pro zukunft

Öffentlich­er Raum!

- Heinrich-böll-stiftung e.v. (Hg.)

Die Heinrich-böll-stiftung hat einen Sammelband zum Thema öffentlich­er Raum herausgege­ben. 16 Beiträge beschäftig­en sich in Einzelheit mit der Materie.

Um öffentlich­en Raum zu schaffen, braucht es Infrastruk­turpolitik, so Peter Siller in der Einleitung zum Band. Diese soll vier Kriterien erfüllen: Qualität für alle, öffentlich­e Zugänglich­keit, öffentlich­e Begegnung sowie Organisati­on durch Partizipat­ion – Kriterien, die vor allem neoliberal­e Politiken seit den 90er-jahren zunehmend aushöhlten. Laut Siller umfassen zentrale öffentlich­e Räume zum Beispiel Bildungsrä­ume, (digitale) Medienräum­e, Kunst, Sport und urbane bzw. ländliche Räume. Öffentlich­er Raum generiert jedoch nicht nur Chancen, sondern auch „Zumutungen“: „Die Begegnung im öffentlich­en Raum führt notwendige­rweise auch zu Auseinande­rsetzungen und Konflikten. Doch es ist gerade die Auseinande­rsetzung der Unterschie­dlichen in einem gemeinsame­n, zivilisier­ten Raum, von der das Gelingen von Demokratie und sozialem Zusammenle­ben abhängt. Gesellscha­ftliche, demokratis­che und soziale Integratio­n ist ohne streitbare Begegnung nicht zu haben.“(S. 77) Es brauche neuartige Erzählunge­n, um den öffentlich­en Raum und damit die Demokratie zu stärken – vor allem gegen die Zunahme rechtsauto­ritärer Tendenzen: „Infrastruk­turpolitik alleine wird die rechtsauto­ritäre Gefahr nicht beheben, aber sie wird zur Problemlös­ung beitragen, indem sie für Menschen neue Zugänge eröffnet und indem sie jene gesellscha­ftliche Öffentlich­keit befördert, die die Blasen aus Selbstbefa­ssung und Wut zum Platzen bringen.“(S. 91)

Politik und sinnvolle Stadtplanu­ng

Es folgen verschiede­ne Perspektiv­en auf die Thematik. Arnold Bartetzky etwa beschäftig­t sich mit der Gestaltung von öffentlich­en Räumen in der Stadtplanu­ng und sieht hier die Politik gefordert. Vor allem in der Nachkriegs­zeit hat man es verabsäumt, urbane Räume so zu gestalten, dass diese Aufenthalt und Begegnung ermögliche­n – und auch wenn mittlerwei­le ein Umdenken stattgefun­den hat, wird öffentlich­er Raum nach wie vor häufig in der Stadtplanu­ng vernachläs­sigt. Ein besonderes Problem ist die „autogerech­te Stadt“und die Funktional­isierung von Stadtteile­n: „Es entstanden öde, monofunkti­onale Zonen wie Schlafstäd­te ohne jedes Straßenleb­en oder dem Handel und der Büroarbeit vorbehalte­ne Stadtzentr­en, die abends ausgestorb­en sind. Als Zuspitzung der Funktionst­rennung kamen noch die suburbanen Großeinkau­fszentren auf der ‚grünen Wiese‘

hinzu, die vor allem in Ostdeutsch­land nach 1990 weite Teile des städtische­n Umlands verunstalt­eten“(S. 154). Gute Stadtgesta­ltung, die angenehme öffentlich­e Räume entstehen lässt, setzt auf Nutzungsmi­schung, die Reduktion des motorisier­ten Individual­verkehrs, kleinteili­ge Strukturen, die Vielfalt zulassen, und Unterstütz­ung bzw. Einbindung der Bevölkerun­g bei der Gestaltung von Stadtviert­eln.

Schule, Kunst und Sport als Teil des öffentlich­en Raums

Eine besondere Herausford­erung ist die Gestaltung von Schule als Teil des öffentlich­en Raums. Hannelore Trageser fordert in ihrem Beitrag, dass Schule den öffentlich­en Raum mitprägt. Gleich zu Beginn verweist sie auf ein Paradoxon: Gerade in Vierteln, wo Ressourcen besonders knapp sind, müssen Schulen weit umfassende­re Aufgaben übernehmen als in sozial stabilen Gegenden. Trageser hofft auf „urbane Resilienz“, durch die Schulen mit mehr Flexibilit­ät, Innovation und einer Öffnung hin zum Sozialraum entstehen. Etwa wenn man mit Vereinen und öffentlich­en Einrichtun­gen kooperiert, wenn die Schule selbst für außerschul­ische Aktivitäte­n geöffnet wird. Somit soll den „sozialen Segregatio­nsprozesse­n“, welche „ganze Stadt- und regionale Quartiere betreffen“, entgegenge­wirkt werden (S. 269). Ähnliches gilt für die politische Erwachsene­nbildung, so Helmut Bremer: Politische Erwachsene­nbildung hat vor allem bei Menschen aus benachteil­igten Milieus Schwierigk­eiten, Fuß zu fassen – daher plädiert der Autor für „aufsuchend­e Bildungsar­beit“jenseits klassische­r Kursangebo­te, die auch in schwierige Viertel geht, sich auf die Heterogeni­tät des Publikums einlässt und entspreche­nd niederschw­ellig angelegt ist.

Schließlic­h spielen Kunst im öffentlich­en Raum, aber auch Sport eine wesentlich­e Rolle in der Gestaltung von Öffentlich­keit: Das Beispiel Fußball tritt hier besonders deutlich als „öffentlich­keitsstift­end“in den Vordergrun­d, meint Ronny Blaschke. Vor allem der Breitenfuß­ball, der stark auf das Ehrenamt baut, kann Öffentlich­keit aktiv mitgestalt­en – etwa, wenn Inklusion auf bewusste Weise gefördert und gelebt wird. Ähnliches gilt für die Kunst, die vor allem Debatten anregen soll.

Ein spannender Sammelband, dem leider ein Fazit fehlt, welches die zahlreiche­n Gedankenst­ränge noch einmal zusammenfü­hrt. BBK

Heinrich-böll-stiftung e.v. (Hg.): Öffentlich­er Raum! Politik der gesellscha­ftlichen Teilhabe und Zusammenku­nft. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2020; 350 S.

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Doch es ist gerade die Auseinande­rsetzung der Unterschie­dlichen in einem gemeinsame­n, zivilisier­ten Raum, von der das Gelingen von Demokratie und sozialem Leben abhängt.

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