Die Zukunft der Welternährung
Vier Bücher behandeln detailliert das Thema Ernährung: Julian Cribb schreibt über die Zusammenhänge zwischen Nahrungsmittelknappheit und Konflikt, Fabio Parasecoli liefert eine Einführung in die Lebensmittelsysteme, der Fokus von Josh Berson liegt auf Fleisch und Jan Grossarth publiziert einen Sammelband zur Zukunft der Welternährung. Hier finden Sie die pointierten Besprechungen dazu. Jan Grossarth Future Food
Das vom Journalisten Jan Grossarth herausgegebene Buch Future Food. Die Zukunft der Welternährung ist eine Aufsatzsammlung von Wissenschaftlerinnen und Journalisten, die im Kontext eines Reportage-projekts der FAZ über die Gegenwart und Zukunft der Welternährung recherchiert haben. Herausgekommen ist ein buntes Panorama über Welternährung mit Fokus auf das Leben von Landwirten (sowohl in Deutschland als auch in anderen Orten der Welt); auf Herausforderungen, welche die industrielle Landwirtschaft in Zeiten massiven Bevölkerungswachstums und gleichzeitig ausgelaugter Böden, des Klimawandels und anderen ökologischen Problemen bewältigen muss; sowie auf innovative Projekte zur Lebensmittelgewinnung, wie Permakulturen und Kreislaufwirtschaft. Von Algenzucht in China über problematische Aquakulturen in Norwegen bis zum einfachen Leben der Bäuerinnen in Sambia und Ghana spannen sich vielfältigen Betrachtungen zum Thema Lebensmittelproduktion.
Kleinbäuerliche Landwirtschaft
Das Buch legt dabei einen besonderen Fokus auf kleinbäuerliche Landwirtschaft: Global sind 70 Prozent der Bauern Kleinbauern, die oftmals völlig ohne Technik ihren Beitrag zur Welternährung beitragen, und die gleichzeitig eine besonders verletzliche Gruppe darstellen. Mit Blick auf das zu erwartende Bevölkerungswachstum, vor allem in Afrika, muss die Produktion von Nahrungsmittel völlig neu gedacht werden, im Idealfall ohne die Fehler der industrialisierten Landwirtschaft zu wiederholen, und unter Einbindung der Kleinbauern. Denn die industrialisierte Landwirtschaft stößt heute weltweit an ihre Grenzen: „Wir düngen heute mit zehnmal mehr Stickstoff als am Anfang der Grünen Revolution […], aber die Erträge sind nur um das Dreifache gestiegen.“(S. 26) Zu wenig, wenn man auf das Bevölkerungswachstum blickt. Zwei Wege tun sich auf, um die Zukunft der Welternährung zu sichern: Der eine setzt auf Fortschritt, auf weitere Verbesserungen in der industrialisierten Landwirtschaft, welche Fehler von früher zu vermeiden sucht. Der andere argumentiert mit Blick auf Klimawandel, Wasserknappheit und zunehmende globale Ungleichheiten, dass eine grundsätzlich andere Richtung eingeschlagen werden müsse (31f.).
Lösungsansätze müssen global und regional gesucht werden
Die Autorinnen des Buches legen sich nicht fest, welcher Weg der richtige ist und lassen stattdessen beide Seiten zu Wort kommen: Etwa, wenn einerseits darauf verwiesen wird, dass das vielfach kritisierte Landgrabbing auch Vorteile vor Ort haben könne, wie das Entstehen von Arbeitsplätzen und höhere Ernteerträge durch industrielle Landwirtschaft. Oder wenn ein kritischer Blick auf die Verwundbarkeit der globalisierten Landwirtschaft mit ihren Monokulturen geworfen wird.
Lösungsansätze müssen sowohl global als auch regional gesucht werden und Strukturen vor Ort können nicht einfach von außen geändert werden. Dazu gehört, dass die Länder des globalen Südens selbst darüber entscheiden, welche Maßnahmen für ihre Landwirtschaft sinnvoll sind. Angesichts der Verknappung von Ressourcen, gepaart mit einer dramatischen Zunahme der Bevölkerung, wird es Kreisläufe in der Nahrungsmittelproduktion brauchen – das bedeutet nicht biologischen Anbau immer und überall, aber einen sorgsamen Umgang mit den Grundlagen unserer Ernährung. BBK Jan Grossarth (Hg.): Future Food Die Zukunft der Welternährung. wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2019; 318 S.
Josh Berson The Meat Question
In The Meat Question stellt der Anthropologe Josh Berson die Frage des Menschwerdens und Menschseins im Licht von Fleischkonsum. Das Buch beginnt mit einer detaillierten Darstellung der menschlichen Evolution und fokussiert auf die Frage, ob Fleisch uns zu den Menschen gemacht hat, die wir heute sind. Freilich bedeutete der Konsum von Fleisch eine verbesserte Energiebilanz für die frühen Menschen – gleichzeitig können bisherige Funde nicht belegen, dass Fleisch für die Entwicklung der Menschen essentiell gewesen wäre, eher ein Bonus: „The best we can say is that […] meat started to play a more prominent recurring role in protohuman diet, but by no means a dominant role.“(S. 43)
In Folge beschäftigt sich Berson mit der Frage, ob Wohlstand automatisch Fleischkonsum bedeutet. Am Beispiel der Kolonialisierungsgeschichte der USA und Australiens und vor allem der Ausbeutung der Aborigines auf australischen Rinderfarmen wird nachgezeichnet, dass die Einführung von Fleisch als Massenprodukt mit Unterdrückung bzw. sogar Sklaverei einherging und mitnichten mit einer Vermehrung des globalen Wohlstands in Beziehung gebracht werden kann.
Mit Blick auf die Gegenwart unterstreicht der Autor, dass Fleisch ein integraler Bestandteil globaler Handelsströme geworden ist. Lebendtier-transporte via Schiff und Flugzeug unterstreichen den Warencharakter von Tieren. Ganz unten in der Wertschöpfungskette stehen die eigentlichen Produzentinnen. Zusätzlicher Wert, den vor allem Konzerne für sich beanspruchen, wird dem Produkt „Fleisch“dann im Schlachthaus, der Verarbeitungsfabrik und im Marketing verpasst.
Josh Bersons Buch besticht durch seine innovative Herangehensweise an die Rolle von Fleisch einst und heute und die problematischen Implikationen. Gleichzeitig zeigt der Autor eine verengte Perspektive, etwa wenn er die Auslagerung von Kosten an die Allgemeinheit oder ausbeuterische Arbeitsverhältnisse beklagt: Nicht Fleisch, sondern politische und wirtschaftliche Machtsysteme sind die Gründe dafür, wie das Schicksal der Baumwoll- oder Zuckerrohrsklaven oder die heutige Ausbeutung von Migrantinnen in Europas Gemüseindustrie zeigen. BBK Josh Berson: The Meat Question Animals, Humans, and the Deep History of Food. The MIT Press, Cambridge/massachusetts 2019; 310 S. Fabio Parasecoli Food
Der Ernährungswissenschaftler Fabio Parasecoli schreibt mit dem einfach und prägnant titulierten Buch Food eine Einführung in die Welt der Lebensmittelsysteme. Der Autor beleuchtet vor allem die Rolle von politischer und wirtschaftlicher Macht bei der Produktion und Verteilung von Essen.
Unsere „Food Systems“sind aufgrund ihrer Komplexität enorm krisenanfällig. Besonders verwundbar sind die Produzenten unseres Essens, die von Weltmarktpreisen abhängig sind: „What do low production costs mean in terms of the wages and safety of those employed in the food industry? What do the people who produce our food eat?“(S. 33)
Ein großes Problem ist der ökologische Fußabdruck, den unsere Nahrungsmittelproduktion hinterlässt. Die Verschwendung von Essen geht einher mit einer Verschwendung von Wasser und Energie. Trotz Überproduktion betont der Autor, dass auch heute noch immer Nahrung fehlt, dass aber Nahrungsmangel sein Gesicht verändert hat: Etwa, wenn zwar genug Kalorien aber nicht genügend Nährstoffe zur Verfügung stünden, was Fettleibigkeit vor allem in ärmeren Schichten in Industrie- und Schwellenländern bedinge. Besonders kritisch sieht Parasecoli die Rolle des globalen Finanzkapitalismus: Mit der weltweiten Handelsliberalisierung ab den 1980ern, die auch den Nahrungsmittelsektor erfasste, wurden Lebensmittel zu einem Spekulationsobjekt: „Whole populations, in fact, have been suffering from the sudden spikes in food prices caused by market instability and speculation. In the absence of international agreements on the management of the financial aspects of food markets, these phenomena are likely to happen again – and possibly more frequently.“(S. 175)
Welche Lösungen gibt es für die Herausforderungen im Kontext unserer Lebensmittelsysteme? Parasecoli verweist vor allem auf das Konzept von „food sovereignty“– also das Recht von politischen Gemeinschaften aller Größen zu entscheiden, welches Essen wie produziert, verteilt und konsumiert wird, als Form des Widerstands gegen die Macht internationaler Konzerne. Was die individuellen Konsumenten anbelangt, bleibt natürlich die Entscheidung zum ethischen Konsum eine wichtige – doch ohne systemische Lösung wird eine Krise unserer „Food Systems“unvermeidbar sein. BBK Fabio Parasecoli: Food The MIT Press Essential Knowledge Series. The MIT Press, Cambridge/massachusetts 2019; 211 S.
Julian Cribb Food or War
Der australische Wissenschaftsautor Julian Cribb hat mit Food or War ein sehr eindringliches und äußerst gut recherchiertes Buch über die Zusammenhänge zwischen Nahrungsmittelknappheit und Konflikt vorgelegt. Ziel des Buches ist es, Bewusstsein dafür zu schaffen, dass eine gesicherte und nachhaltige Versorgung aller Menschen mit Lebensmitteln an der Kippe steht und damit auch der globale Frieden.
