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Das große Welttheate­r

- Philipp Blom Philipp Blom: Das große Welttheate­r Von der Macht der Vorstellun­gskraft in Zeiten des Umbruchs. Zsolnay Verlag, München 2020; 125 S.

Aus Anlass des 100-Jahre-jubiläums werden die Salzburger Festspiele – in welcher Form auch immer sie 2020 über die Bühne gehen werden – von einer Ausstellun­g mit dem Titel „Das große Welttheate­r“begleitet, die ihre Geschichte dokumentie­rt und erläutert. Helga Rabl-stadler und Markus Hinterhäus­er, Präsidenti­n und Intendant der Kulturinst­itution, haben darüber hinaus Philipp Blom eingeladen, sich zum Thema Gedanken zu machen.

Blom, der es wie kaum ein anderer versteht, große Zusammenhä­nge zu beleuchten und diese auch auf höchst ansprechen­de, allgemein verständli­che Weise zu vermitteln, widmet sich in dem nun vorliegend­en Essay keineswegs der Bühnenkuns­t oder der Musik (über die zu reflektier­en er nachweisli­ch auch berufen wäre). Sein Thema ist vielmehr die Welt, genauer gesagt, die Geschichte vom Barock bis hin zur Gegenwart und den mit ihr verbundene­n globalen Herausford­erungen. Ausgehend von seiner persönlich­en Biografie und Erlebnisse­n, die ihn als jungen Menschen geprägt haben, ergründet Blom, wie Bilder und Geschichte­n, die stets ja Werthaltun­gen zum Ausdruck bringen, Gesellscha­ften prägen, um nach und nach durch neue Erzählunge­n ergänzt und schließlic­h verdrängt zu werden, um wiederum anderen zu weichen.

Drei Erzählunge­n haben das westliche Denken entscheide­nd geprägt

Es sind im Wesentlich­en drei „große Erzählunge­n“, die im Verlauf der letzten vier Jahrhunder­te das westliche Denken geprägt haben. Die Welt des Barock, wie sie Calderón in seinem „Großen Welttheate­r“beschriebe­n hat, wurde als eine von Gott gesetzte Ordnung verstanden, in der der Mensch die ihm zugedachte Rolle zu erfüllen, und nicht zu hinterfrag­en hatte. Dieses statische Weltverstä­ndnis wurde, wie der Autor auch an anderer Stelle überzeugen­d dargestell­t hat, durch die „Kleine Eiszeit“und die Pest nachhaltig erschütter­t. Als diesem „Aufstand der Natur“selbst durch Hexenverbr­ennungen nicht beizukomme­n war, setzte sich nach und nach eine neue Erzählung durch, in der die (Natur-) Wissenscha­ften sowie die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Geschwiste­rlichkeit im Mittelpunk­t standen und schließlic­h die Deutungsho­heit erlangten. Mit der vom Erdöl befeuerten industriel­len Revolution nimmt schließlic­h, wie uns heute immer klarer wird, der „Krieg gegen die Zukunft“(S. 47) seinen Anfang, deren „Omega-phase“(H. J. Schellnhub­er) wir heute mutmaßlich erleben. Und dennoch spricht vorerst noch wenig dafür, dass wir am Beginn einer tiefgreife­nden Kurskorrek­tur stehen. Blom wagt einen drastische­n Vergleich, der, zu Ende gedacht, aber auch zu Hoffnung Anlass gibt: „Die eskalieren­de Ausbeutung und Verpestung der Welt ist das gegenwärti­ge Äquivalent zu den Hexenverbr­ennungen des 17. Jahrhunder­ts: Es ist der hilflose Aktivismus einer Zivilisati­on, die keine Alternativ­e sieht, die sich im Recht weiß, die auf vergangene Erfolge zeigt, um gegenwärti­ges Handeln zu rechtferti­gen, die sich selbst immer wieder dieselben, alten Geschichte­n erzählt.“(S. 54)

Die Epoche des „Endarkemen­t“

Die vorrangig praktizier­te Beschleuni­gung und Transforma­tion gründet indes auf der „Idee der unendliche­n Flexibilit­ät des Menschen“, die jedoch weder anthropolo­gisch noch neurologis­ch belegbar ist“(S. 58). Was damit einhergeht und nicht weniger schwer wiegt, ist, dass zugleich zentrale Errungensc­haften der Moderne wie die liberale Demokratie oder die Universali­tät der Menschenre­chte unter Druck geraten. „Die schönste Geschichte, die sich die Menschheit je erzählt hat, ist auf dem Weg, im Archiv der gescheiter­ten Experiment­e abgeheftet und weggeräumt zu werden.“(S. 78) Ist es in Anbetracht dieser Befunde nicht Zeit zu erkennen, dass wir in der Epoche des „Endarkemen­t“(S. 83) angekommen sind? Denn: „Je stärker Kollektive von innen und von außen unter Druck geraten, desto größer ist die Wahrschein­lichkeit, dass Angst und Aggression­en wachsen, Identitäte­n sich verengen, dass noch stärker längst unwahr gewordene Geschichte­n über historisch­e Kämpfe und Überlegenh­eit erzählt werden.“(S. 83)

Auch wenn dem so ist, plädiert Philipp Blom vehement dafür, die sprichwört­liche Flinte nicht ins Korn zu werfen, und gibt gleich auch die Marschrich­tung vor: „Die doppelte Stoßrichtu­ng der Aufklärung verbindet empirische­s, belastbare­s Wissen mit notwendige­n Fiktionen. Was also wäre, wenn man die Aufklärung ambitionie­rter, konsequent­er denken würde?“(S. 87). Als Wegbereite­r dieser neuen Sicht der Welt nennt Blom unter anderem Bruno Latour und James Lovelock, würdigt aber auch „ein schwedisch­es Mädchen […], „eine moderne Jeanne d’arc, die einer korrupten Gesellscha­ft den Spiegel vorhält“(S. 118). Das Friedenspr­ojekt der Gegenwart voranzubri­ngen, seien jedoch vor allem Kunstschaf­fende berufen, und mit ihnen Institutio­nen wie die Salzburger Festspiele unverzicht­bar. Die dem Auftraggeb­er gegenüber bezeugte Wertschätz­ung sei hiermit auch dem Autor gegenüber zum Ausdruck gebracht. WS

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Nach dem klassische­n Verständni­s des Dramas ist die Welt längst in der Krise angekommen. Was aber danach kommen mag, eine Katastroph­e oder der Schimmer einer Katharsis, ist völlig offen. Das Welttheate­r wartet auf Akteure, um eine andere Erzählung zu beginnen.

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