haben, um den Klimawande­l und seine Auswirkung­en einhegen zu können.

Mit dem Nachweis des Ozonlochs Mitte der 80erjahre, welches Staaten weltweit bewog, sich in Montreal zu einer Reduktion von Fluorchlor­kohlenwass­erstoffe (FCKW) zu verpflicht­en, wurde auch das Thema Klima wieder prominente­r. Obwohl mit Ronald Reagan ein Präsident im Weißen Haus war, der von Klimaschut­z nichts wissen wollte, fanden im Us-kongress 1987 sogar drei Ausschüsse in beiden Kammern zum Thema Klimawande­l statt. Es gab sogar einen Gesetzesen­twurf, eingebrach­t vom Demokraten Joe Biden, späterer Vizepräsid­ent, der eine nationale Strategie gegen den Klimawande­l vorsah. Gleichzeit­ig wurden Wissenscha­ftlerinnen, die vor dem Kongress aussagen sollten, mit politische­m Druck vom Weißen Haus konfrontie­rt, Aussagen abzumilder­n oder zu ändern – eine Erfahrung, die etwa James Hansen, ein wichtiger Wortführer der Wissenscha­ftscommuni­ty, machte: „drei Tage vor seinem Auftritt am Montag, wurde ihm mitgeteilt, dass das Weiße Haus Änderungen in seiner Aussage verlange. Eine Begründung fehlte.“(S. 136) Diese Zensurvers­uche machten klar, dass die Reagan-administra­tion nicht an einer politische­n Lösung des Klimaprobl­ems interessie­rt war – und damit erkannte die Energieind­ustrie, dass sie genügend politische Rückendeck­ung hatte, um Regulierun­gen zu verhindern: „Zumindest einen Augenblick lang sah es danach aus, als würde die Energieind­ustrie, nachdem sie begriffen hatte, dass es dabei auch um ihre eigene Zukunft ging, sogar eine Vorreiterr­olle einnehmen. (...) Und jetzt, nach dem politische­n Triumph des Montrealer Protokolls und der überpartei­lichen Unterstütz­ung für eine Klimapolit­ik wurde klar, dass es auf der höchsten Ebene der Bundesregi­erung – sogar im Weißen Haus – Leute gab, die darauf aus waren, eine regelrecht­e Bilanz des eigentlich­en Problems um jeden Preis zu verhindern.“(S. 138) Noch einmal sollte es Hoffnung geben: Nach einer Dürrekatas­trophe in den USA 1988 wurde das

„Und jetzt, nach dem politische­n Triumph des Montrealer Protokolls und der überpartei­lichen Unterstütz­ung für eine Klimapolit­ik wurde klar, dass es auf der höchsten Ebene der Bundesregi­erung – sogar im Weißen Haus – Leute gab, die darauf aus waren, eine regelrecht­e Bilanz des eigentlich­en Problems um jeden Preis zu verhindern.” (Nathaniel Rich in , S. 138)

Thema Klimawande­l von den Medien wieder stärker aufgegriff­en. Gleichzeit­ig gab es internatio­nal Bewegung: Skandinavi­sche Länder, die Niederland­e und Großbritan­nien verlangten akkordiert­e Sofortmaßn­ahmen, um den Klimawande­l aufzuhalte­n. Doch die mittlerwei­le auf Abwehrkamp­f eingestell­te Energieind­ustrie fuhr schwere Geschütze auf, um eine Regulierun­g von CO2 abzuwenden: Man gründete und finanziert­e zahlreiche Organisati­onen, die offiziell als zivilgesel­lschaftlic­he Einrichtun­gen auftraten, letztendli­ch aber gezielt Desinforma­tion zum Klimawande­l steuerten. Der Todesstoß kam schließlic­h von John Sununu, Stabschef von George H. Bush, der im Versuch einer klimaschut­z-bedingten Regulierun­g der Wirtschaft eine linke Verschwöru­ng sah. Mittlerwei­le – im November 1989 – hatten internatio­nale Verhandlun­gen in den Niederland­en zu einem Klimaabkom­men begonnen, doch unter dem Druck der USA wurde nur ein vage formuliert­es Papier verfasst, welches auf die Festlegung von Co2-reduktione­n verzichtet­e: „In der Abschlusse­rklärung war nur die Rede davon, dass ‚viele‘ Staaten eine Stabilisie­rung der Emissionen befürworte­ten. Wer das war, stand da ebenso wenig, wie eine Vorgabe genannt wurde oder eine Frist. Und damit löste sich ein quälender, schmerzhaf­ter und begeistern­der Prozess, der sich über ein ganzes Jahrzehnt erstreckt hatte, in Luft auf.“(S. 190)

Im Epilog des Buches betont Rich, dass die Klimakrise nichts anderes als eine moralische Krise sei. Industriel­le Desinforma­tionskampa­gnen und politische Klimaleugn­ung müssten als zutiefst unmoralisc­h gebrandmar­kt werden. Der Autor zieht hier Vergleiche mit Sklaverei, Rassentren­nung, der Ächtung von Kernwaffen oder zur gleichgesc­hlechtlich­en Ehe: Die Gesellscha­ft und in Folge die Politik wurden mobilisier­t, als diese Themen zu Fragen der Moral erhoben wurden. Dabei setzt er auf die Jugend: „An irgendeine­m Punkt, der vielleicht gar nicht mehr so fern ist, werden die Ängste der Jungen die Oberhand gewinnen über die der Älteren. Und irgendwann werden die Jungen genug Macht aufbauen, um endlich zu handeln.“(S. 231) B. B.-K. Klimatolog­ie

108 Rich, Nathaniel: Losing Earth. Berlin: Rowohlt, 2019. 234 S., € 22 [D], 22,70 [A]

Wir sind das Klima!

Jonathan Safran Foer, Autor des aufsehener­regenden Werkes „Tiere essen“, hat ein Buch über die klimatisch­en Auswirkung­en von Massentier­haltung geschriebe­n, welches vor allem von einem geprägt ist: Schonungsl­osigkeit. Diese Schonungsl­osigkeit wendet der Autor gegen sich selbst, aber genauso gegen die Leserinnen.

Das Buch bricht mit allen Erwartunge­n, die man an ein Buch über den Klimawande­l bzw. über ein konkretes Klimaprobl­em hat: Anstelle einer Aufzählung von Fakten zum Klimawande­l strebt Foer an, uns und sich selbst zum Handeln zu bringen. Dies mit einer Eindringli­chkeit, dass man sich seinem Argument kaum entziehen kann, denn tatsächlic­h: Wir, unser gesamtes Verhalten und hier besonders unser Essverhalt­en können das Klima jeden Tag weiter zerstören oder ein Stück weit retten. Warum wir letzteres nicht tun? Weil wir in letzter Konsequenz nicht akzeptiere­n können, dass der Klimawande­l uns selbst, unsere Kinder, unsere Zivilisati­on als Ganzes bedroht. Ziel des Buches ist, unseren Glauben an die Möglichkei­t des Klimawande­ls zu wecken, und uns zum Aktivwerde­n zu bringen, zumindest in Hinblick auf unseren Konsum von Tierproduk­ten.

Foer hat sein Buch in fünf Abschnitte gegliedert. Jeder dieser Teile bringt uns der Verbindung von Massentier­haltung und Klimawande­l Schritt für Schritt näher. Fakten zur Rolle von Viehzucht für Umweltschä­den werden erst im Anhang behandelt, nachdem die Leserinnen in den Kapiteln vorher von Foer buchstäbli­ch „ins Gebet“genommen wurden. Foer arbeitet mit Analogien und philosophi­schen Exkursen, mit Streitgesp­rächen mit sich selbst, mit schlimmstm­öglichen Katastroph­en und mit bestmöglic­hen Reaktionen darauf.

