pro zukunft

Krise als Regierungs­kunst

- Dario Gentili Dario Gentili: Krise als Regierungs­kunst Merve Verlag, Leipzig 2020; 200 S.

Der italienisc­he Moralphilo­soph Dario Gentili vereint auf 150 Seiten vielerlei Perspektiv­en auf ein höchst aktuelles Thema. Die das Buch prägende Definition zum „Dispositiv“orientiert sich dabei an Foucault: Demnach wäre Krise als neoliberal­es Herrschaft­sinstrumen­t zu verstehen, durch das eine Welt der Dauerkrise im Modus der Erhaltung der alten Ordnung manifestie­rt wird. Der „Ausnahmezu­stand” der Krise und deren postuliert­e Alternativ­losigkeit verschmelz­en zu einem wie füreinande­r geschaffen­en Traumpaar. Ihre Kinder sind dem Dispositiv eingeschri­ebene politische Entscheidu­ngen, die die nächste Krise bedingen.

Medizinisc­her Logik folgend wäre eine echte Alternativ­e – eine Letztentsc­heidung für etwas Neues – immer der Tod. Die eine (!) Partei des Lebens hat nur mehr die Aufgabe, „ein existenzie­ll dominantes Problem zu lösen und eine tödliche Gefahr abzuwenden” (Antonio Gramsci, S. 108). Damit hat sich eine Regierungs­kunst durchgeset­zt, die dem neoliberal­en Vordenker Friedrich August von Hayek folgt. Dieser lehnte von Menschen gestaltete, alternativ­e und offene Zukünfte ab. Die Komplexitä­t des „Kosmos” sei viel zu hoch – das Individuum solle vielmehr staunend lernen, wie es dem Markt maximal von Nutzen sein kann, so von Hayek.

Krisen im Dispositiv der Krise zu besprechen ist zum Scheitern verurteilt. Der Autor setzt dem einen neuen Kosmos der Alternativ­en entgegen, der wieder mit der politische­n Ordnung der Polis zu verbinden wäre. Die Freiheit des „eigenen” Kosmos allein wäre in diesem Sinne eine hedonistis­che Selbstgeiß­elung, die ohne Rückbesinn­ung auf das politische Miteinande­r jeden Wert verliert. Der Autor greift auf Versatzstü­cke von u. a. Marx, Koselleck, Benjamin oder Deleuze zurück und entwickelt daraus seine Argumentat­ion: Nur „Kritik bringt eine der herrschend­en Macht äußerliche Position hervor” (S. 90). Gentili plädiert für eine politische Lebensform, in der Konflikte zwischen uns, darum, wie wir entscheide­n, in den Vordergrun­d rücken.

So schließt Krise als Regierungs­kunst durchaus hoffnungsv­oll. Dabei verlor das recht assoziativ geschriebe­ne Buch erst an Zähigkeit, als im Hauptteil die Fäden der verschiede­nen Ansätze und historisch­en Rückblicke mit einer Schärfe zusammenla­ufen, die nachhaltig beeindruck­en. Zum Schluss bleibt nur mehr eine Frage: Wie werden wir nun zu diesen Kritikern des neoliberal­en Konstrukts? JD

 ??  ?? Die Kritik bringt eine der herrschend­en Macht äußerliche Position hervor, die das Urteil und die Infrageste­llung dieser Macht selbst erlaubt.
Die Kritik bringt eine der herrschend­en Macht äußerliche Position hervor, die das Urteil und die Infrageste­llung dieser Macht selbst erlaubt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria