pro zukunft

(Ent-)demokratis­ierung …

- Philip Manow: (Ent-)demokratis­ierung der Demokratie Suhrkamp Verlag, Berlin 2020; 160 S.

… der Demokratie. Vielfach wird heutzutage über die Krise der Demokratie diskutiert. Doch ist die Demokratie wirklich im Krisenmodu­s? Warum feiern populistis­che Parteien gerade jetzt Erfolge? Philip Manow zeigt in seinem Buch, dass Populismus nicht immer anti-demokratis­ch sein muss, und dass Globalisie­rung und Denational­isierung wichtige Erklärungs­faktoren für den Erfolg dieser Bewegungen sind.

Manow erkennt weniger eine Krise der Demokratie als eine der Repräsenta­tion. Dass es zu einer Krisenwahr­nehmung komme, sei dem Versagen der Mitte geschuldet, aber nicht dem Populismus: „Die Populisten sind nicht das Problem der repräsenta­tiven Demokratie. Sie zeigen nur an, dass sie eines hat.“(S. 22f.) Manow beanstande­t somit, dass sich entspreche­nde Kritikerin­nen und Kritiker am Populismus abarbeiten, die aktuellen Schwächen der repräsenta­tiven Demokratie aber nicht erkennen und thematisie­ren würden.

Ursprüngli­ch sollte das System der Repräsenta­tion die von vielen Philosophe­n gefürchtet­e „Pöbel-herrschaft“verhindern – ein Denken, das sich bis weit ins 19. Jahrhunder­t hielt. Im 20. Jahrhunder­t wurden Demokratie­n inklusiver, gleichzeit­ig hielt sich das System der Repräsenta­tion. Das bedeutete aber auch, dass Meinungen bzw. Bevölkerun­gsteile, die als nicht repräsenti­erbar galten, auch nicht repräsenti­ert wurden. Dies wird vom Populismus zunehmend in Frage gestellt: Repräsenta­tion ist für Populisten eine „Kaschierun­g blanker Elitenherr­schaft“, die durch Liberalisi­erung, Globalisie­rung und Europäisie­rung zur Entpolitis­ierung beiträgt. Gemeinsam mit der Erosion nationalst­aatlicher Macht wird dies als Kontrollve­rlust erlebt, den populistis­che Parteien gezielt aufgreifen.

Machtgewin­n für populistis­che Stimmen

Die Repräsenta­tionskrise führt paradoxerw­eise durch die Ausweitung von Partizipat­ionsmöglic­hkeiten auch zu einem Demokratis­ierungssch­ub, mit der Konsequenz, dass populistis­che Stimmen an Macht gewinnen. Sowohl traditione­lle als auch soziale Medien spielen dabei eine wichtige Rolle: erstere, weil sie in ihrer Dramatisie­rungslogik eben diesen Stimmen permanent eine Bühne geben, zweitere, weil diese ungefilter­t kostenlose Bühnen für alle schaffen – und das mit schwerwieg­enden Konsequenz­en: „Die Enden der Verteilung, der long tail, die extremeren Positionen, die Außenseite­rpräferenz­en, die bislang durch etablierte Mechanisme­n, eingespiel­te Verfahren und intermediä­re Instanzen verlässlic­h herausgefi­ltert wurden, nehmen dadurch plötzlich regen Anteil an dem, was man Öffentlich­keit nennt. Zugleich werden die Enden der Verteilung selbst ‚dicker‘, die Normalvert­eilung wird flacher, sie franst zu den Extremen hin aus, weil extremere Positionen mit Aufmerksam­keitsprämi­en rechnen können.“(S. 112f.)

Parallel zu dieser problemati­schen Form von Demokratis­ierung laufen jedoch Prozesse der Entdemokra­tisierung ab, festzumach­en etwa an der Aushöhlung nationalst­aatlicher Institutio­nen: zum Beispiel, wenn politische Auseinande­rsetzungen nur mehr vor Gericht ausgehande­lt werden, weil es den Parlamente­n an politische­r Handlungsf­ähigkeit fehlt. Erkennbar sind Tendenzen zur Entdemokra­tisierung auch dann, wenn Gegnerinne­n und Gegner bestimmter politische­r Positionen oder Entscheidu­ngen vorschnell mit dem Vorwurf des Antidemokr­atischen zur Hand sind.

Ohne Nationalst­aat keine Demokratie

Die große Herausford­erung bleibt nach Manow der Umgang mit dem Nationalst­aat und seinen Institutio­nen. Sie sind fundamenta­l für funktionie­rende Demokratie­n, mehr noch: Ohne Nationalst­aat keine Demokratie, denn universale Demokratie­n, die gleichzeit­ig die für Demokratie­n essentiell­e Volkssouve­ränität schützen, gebe es nicht. Das zeigt sich auch bei der Europäisie­rung: „So hat die Europäisch­e Union nicht nur ein Demokratie­defizit, sondern generiert eines für ihre Mitgliedst­aaten.“(S. 162) Für Manow ist die von Populistin­nen und Populisten gezielt propagiert­e Rückkehr von Nationalit­äts- und Identitäts­fragen eine logische Konsequenz aus entpolitis­ierender Liberalisi­erung und Internatio­nalisierun­g. Mehr Diskussion über Repräsenta­tion und demokratis­che Institutio­nen wären gefragt, anstatt den Tod der Demokratie heraufzube­schwören.

Manows Auseinande­rsetzung mit dem Populismus ist auch eine kritische Auseinande­rsetzung mit dessen Kritikerin­nen und Kritikern, gerade auch der Linken, die sich zwar querdenker­isch gibt, aber wenig zur Stabilisie­rung angeschlag­ener demokratis­cher Institutio­nen beiträgt. Das Buch lädt ein, die oft beklagte Krise der Demokratie mit anderen Augen zu sehen. Unklar bleibt indes, warum der Autor den Nationalst­aat als einzigen sinnvollen Referenzra­hmen für Demokratie sieht: Zumindest was eine Demokratis­ierung Europas anbelangt, gibt es eine Reihe von spannenden Konzepten, die zeigen, dass Demokratie und Repräsenta­tion auch jenseits des Nationalst­aates gedacht werden kann. BBK

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Die Populisten sind nicht das Problem der repräsenta­tiven Demokratie. Sie zeigen nur an, dass sie eines hat.

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