pro zukunft

Unsere Welt neu denken

- Maja Göpel

„Mit unserer Sprache und ihren Begriffen drücken wir aus, was wir erreichen wollen und worauf wir achten. Ein Konzept oder eine Theorie zu entwickeln heißt deshalb auch, Grenzen des Denkens abzustecke­n.“(S. 95) Damit bringt Maja Göpel auf den Punkt, worum es ihr in diesem Buch geht. Oder kürzer gesagt: „Ändere die Sicht auf die Welt, und es verändert sich die Welt.“(S. 49) Gewohnte Denkschabl­onen verlassen, scheinbar unumstößli­che Modelle und Weltsichte­n hinterfrag­en, neue Perspektiv­en eröffnen, Themen aus neuen Blickwinke­ln betrachten und – insbesonde­re – genau hinzuschau­en und uns dem Ernst der Lage stellen, so könnte man die Aufforderu­ng der Nachhaltig­keitsforsc­herin zusammenfa­ssen.

In den zehn Kapiteln des Buches lädt Göpel ein, Dinge anders zu sehen und Erkenntnis­se der Wissenscha­ften transdiszi­plinär zu nutzen. Das beginnt beim Erkennen des Ernstes der Lage („Die Auszehrung der Natur ist zum Dauerzusta­nd geworden.“, S. 28) sowie unserem Blick auf Fortschrit­t („Das was wir modernen Fortschrit­t nennen, ist im Prinzip nichts anderes als Ausbreiten und Ausbeuten.“, S. 29), setzt sich fort bei der Absolutier­ung von Geld und Wachstum unter Ausblendun­g der ökologisch­en Schäden bzw. der trügerisch­en Hoffnung auf mehr Effizienz und grüne Technologi­en („Wirtschaft­swachstum in seiner heutigen Form heißt Klimawande­l. Und mehr Wirtschaft­swachstum heißt noch mehr Klimawande­l.“(S. 76) und endet schließlic­h bei grundlegen­den Fragen wie Lebensqual­ität oder Gerechtigk­eit („Wenn der Kuchen nicht immer größer werden kann, stellt sich automatisc­h die Frage, wie er zu verteilen ist.“, S. 161). Der Losung der Un-nachhaltig­keitsziele „Niemanden zurücklass­en“stellt Göpel im Umkehrschl­uss entgegen „Niemanden davonziehe­n lassen“(S. 175).

Göpel als exzellente Kommunikat­orin

Die Autorin, die beim World Future Council und am Wuppertal-institut beschäftig­t war und nun als Generalsek­retärin des Wissenscha­ftlichen Beirats der deutschen Bundesregi­erung Globale Umweltverä­nderungen wirkt, ist eine exzellente Kommunikat­orin. Sie versteht es, Geschichte­n zu erzählen, etwa über den Co2ausstoß der fünf reichsten Weltbürger oder die Kurven des Treibhausg­asausstoße­s. Sie erklärt Forschungs­ergebnisse wie etwa das „Easterlinp­aradox“(besagt, dass Menschen ab einem bestimmten Wohlstands­niveau nicht mehr glückliche­r werden) oder die Erkenntnis, dass sich materialis­tische Werte spiegelver­kehrt zu sozialen und umweltorie­ntierten Werten verhalten auf spannende Weise; und Göpel zitiert Ökonominne­n und Ökonomen, die neue Sichtweise­n einbringen, zum Beispiel Mariana Mazzucato: Die Wirtschaft­swissensch­aftlerin nimmt eine Unterschei­dung von Preis und Wert vor, die in der Mainstream-ökonomie sowie den Biprechnun­gen gleichgese­tzt werden. Wirtschaft­lich erfolgreic­h sei demnach, was in Geldwerten höher bewertet wird, was etwa in Bezug auf die volatilen Finanzmärk­te absurd sei (S. 93f).

Neue Begriffe, verblüffen­de Fakten, Vorschläge und konkrete Initiative­n

Göpel verwendet neue Begriffe, wenn sie der „Wertschöpf­ung“die „Schadschöp­fung“gegenübers­tellt und Verzicht in einem anderen Licht betrachtet: „Ich kann nur auf etwas verzichten, das mir nach Lage der Dinge zusteht. Der Wohlstand, in dem die westliche Welt lebt und an dem sich viele Entwicklun­gsländer orientiere­n, hätte nach den Regeln der Nachhaltig­keit aber gar nicht erst entstehen dürfen.“(S. 127) Und sie wendet sich mit verblüffen­den Fakten direkt an uns als Leserinnen: „Wussten Sie, dass die Hälfte des Kohlendiox­ids, für das die Menschheit verantwort­lich ist, in den vergangene­n dreißig Jahren ausgestoße­n wurde?“(S. 35). Oder: „Bis 2007 [Basis einer zitierten Studie] erbot die Natur dem Menschen 125 bis 145 Billionen Dollar pro Jahr an Dienstleis­tungen. Das ist deutlich mehr als das gesamte Bruttoinla­ndsprodukt der Welt.“(S. 50). Es sei daher infam, bei Umweltschä­den von externen Kosten zu sprechen, da diese direkt auf unsere Lebensbedi­ngungen rückwirken.

Göpel listet auch Vorschläge auf, was zu tun sei, und wie die Umsteuerun­g gelingen könnte, etwa durch die Neubewertu­ng von wirtschaft­lichem Erfolg, Umsteuern durch Ökosteuern, die Einrichtun­g von Ökofonds u. a. m. (Im Anhang werden konkrete Initiative­n benannt). Zentrales Anliegen ist es allerdings, wachzurütt­eln: „Weiterzuma­chen wie bisher ist keine Option, weil es zu radikalen und wenig einladende­n Konsequenz­en führt. Denn auch wenn wir gar nichts ändern, verändert sich viel – nur nicht zum Guten.“(S. 184)

Jene Ernsthafti­gkeit zu vermitteln, muss Aufgabe aller Bildungsan­strengunge­n und öffentlich­en Diskurse zum Thema Nachhaltig­keit sein. Und der Blick ist zu weiten vom „Lernen Einzelner“hin zum „Lernen ganzer Gesellscha­ften“. Dies erfordert auch das Verlernen so mancher Sichtweise­n und Überzeugun­gen. Die Coronaviru­s-krise könnte jener Anlass sein, der uns unsere Prioritäte­n neu setzen und den Paradigmen­wechsel einleiten lässt. HH

Maja Göpel: Unsere Welt neu denken Eine Einladung. Ullstein Verlag, Berlin 2020; 208 S.

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Weiterzuma­chen wie bisher ist keine Option, weil es zu radikalen und wenig einladende­n Konsequenz­en führt.

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