Wie ein „roter Faden“zeigt sich laut Cribb, dass Hunger und Krieg in der Geschichte immer eng miteinander verbunden waren und ganze Reiche durch Hungerkrisen im Kriegschaos untergingen. Cribb betont auch, dass Hunger auch innerhalb von Konflikten eine der Hauptrollen für menschliche Verluste spielt: „Of the 200+ million people who have perished in wars between nation states since the 1850s, it is estimated that over half – 105 million – have died of hunger. This makes food by far the deadliest of all the weapons deployed by governments, against their own people or others.“(S. 19) Die Kriege in Syrien und Jemen sind nur die jüngsten Beispiele, wo Hunger einerseits kriegsauslösend war, andererseits als Kriegswaffe eingesetzt wird.
Das größte Problem ist die industrielle Landwirtschaft
Ein großes Problem in der aktuellen Krisenanfälligkeit unseres Nahrungsmittelsystems ist die industrielle Landwirtschaft: Diese hat zwar lange Zeit Nahrungsmittel für eine nie dagewesene Zahl an Menschen gesichert, doch kommt dieses System an seine Grenzen: Zum einen, weil es selbst den Klimawandel befeuert. Zum anderen, weil es auf den massiven Einsatz von Chemikalien baut, die mittlerweile eine verheerende Ökobilanz aufweisen und die menschliche Gesundheit bedrohen. Zum Dritten, weil die intensive Landwirtschaft durch die Zerstörung natürlicher Habitate für Viehmast und durch die Beeinträchtigung genetischer Diversität durch Monokulturen zu einem beispiellosen Massensterben beigetragen hat. Um umweltbedingte Einbrüche in der Nahrungsmittelproduktion zu vermeiden, müssen vor allem Kleinbauern gestärkt werden durch Subventionen oder höhere Bezahlung: „Paying farmers too little for their produce, in order to offer consumers food at way below its true cost of production, is degrading soil on a global scale, extinguishing wildlife, poisoning rivers and oceans, exploiting, evicting and even killing farmers (many of whom commit suicide, at rates far higher than city people), releasing far too much carbon for the safety of humanity and ruining consumers‘ health with toxins and an utterly devidient diet of industrial processed foods with added chemicals.“(S. 115)
Dazu braucht es öffentliche Aufklärung über gesunde Ernährung und bewussten Konsum sowie ein kluges Steuer- und Regulierungssystem, um eine neue Generation von Landwirtinnen zu ermutigen, neue Formen der Landwirtschaft umzusetzen, wie Öko-landwirtschaft oder Permakulturen.
Wie verletzlich unsere Zivilisation mit Blick auf Nahrungsmittelsicherheit geworden ist, zeigt sich vor allem in der schnell voranschreitenden Urbanisierung: Das rasante Wachsen von Megacities stellt die Welternährung vor neue Herausforderungen, kann doch keine der riesigen Megastädte sich selbst ernähren. „Urban farming“könnte hier zu einer besseren Versorgungssicherheit beitragen. Tatsächlich gibt es einige vielversprechende Versuche, doch ist man weit davon entfernt, Städte ernährungssicher zu machen.
Wie kann Krieg aufgrund von Hunger in Zukunft vermieden werden?
Das Buch schließt mit konkreten Empfehlungen, wie Kriege aufgrund von Hunger in Zukunft vermieden werden sollen: Ein nachhaltiges, widerstandsfähiges Nahrungssystem, welches auf Urban Farming, Aqua-farming und auf ökologische Landwirtschaft baut; Städte, welche krisenfit gedacht und geplant werden; eine Umverteilung von finanziellen Mitteln von Verteidigungszu Landwirtschaftsbudgets; strenger Schutz bzw. Wiederaufbau von natürlichen Habitaten; Bildung – vor allem für Kinder; Stärkung von Frauen.
Das Buch ist bestens recherchiert – kaum eine aktuelle Studie einer renommierten Institution, die Cribbs nicht zitiert. Gleichzeitig sind viele Einschätzungen des Autors vor allem mit Blick auf die weitere Entwicklung von Konfliktherden pessimistisch. Als besonders wichtig wird die Rolle des Individuums erachtet, vor allem der Konsumenten, die mit ethischen Kaufentscheidungen auf das System Einfluss nehmen könnten. Hier findet sich Cribbs in der Tradition vieler anglo-sächsischer Autoren in diesem Themenbereich, die an die verändernde Macht der Einzelnen glauben, vor allem wenn man auf eine umfassende Bildungsoffensive setzt. Ausgeblendet bleiben all jene, die nicht die nötigen Informationen für fundierte Entscheidungen erhalten, jene, für die Ethik beim Essen kein Thema ist. Ethischer Konsum allein wird den Weltfrieden durch Ernährungssicherheit nicht garantieren können. BBK Julian Cribb: Food or War Cambridge University Press, Cambridge 2019; 336 S.