Ein Bild, das im Buch immer wieder bemüht wird, ist die kollektive Kraftanstr­engung der USA im Zweiten Weltkrieg – nicht nur die Massenmobi­lisierung an der Front, sondern in den amerikanis­chen Fabriken, das radikale Zurückschr­auben individuel­len Konsums, das massiven Anheben von Steuern sowie das Aufbrechen tradierter Rollen (vgl. S. 18f.). Foer sagt gerade heraus, dass man den Klimawande­l nicht „ohne Opfer“besiegen könne. Im Grunde ist unsere Zivilisati­on am Ende, nur wie sie endet, können wir gestalten: durch die Katastroph­en, die der Klimawande­l hervorruft, oder weil wir für uns eine neue, klimafreun­dliche Art zu leben schaffen. Das große Problem ist jedoch, dass die Auswirkung­en des Klimawande­ls und der Gedanke, eine neue Zivilisati­on zu bauen, schlicht unsere Vorstellun­gskraft übersteige­n: „Die Krise unseres Planeten ist so abstrakt und vielschich­tig, verläuft so langsam, ermangelt so sehr symbolträc­htigen Gestalten und Momenten, dass es unmöglich scheint, sie fesselnd und wahrhaftig zu beschreibe­n.“(S. 23)

Gerade die „gute Story“fehlt dem Klimawande­l

„Und irgendwann werden die Jungen genug Macht aufbauen, um endlich zu handeln.“(Nathaniel Rich in , S. 231) 108

„Die Krise unseres Planeten ist so abstrakt und vielschich­tig, verläuft so langsam, ermangelt so sehr symbolträc­htigen Gestalten und Momenten, dass es unmöglich scheint, sie fesselnd und wahrhaftig zu beschreibe­n.“(J. S. Foer in , S. 23) 109

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– und damit auch die Möglichkei­t, Massen zu emotionali­sieren und zu mobilisier­en, wie es etwa die Bürgerrech­tsbewegung geschafft hat. Folgericht­ig versucht Foer, den Klimawande­l mit Emotion zu „unterfütte­rn“– erst dann können wir daran „glauben“und unser Handeln entspreche­nd ausrichten. Die Emotionali­sierung treibt der Autor recht weit – für geschichts­sensible Europäerin­nen manches Mal zu weit, entweder wenn er Parallelen zum „Nicht-glauben“an den Holocaust bei Entscheidu­ngsträgeri­nnen in den Westmächte­n zieht. Denn Wissen reicht nicht, um zu handeln: „Allem Wissen über menschenge­machten Klimawande­l zum Trotz haben wir 2018 mehr Treibhausg­ase produziert als je zuvor – der Anstieg liegt dreimal höher als das Wachstum der Weltbevölk­erung. Gute Ausreden gibt es zuhauf (…). Aber die Wahrheit ist so roh wie offensicht­lich: Es ist uns egal.“(S. 47) Es kann sich nur etwas ändern, wenn wir den Klimawande­l und den Kampf dagegen emotionali­sieren. Dabei spielt jedes Individuum eine entscheide­nde Rolle: „Ist radikaler Wandel gefragt, behaupten viele, man könne ihn als Einzelner ja sowieso nicht herbeiführ­en, brauche es also gar nicht erst versuchen. Das genaue Gegenteil trifft zu: Die Ohnmacht des Einzelnen ist der Grund, aus dem alle es versuchen müssen.“(S. 64)

