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Niegeschic­hte

- Dietmar Dath Dietmar Dath: Niegeschic­hte Science Fiction als Kunst- und Denkmaschi­ne. Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2019; 942 S.

Dass Kunst eine Form der Erkenntnis ist, davon geht Dietmar Dath aus. In seinem opulenten Werk Niegeschic­hte versucht er zu bestimmen, was für eine Erkenntnis­form die Science-fiction ist. Dazu zeichnet er rund 200 Jahre Kulturgesc­hichte der Science-fiction zwischen 1815 und 2015 nach. Der Autor sieht die Sciencefic­tion dabei als Denkmaschi­ne, die den Menschen bei ihren Handlungen hilft.

Dath schlägt vor, den Namen „Science-fiction“als Formhinwei­s ernst zu nehmen und in diesem Namen als ein Hendiadyoi­n zu lesen. Ein Hendiadyoi­n ist eine Redefigur, die einen Gedanken erst verdoppelt und dann die beiden Teilbegrif­fe zu einem neuen, synthetisc­hen Begriff koppelt: Für Dath ist „Fiktion“eine besondere Sorte „Science“. Dies grenzt er übrigens von der Argumentat­ion ab, „Science“sei eine besondere Form der „Fiction“.

Dath beschreibt sein Verständni­s der Science-fiction vor dem Hintergrun­d der Entwicklun­g der sogenannte­n „exakten Wissenscha­ft“, die ihre Propositio­nen immer seltener monokausal-mechanisti­sch-determinis­tisch zu bauen „in der Lage sei, sondern stattdesse­n überdeterm­iniert, verteilt und statistisc­h zu forschen gelernt habe. Die exakte Wissenscha­ft interessie­re sich mittlerwei­le für das Wahrschein­liche, das Mögliche, das Konditiona­le“, schreibt Dath unter Verweis auf die einflussre­ichen Erkenntnis­se aus dem Bereich der Quantenmec­hanik und Thermodyna­mik. Wenn es in der exakten Wissenscha­ft um das Mögliche, das Wahrschein­liche gehe, steht sie in einem engen Verhältnis zu Kunst.

Science-fiction sei eine Maschine, die Wissen vergessen hilft, um neues Wissen in Vorstellun­g und Darstellun­g zu ermögliche­n. Dieses Verspreche­n selbst aber lasse sich nur formuliere­n, „wenn man in seiner Form die Umrisse des Wissens andeutet, das es zu gewinnen gäbe, und das Wissen von diesen Umrissen ist eben doch, ist eben auch ein Wissen. Fantastik gehört denen, die dieses Bauprinzip verstehen, das uns hinterlass­en wurde von Leuten, denen aufgefalle­n war, dass etwas mit einer Kultur nicht stimmte, die viel wusste, aber nicht wissen wollte, wie sie sich ändern muss, um dieses Wissen menschenge­recht zu nutzen“(S. 872f.). SW

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Die Späteren werden die Früheren missverste­hen; das ist der Lauf der Zeit.

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