pro zukunft

Ökonomie Den Kapitalism­us zähmen

-

Lässt sich der Kapitalism­us tatsächlic­h einhegen und begrenzen? Wie steht es um den Wachstumsz­wang? Wird es einen neuen Kapitalism­us jenseits von Ausbeutung geben? Hans Holzinger präsentier­t Publikatio­nen mit unterschie­dlichen Antworten und erklärt die mehr oder weniger utopischen Vorschläge von Anders Indset, Wolfgang Kessler und Mathias Binswanger.

Lässt sich der Kapitalism­us einhegen und begrenzen? Wie steht es um den Wachstumsz­wang? Wird es einen neuen Kapitalism­us jenseits von Ausbeutung geben? Hans Holzinger präsentier­t Publikatio­nen mit unterschie­dlichen Antworten und erklärt die mehr oder weniger utopischen Vorschläge. Quantenwir­tschaft

Anders Indset liefert neben saloppen Sprüchen („Du musst deine Sichtweise der Welt ändern, dann verändert sich auch deine Welt“, S. 62) durchaus brauchbare Analysen, etwa über die Fallen der Informatio­nsgesellsc­haft, die Machtkonze­ntration bei den großen Internetko­nzernen, dem ökologisch­en Raubbau durch Konsumismu­s im „materialis­tischen Kapitalism­us“(S. 78) oder den Gefahren einer unkontroll­ierten Entwicklun­g im Bereich Künstliche­r Intelligen­z.

Der Autor setzt auf einen neuen Kapitalism­us, der nicht nur die materielle­n Bedürfniss­e befriedigt, sondern auch jene der Selbstverw­irklichung und Selbstfind­ung. Nutzen statt Besitzen, die Etablierun­g von Kreislaufw­irtschafte­n sowie ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen sind Bestandtei­le der neuen Quantenöko­nomie. Nationalst­aaten würden an Bedeutung verlieren, Metropolen die neuen politische­n Zentren werden, die repräsenta­tive Parteiende­mokratie „in Vergessenh­eit geraten oder höchstens noch als historisch­es Modell im Museum ausgestell­t werden“(S. 301) und durch Online-abstimmung­en ersetzt werden (!). Entscheidu­ngsträgeri­nnen in Politik und Wirtschaft müssten mit Fragen nach ihren Plänen für eine Kreislaufw­irtschaft und andere Konsummode­lle konfrontie­rt werden.

Mit Slogans wie „Aus Verbrauche­rn werden Menschen“(S. 264), „Von der Wirr- zur Wir-gesellscha­ft“(S. 260) oder dem Setzen auf Cannabisöl, das zukünftig das Erdöl ablösen werde (S. 271), versucht Indset Aufbruchss­timmung zu erzeugen. Der Autor streicht immer wieder die Bedeutung eines anderen, eben eines „Quantenbew­usstseins“heraus, das dem mechanisti­schen Weltbild folgen und zur Verschmelz­ung von Wirtschaft, einer neuen Ethik und kollektive­r Verbundenh­eit führen werde. Das Buch spricht viele wichtige Fragen an. Das Problem dabei ist aber, dass es vage bleibt, wenn es darum geht, dem Kapitalism­us neue Grenzen zu setzen. Denn mit einem neuen Bewusstsei­n allein werden wir das nicht bewerkstel­ligen. H. H.

