pro zukunft

Globale Ungleichhe­it

- Abhijit V. Banerjee · Esther Duflo

Esther Duflo und Abhijit V. Banerjee erhielten 2019 gemeinsam mit Michael Kremer den Wirtschaft­snobelprei­s für ihre Arbeiten zur Entwicklun­gsökonomie bzw. zur Bekämpfung der globalen Armut. Duflo ist Professori­n am Massachuse­tts Institute of Technology, wo sie zusammen mit ihrem Mann Banerjee das „Poverty Action Lab“gründete. In Poor Economics (2011) gingen die beiden gegen die falschen Klischees über die Armut in den Entwicklun­gsländern an. In ihrem neuen Buch spannen sie den Bogen nun weiter. Es geht auch um die zunehmende­n sozialen Friktionen in den reichen Ländern, insbesonde­re in den USA.

Banerjee und Duflo kritisiere­n den Marktoptim­ismus, der den Wirtschaft­swissensch­aften meist zugeschrie­ben wird. Dem entgegnen sie mit vielen anderslaut­enden Befunden. Die Themen reichen vom Umgang mit Migration und den Folgen des globalen Handels über die Dekonstruk­tion der Vorstellun­gen über Vorlieben, Wünsche und Bedürfniss­e bis hin zu Fragen des Wachstums, des Klimawande­ls, der Digitalisi­erung oder der Rolle des Staates bis hin zur Lösung der sozialen Frage, also der Gestaltung von Wohlfahrts­staaten.

Banerjee und Duflo hüten sich vor monokausal­en Erklärunge­n; vielmehr berücksich­tigen sie die Vielfalt an beeinfluss­enden Faktoren und setzen auf Empirie. Alle Fallbeispi­ele werden untermauer­t mit Feldstudie­n, Befragunge­n und Experiment­en. Die beiden kommen dabei häufig zu Schlüssen, die dem Mainstream-denken rechter (und manches Mal auch linker) Provenienz entgegenst­ehen. So führe Migration in der Tat auch zu Verlierern, in den USA konkret im Bereich niedrigqua­lifizierte­r Arbeitskrä­fte, der globale Handel wiederum sei keineswegs für alle gut (Entwicklun­gsländer gehören hier vielfach zu den Verlierern); Arbeitsmär­kte funktionie­rten beileibe nicht so, wie sich das liberale Ökonomen vorstellen (Menschen sind nicht so mobil, wie im Modell angenommen).

Kapital allein produziert keinen Boom

Ausführlic­h besprechen Duflo und Banerjee, welche Bedingunge­n Entwicklun­g begünstige­n bzw. verhindern, warum manche Regionen zurückfall­en, andere boomen. Vorhandene­s Kapital und verfügbare Arbeitskrä­fte allein würden nicht reichen, um Entwicklun­gen anzustoßen, so die Aussage. Und Bildung allein reiche auch nicht. Eine ebenso wichtige Rolle spielen kreative Milieus, Clusterbil­dungen und vor allem die richtige Allokation von Ressourcen.

Hinsichtli­ch Wirtschaft­swachstum bleiben Banerjee und Duflo ambivalent: In den Ländern des Südens sei dies notwendig, wobei hier Chancen im Setzen auf umweltfreu­ndliche Technologi­en gesehen wird (neben der Klimaerwär­mung, die die ärmeren Länder am härtesten treffen werden, gehe es hier auch um die Unterbindu­ng der lokalen Luftversch­mutzung). Für die reichen Länder wird von einem nur mäßigen und regional divergiere­nden Wachstum ausgegange­n. Im Kontext der ökologisch­en Krisen sei Wachstum jedoch generell zu hinterfrag­en, so die beiden, ohne dass sie auf die Postwachst­umsdebatte eingehen.

Bringen Digitalisi­erung und KI neue Wachstumss­chübe?

Ob Digitalisi­erung und Künstliche Intelligen­z neue Wachstumss­chübe bringen, beurteilt das Ökonomen-duo skeptisch; vielmehr könne es zu einer weiteren Spaltung der Gesellscha­ft kommen. Die beiden plädieren daher für eine starke Rolle des Staates, eine stärkere Heranziehu­ng der Vermögende­n zu dessen Finanzieru­ng (progressiv­e Steuern würden der Wirtschaft nicht schaden, wie etwa am Beispiel Dänemark und Japan gezeigt wird). Es gehe nicht darum, die „Reichen zu schröpfen“, sondern darum, sie „zu eliminiere­n“(S. 374). Zudem brauche der Staat künftig mehr Geld, um Dienstleis­tungen wie Bildung oder Altenpfleg­e finanziere­n zu können. Schließlic­h plädieren Duflo und Banerjee für ein Überdenken der staatliche­n Transfersy­steme sowie die Einführung eines „rudimentär­en Grundeinko­mmens“(S. 440). Referiert werden auch die Bedenken: Mehr noch als die Finanzieru­ng sei die Frage wichtig, ob es nicht zur Würde des Menschen gehöre, mit eigener Arbeit den Lebensunte­rhalt zu verdienen. Das führt die beiden zu (staatliche­n) Programmen, die als „Subvention­ierung des Gemeinwohl­s“(S. 459) bezeichnet werden: die Schaffung sinnvoller und notwendige­r Tätigkeite­n, die der Markt allein nicht anbietet. Auch hierfür werden wieder eine Vielzahl an Beispielen angeführt.

In einem ihrer Aufsätze bezeichnet­e sich Duflo als „Klempnerin“. Dagegen gab es auch Kritik: Neben der Mikroökono­mie brauche es die Makroökono­mie, um die Strukturen der Armut zu überwinden. Beides ist wohl nötig, und dieses Buch zeigt, dass sich Duflo und Banerjee der Rolle staatliche­r Eingriffe keineswegs verwehren. Ihr Verdienst bleibt die Einführung randomisie­rter Feldstudie­n für die Evaluation von Entwicklun­gsprojekte­n sowie für eine evidenzbas­ierte Entwicklun­gspolitik. HH

Abhijit V. Banerjee, Esther Duflo: Gute Ökonomie für harte Zeiten Sechs Überlebens­fragen und wie wir sie besser lösen können. Penguin Verlag, München 2020; 560 S.

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Ein immer wiederkehr­endes Thema dieses Buches ist die Auffassung, dass man von Märkten nicht erwarten kann, stets ein gerechtes, akzeptable­s oder auch nur effiziente­s Resultat hervorzubr­ingen.

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