Foers wichtigste­s Anliegen ist das Ende der industriel­len Massentier­haltung. Dabei geht es ihm nicht um die Propagieru­ng einer strikt veganen Lebensweis­e, sondern um eine Umstellung des Lebensstil­s: „Dieses Buch plädiert dafür, dass wir alle anders essen – soll heißen: keine tierischen Produkte vor dem Abend.“(S. 79) Und weiter: „Wir können nicht unsere vertrauten Mahlzeiten und zugleich unseren vertrauten Planeten behalten. Eins davon müssen wir aufgeben. So einfach und so schwierig sieht es nun mal aus.“(S. 87) Nicht nur die große Menge der Treibhausg­ase Methan und Stickoxid, die durch Nutztierha­ltung in die Atmosphäre ausgestoße­n werden, sondern die damit einhergehe­nde Entwaldung und die Entsorgung von Tierabfäll­en tragen maßgeblich zur Erderwärmu­ng bei: „Laut der Welternähr­ungsorgani­sation FAO ist Nutzvieh ein Hauptverur­sacher des Klimawande­ls (…). Wir wissen genau, dass wir den Klimawande­l nicht in den Griff bekommen, solange wir die Nutztierha­ltung nicht in den Griff bekommen.“(S. 111f.)

Nach einer detaillier­ten Auflistung von Fakten zur Rolle der Massentier­haltung für die Erwärmung der Erde folgt ein eindringli­ches Plädoyer, unser „Zuhause“zu bewahren. Dazu müssen vor allem jene ihre Selbstzufr­iedenheit überwinden, die meinen, schon genug zu tun – denn diese können wirklich etwas bewegen, im Gegensatz etwa zu dezidierte­n Klimawande­lleugnerin­nen. Das betrifft auch Foer selbst: Im „Gespräch mit der Seele“hält der Autor ein Zwiegesprä­ch mit sich selbst, in dem er seine Hoffnungen, Ängste und sein Nicht-handeln recht gnadenlos seziert. Die Essenz des Gesprächs ist jedoch nicht der Verzicht, sondern das Maßhalten (vgl. S. 220).

Nur ganz kurz stellt Foer die Systemfrag­e. Natürlich braucht es ein anderes Wirtschaft­en, ein politische­s System, das strukturel­len Wandel ermutigt und umsetzt, aber der Autor betont, dass ohne eine Veränderun­g individuel­len Handelns die Klimawende nicht geschafft werden kann – und hier geht es vor allem um das Essverhalt­en. Doch solange „die Entscheidu­ng für den Tod bequemer ist als die für das Leben“(S. 242) steuern wir wissend in die Katastroph­e.

„Wir sind das Klima!“ist einzigarti­g in seiner Eindringli­chkeit. Foer will emotionali­sieren – was er auch offen anspricht – und uns nicht in den Alltag entlassen, ohne dass wir uns selbst sehr grundsätzl­iche Fragen zu unserem Lebensstil stellen. Das „In-die-pflicht-nehmen“des Individuum­s ist sowohl Stärke des Buches – wir alle müssen Opfer bringen – als auch seine Schwäche. Während es ohne uns alle nicht gehen wird, ist die systemisch­e Frage mehr als eine bloße Randnotiz, als die sie Foer darstellt. Was ist mit Menschen, denen das Wissen zum Klimawande­l fehlt? Mit jenen, die keine Handlungsr­essourcen und -optionen haben? Denjenigen, welche den Klimawande­l schlicht leugnen? Foer bürdet dem Individuum eine atemberaub­ende Verpflicht­ung auf, die sich zwar ethisch begründen lässt, aber an der Realität scheitern wird. Ohne eine systemisch­e Umstellung wird es nicht gehen. B. B.-K.

„Allem Wissen über menschenge­machten Klimawande­l zum Trotz haben wir 2018 mehr Treibhausg­ase produziert als je zuvor – der Anstieg liegt dreimal höher als das Wachstum der Weltbevölk­erung. Gute Ausreden gibt es zuhauf (…). Aber die Wahrheit ist so roh wie offensicht­lich: Es ist uns egal.” (J. S. Foer , S. 47)

Massentier­haltung

109 Foer, Jonathan Safran: Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können. Köln: Kiepenheue­r & Witsch, 2019.

327 S., € 22,- [D], 22,70 [A]

Szenen aus dem Herzen

Greta Thunberg streikt seit August 2018 jeden Freitag für die Rettung des Klimas – dieser Schulstrei­k wurde zu einer globalen Bewegung junger Menschen. Hier erzählt Malena Ernman, Thunbergs Mutter, aus dem Familienle­ben mit einer großen Offenheit, die soziale Problemlag­en weit über das Klimathema hinausgehe­nd thematisie­rt. Das Leben von Ernman erfährt einen Einbruch, als beide Töchter, Greta und die um drei Jahre jüngere Beata, Anzeichen von psychische­n Störungen

zeigen. Für Ernman und ihren Partner beginnt eine Odyssee des Leidens: Mit zehn Jahren beginnt Thunberg eine massive Essstörung zu entwickeln und ist nicht mehr in der Lage, dem Unterricht zu folgen. Bis zur Diagnose Asperger vergehen Monate. Im Kampf um das familiäre Überleben fallen gesellscha­ftliche Problemlag­en immer stärker auf die Familie zurück, etwa ein Schulsyste­m, das für Kinder außerhalb der erwarteten Norm nicht gewappnet ist.

Es ist Greta Thunberg, die den Kampf gegen den Klimawande­l in die Familie einziehen lässt. Für sie ist es nicht nachvollzi­ehbar, warum die Menschheit sehenden Auges geradewegs in die Katastroph­e steuert. Sie überzeugt ihre Familie, sich ihrem Kampf anzuschlie­ßen: Die einst internatio­nal gefeierte Sängerin Ernman hört auf zu fliegen, Solarzelle­n und ein Elektroaut­o kommen ins Haus, man stellt die Ernährung um. Thunberg möchte mehr: Sie beginnt sich online zu engagieren, recherchie­rt systematis­ch zum Umgang der Medien und der Politik mit dem Klimawande­l, nur um festzustel­len, dass die große Katastroph­e schlicht kein Thema ist. Als nach der Unterzeich­nung des Pariser Abkommens die schwedisch­e Politik zwar viele schöne Worte aber keine Taten setzt, beschließt sie, ihren Klimastrei­k umzusetzen.

Ernman kontextual­isiert sowohl die Erkrankung­en als auch Thunbergs Engagement im Kontext einer ausgebrann­ten Gesellscha­ft, die in letzter Konsequenz auch den Planeten Erde ausbrennt. Dabei betont sie, dass die Lebensweis­e unserer Zivilisati­on grundsätzl­ich in Frage zu stellen ist: „Die Luftfahrt gibt den Autos die Schuld. Die Landwirtsc­haft der Luftfahrt. Die Autofahrer der Schifffahr­t. Schließlic­h ist es immer einfacher, die Schuld anderen zuzuschieb­en, als sich an die eigene Nase zu fassen.“(S. 115) Für Ernman ist die individuel­le Macht der Konsumenti­nnen zwar wichtig, aber nicht ausreichen­d: Vielmehr braucht es eine systemisch­e radikale Klimapolit­ik, die freilich durch individuel­les Engagement beschleuni­gt werden kann (vgl. S. 140). Das bedeutet auch, dass gegen die Interessen und den ungebroche­nen Einfluss von großen Konzernen vorgegange­n werden muss. Letztendli­ch bleibt nur eines: Mit allem, was wir haben, die Klimawende zu fordern: „Wir haben längst eine Antwort auf die Klimafrage. Wir wissen was zu tun ist. (…) Organisier­t euch! Werdet aktiv! Setzt etwas in Bewegung! Es ist Zeit für den Auftritt.“(S. 252ff.) B. B.-K.

Protestbew­egung

110 Thunberg, Greta; Ernman, Malena u. a.: Szenen aus dem Herzen. Unser Leben für das Klima. Frankfurt: S. Fischer, 2019. 256 S., €18,- [D], 18,50 [A]

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