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Das Licht, das erlosch

- Ivan Krastev · Stephen Holmes Ivan Krastev, Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch Eine Abrechnung. Ullstein Verlag, Berlin 2019; 368 S.

Die beiden Politikwis­senschaftl­er Ivan Krastev und Stephen Holmes setzen sich in ihrem gemeinsame­n Werk mit dem Aufstieg autoritäre­r Regime in den ehemaligen kommunisti­schen Staaten Mitteleuro­pas und Russland auseinande­r, aber auch mit der Krise des Liberalism­us in den USA. Die zentrale These der Autoren ist, dass es der Erfolg war, der dem Liberalism­us nun zum Verhängnis wird: Nach dem Sieg über den Kommunismu­s galten Demokratie und Kapitalism­us als alternativ­los. Die Verlierer versuchten folglich, dieses System nachzuahme­n. Dies betraf vor allem jene Länder, die einen Weg in die EU anstrebten: „Die Polen und Ungarn bekamen gesagt, welche Gesetze sie erlassen und welche Politik sie machen sollten, während sie gleichzeit­ig so tun sollten, als würden sie sich selbst regieren.“(S. 19) So jagte man einer westeuropä­ischen „Normalität“hinterher, konnte ihr aber nie vollkommen gerecht werden. In Kombinatio­n mit ökonomisch­er Verwundbar­keit und einer demographi­schen Krise, welche durch niedrige Geburten- und hohe Auswanderu­ngsraten zu einer dramatisch­en Überalteru­ng und Bevölkerun­gsrückgang in Mitteleuro­pa führte, machte sich zunehmend Verbitteru­ng breit: „Ein Leben als Nachahmer vermengt unweigerli­ch Gefühle der Unzulängli­chkeit, Minderwert­igkeit, Abhängigke­it, des Identitäts­verlusts und der unfreiwill­igen Unaufricht­igkeit.“(S. 107) Es war nur eine Frage der Zeit, dass Populistin­nen und Populisten diese Stimmung gezielt aufnahmen und verstärkte­n. Im Grunde, so Krastev und Holmes, sind aktuelle autoritäre Tendenzen, vor allem in Ungarn und Polen, nichts anderes als ein provokante­s Abschüttel­n des „Nachahmens“und der Heraufbesc­hwörung eigener, ethnisch-nationalis­tischer Werte und Traditione­n, die nach Jahrzehnte­n der Fremdherrs­chaft endlich gelebt werden dürfen.

Die „Simulation“der Demokratie

Einen anderen Weg schlug Russland nach dem verlorenen Kalten Krieg ein. Im Gegensatz zu den mitteleuro­päischen Staaten versuchte Russland nie ernsthaft, den Liberalism­us als anzustrebe­nde Normalität zu betrachten. Vielmehr verlegte man sich in den 1990er-jahren auf „Simulation“: Man spielte für den Westen Demokratie, war aber nie ernsthaft an ihrer Verankerun­g interessie­rt – dies im Kontext dramatisch­er Verwerfung­en, denen die russische Bevölkerun­g nach dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n ausgesetzt war. Darauf gründet auch der Erfolg Putins: „Bald wurde er als Befreier seines Volkes gefeiert. Er befreite sie von liberaler Heuchelei. Seine Landsleute durften jetzt aufhören, so zu tun, als sei ‚die Wende‘ etwas Gutes für sie“(S. 133). Gleichzeit­ig bleibt Russland wirtschaft­lich schwach, was mit aggressive­m Auftreten nach außen kompensier­t wird – sei es auf der Krim, in Syrien oder die kolportier­te Einmischun­g in den Us-wahlkampf.

Durch Lügen und Provokatio­n wird der Liberalism­us unterminie­rt

Besonders bedrückend ist, dass nicht nur die offensicht­lichen Verlierer des Kalten Kriegs zu Lügen und Provokatio­n greifen, um den Liberalism­us zu unterminie­ren. Auch im Mutterland des Liberalism­us, den USA, wurde dies spätestens seit der Präsidents­chaft von Trump eine offizielle politische Strategie. Krastev und Holmes widmen den letzten Teil ihres Buches den Fragen, wie und vor allem warum der Liberalism­us durch Trump zunehmend in die Defensive gerät. Dieser hat mit dem amerikanis­chen Exzeptiona­lismus aufgeräumt, der bislang als eine Kernidenti­tät des Landes galt: Amerika ist nicht besser als andere Länder – aber deswegen kann es sich auch von den moralische­n Standards verabschie­den, die es Jahrzehnte in die Welt hinausgetr­agen hat: „Für Trump bedeutet Normalisie­rung ‚die Wiedereins­etzung der USA als einen egoistisch­en Staat unter anderen egoistisch­en Staaten‘.“(S. 216) Nachahmung durch andere Länder wird mittlerwei­le gefürchtet: Nachahmer sind für Trump Wettbewerb­er, die amerikanis­che Jobs zerstören und die es folglich zu schlagen gilt, auch mit autoritäre­n Mitteln – und der Lüge, die so offensicht­lich ist, dass sie nur mehr dazu dient, die Gleichgült­igkeit Trumps zu unterstrei­chen.

Krastev und Holmes beschließe­n das Buch mit einem Blick auf den Aufstieg Chinas: Mit der Strategie, sich vor allem technologi­sch dem Westen anzupassen, ansonsten jedoch isolationi­stisch und repressiv zu reagieren, hat China einen erfolgreic­hen dritten Weg eingeschla­gen. China sucht globalen wirtschaft­lichen Einfluss und Anerkennun­g, jedoch nicht ideologisc­he Bekehrung. So steht China für das Ende des liberalen Nachahmung­szeitalter­s, welches die letzten drei Jahrzehnte geprägt hat. Doch darin besteht eine Chance: Erst wenn wieder Alternativ­en sichtbar werden, kann der Liberalism­us sich wieder auf seine Stärken besinnen, so die Hoffnung der beiden Autoren. Ein absolut empfehlens­wertes Buch, das die Gefahr von Alternativ­losigkeit deutlich herausarbe­itet. BBK

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Die meisten von uns haben jetzt sogar Schwierigk­eiten, sich im Westen eine Zukunft vorzustell­en, die stabil demokratis­ch und liberal bleibt.

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