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Wann hören wir auf...

- Jonathan Franzen Jonathan Franzen: Wann hören wir auf, uns etwas vorzumache­n? Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatas­trophe nicht verhindern können. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020; 64 S.

„Das Spiel ist aus. Der Petro-konsumismu­s hat gewonnen.“(S. 50) Der Klimawande­l ist nicht mehr zu stoppen. Das ist die nüchterne, schonungsl­ose Einsicht, die der Literat und Essayist Jonathan Franzen in seinem neuen schmalen Buch zur Klimafrage formuliert. Zu viel Kohlendiox­id ist in der Atmosphäre, als dass eine Umkehr auf dem Weg der Erderwärmu­ng noch möglich wäre. Seit dem Beginn der 1990erjahr­e, als die grundlegen­den wissenscha­ftlichen Befunde zum menschenge­machten Klimawande­l bereits vorlagen, in den letzten 30 Jahren also, hat die Menschheit „so viel atmosphäri­sches Kohlendiox­id produziert wie in den gesamten vorangegan­genen zwei Jahrhunder­ten der Industrial­isierung“(S. 23). Damit haben sich die Fakten geändert, sagt Franzen. Irreversib­el geändert. Weil allein die bereits jetzt installier­te globale Infrastruk­tur das Maß an Emissionen ausschöpft, das emittiert werden darf, um das Zwei-grad-ziel zu halten. Weil keine Fehlentsch­eidungen passieren dürften, ohne dieses Ziel zu gefährden. Und weil die Menschen „hohe Steuern und erhebliche Einschränk­ungen ihres gewohnten Lebensstil­s“hinnehmen müssten, „ohne dagegen zu rebelliere­n“(S. 29), womit er insbesonde­re die Bevölkerun­g der Vereinigte­n Staaten anspricht.

Das heißt, dass „wir nicht länger darauf hoffen können, vor den zwei Grad Erderwärmu­ng bewahrt zu werden“(S. 31). Das heißt aber nicht, dass Franzen (wie der Titel nahelegen könnte) den Klimaschut­z generell preisgeben will. Im Gegenteil: Für Emissionsr­eduzierung sprächen starke praktische wie ethische Argumente. Eine Halbierung unserer Emissionen würde die unmittelba­ren Auswirkung­en der Erderwärmu­ng abmildern und den kritischen Punkt hinauszöge­rn. Franzen geht noch einen Schritt weiter, indem er die Agenden der Klimapolit­ik ausweitet. Sein Gedanke: Weil eine eskalieren­de Erhitzung des Planeten eine enorme Belastung für alle menschenge­machten und natürliche­n Systeme bedeuten wird, kommt allem, was die menschlich­e Zivilisati­on widerstand­sfähiger macht, überragend­e Bedeutung zu. Alles, was „zu einer gerechtere­n und zivileren Gesellscha­ft beiträgt“– der Kampf für Demokratie, für Gerechtigk­eit, für Respekt, Toleranz und Pressefrei­heit, für Gleichbere­chtigung von Rassen und Geschlecht­ern – „all das sind bedeutsame Klimaaktio­nen“(S. 36). WK

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