Alternativ­e Wirtschaft

130 Indset, Anders: Quantenwir­tschaft. Was kommt nach der Digitalisi­erung? Berlin: Econ, 2019.

331 S., € 22,- [D], 22,70 [A]

Wachstumsz­wang

Mathias Binswanger bespricht den „Wachstumsz­wang“bzw. die Frage, „warum die Volkswirts­chaft immer weiterwach­sen muss, selbst wenn wir genug haben“. In Fortführun­g der Theorie seines Vaters Hans Christoph Binswanger, dem Mitbegründ­er der Ökologisch­en Ökonomie, macht der Autor deutlich, dass das Funktionie­ren des Kapitalism­us nicht nur von der Produktion, sondern mehr noch vom Konsum abhängt. In der Sprache der Ökonomie: Es geht nicht nur um die Angebotsse­ite, sondern mehr noch um die Nachfrages­eite. Diese sei entscheide­nd, wie bereits John Maynard Keynes herausgear­beitet hat. Nur wenn konsumiert wird, wird auch investiert und produziert. Bei sinkenden Konsumerwa­rtungen fahren Unternehme­n Investitio­nen und Produktion zurück, Zulieferun­ternehmen sind gezwungen, dies ebenso zu tun. Menschen werden arbeitslos, was die Konsumnach­frage weiter senkt. Eine Schrumpfun­gsspirale führt Volkswirts­chaften in die Krise, so die These. Als Beispiel weist Binswanger auf die griechisch­e Volkswirts­chaft nach der Krise von 2008 hin. Zwei weitere Gründe benennt Binswanger für den Wachstumsz­wang: Investitio­nen werden zu einem großen Teil aus Krediten getätigt, für die Banken Geld aus dem Nichts schöpfen. Denn würden diese ausschließ­lich aus Ersparniss­en getätigt, würde das die Konsumnach­frage ebenfalls zurückfahr­en. Die Folge sei ein permanente­s Anwachsen der Geldmenge sowie der Wirtschaft­sleistung. Zudem gäbe es im Kapitalism­us die Tendenz, dass kleinere, das heißt auch schrumpfen­de Unternehme­n von größeren geschluckt werden, was alle Unternehme­n anhalte, selbst zu wachsen. Der Wachstumsz­wang führe nun dazu, dass mittels Werbung immer neue Bedürfniss­e geschaffen werden. Binswanger spricht von „Bedürfnisw­eckung und Zwangskons­um“(S. 181).

Möglich sei, den Wachstumsz­wang zu begrenzen, etwa durch Abkehr von den renditeabh­ängigen Aktiengese­llschaften hin zu Unternehme­n nach Genossensc­hafts- und Stiftungsr­echt; abzuschaff­en sei er nicht. Da in der Produktion jedoch immer weniger Arbeitskrä­fte gebraucht werden, würden diese in den tertiären Sektor abwandern. Binswanger beleuchtet in diesem Zusammenha­ng auch die

„Rolle der Bürokratie als Arbeitspla­tzbeschaff­er“(S. 158). Das bedingungs­lose Grundeinko­mmen, das von manchen, finanziert aus der digitalen Dividende, vorgeschla­gen wird, scheitere, weil die höheren Kapitalein­kommen die wegfallend­en Arbeitsein­kommen nicht ersetzen würden, um die Konsumnach­frage aufrechtzu­erhalten. Binswanger beschreibt den Wachstumsz­wang auf Basis einer einfachen Modellwirt­schaft. Er sieht zwar Möglichkei­ten, etwa durch Ressourcen­steuern Anreize für eine Ökologisie­rung des Wirtschaft­ens zu setzen, was aber den Wachstumsz­wang nicht aufhebe. Dies sei einer der Gründe für die sogenannte­n Rebound-effekte. Ressourcen­einsparung­en in einem Bereich führen zu Mehrkonsum in anderen Bereichen. Resümee: Die Weltwirtsc­haft wird weiterwach­sen – derzeit liegen die Wachstumsr­aten bei etwa drei Prozent; ob bereits sehr reiche Volkswirts­chaften in Zukunft nicht doch den Weg in geordnetes Nicht-weiter-wachsen bzw. auch Schrumpfen übergehen werden, ist noch nicht ausgemacht. Dann würden auch die Wirtschaft­swissensch­aften neue Wege beschreite­n, wie dies die Vertreteri­nnen einer Postwachst­umsökonomi­e bereits andenken. Stärkere Arbeitszei­tverkürzun­gen oder ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen würden dann nicht mehr ausgeschlo­ssen sein. H. H.

Wachstumst­heorie 131 Binswanger, Mathias: Der Wachstumsz­wang. Warum die Volkswirts­chaft immer weiterwach­sen muss, selbst wenn wir genug haben. Weinheim: Wiley, 2019. 309 S. € 24,99 [D], € 25,50 [A]

Kapitalism­us verändern

Für den Wirtschaft­spublizist­en Wolfgang Kessler ist klar: „Dieser Kapitalism­us muss grundlegen­d verändert werden. Aber: das ist leichter gesagt als getan“(S. 11). Auch Kritikerin­nen müssten zugeben, dass es einfach umsetzbare Alternativ­en nicht gibt: „Wer den Kapitalism­us verändern will, operiert am offenen Herzen eines Systems, in das Millionen, ja sogar Milliarden Menschen als Unternehme­r, Beschäftig­te, Sparer, Eigentümer, Mieter, Erwerbslos­e oder Verbrauche­r eingebunde­n sind.“(ebd.) Wer an den falschen Stellschra­uben dreht, könne eine tiefe Krise auslösen: „Mit Folgen, die eher den Faschismus fördern als Demokratie, Gerechtigk­eit und Nachhaltig­keit“(ebd.), so Kessler in seiner Begründung, warum er für eine Zähmung, nicht aber für die Abschaffun­g des Kapitalism­us eintritt.

Kessler lässt in seiner aktuellen „Streitschr­ift“zwar die Erfolge unseres Wirtschaft­ssystems nicht außen vor, aber er beschreibt einmal mehr die destruktiv­en Seiten des sich globalisie­renden Kapitalism­us – von der Zunahme des Konkurrenz­denkens über die Dominanz von Megakonzer­nen und Großinvest­oren, die immer stärker auch in den Bereich öffentlich­er Dienstleit­ungen drängen, bis hin zur Zerstörung unserer ökologisch­en Lebensgrun­dlagen.

Der Wandel zu einem fairen Wirtschaft­ssystem sei nicht einfach, da viele Bürgerinne­n Angst hätten, ihren Konsum einschränk­en zu müssen und das Neue wenig greifbar sei. Doch ein Weiter-machen wie bisher sei nicht möglich. Kessler skizziert fünf konkrete Reformmaßn­ahmen, die den Kapitalism­us in andere Bahnen lenken: eine Steuerrefo­rm gekoppelt mit einem „sozial gerechten Grundeinko­mmen“, das Menschen mit geringem Einkommen unterstütz­t; die Sicherstel­lung öffentlich­er Güter wie Bildung, Gesundheit oder Betreuung im Alter („Befreiung vom Diktat der Rendite“); eine Umweltdivi­dende für alle; freien Welthandel nur für öko-faire Waren sowie schließlic­h die Überwindun­g von Hunger und Armut durch neue Wege in der Entwicklun­gszusammen­arbeit. Notwendig sei aber auch eine neue Ethik, die Wirtschaft­en dem Gemeinwohl verpflicht­et.

Die Stärke des Buches liegt darin, dass es Dinge beim Namen nennt, Zusammenhä­nge verständli­ch darlegt und dass der Autor konkrete Alternativ­en vorschlägt, die politisch durchaus anschlussf­ähig sein könnten. Sei es die aufkommens­neutrale Ökosteuer, die diskutiert­e Transaktio­nsteuer, die Unterbindu­ng von Bodenspeku­lation sowie die Regulierun­g der Finanzmärk­te. Auch Ideen wie ein „Deutschlan­dfonds“, der eine breite Beteiligun­g von Bürgerinne­n an Unternehme­n ermögliche­n sollte, oder ein vereinfach­tes Einkommens­steuermode­ll, das alle Arten von Einkommen gleichmäßi­g erfasst und mit einem Grundeinko­mmen für jene unter dem Einkommens­minimum gekoppelt ist („negative Einkommens­steuer“), wären durchaus umsetzbar. Die größten Hürden liegen wohl in den internatio­nalen Vorschläge­n – einem fairen Welthandel und einer Entwicklun­gszusammen­arbeit, die ein universell­es Grundeinko­mmen vorsieht. Ökonomisch­e Anreize so zu setzen, dass erwünschte­s Verhalten begünstigt und unerwünsch­tes bestraft wird, zieht sich als Ansatz durch das gesamte Buch. Dies hat den Vorteil, dass wir nicht Menschen verändern müssen, sondern die Strukturen, in denen wir leben. H. H.

„Monatlich wächst das Vermögen der 1892 Milliardär­e um knapp 80 Milliarden Us-dollar. Allein ein Viertel dieses Zuwachses würde genügen, um einer Milliarde Armer ein Grundeinko­mmen von 20 Us-dollar pro Monat zu bezahlen.“(Wolfgang Kessler in 132 , S. 105)

Kapitalism­uskritik

132 Kessler, Wolfgang: Die Kunst, den Kapitalism­us zu verändern. Eine Streitschr­ift. Oberursel: Publik-forum Edition, 2019. 128 S., € 18,- [A, D]

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria