pro zukunft

Terror gegen Juden

- Ronen Steinke: Terror gegen Juden Eine Anklage. Berlin Verlag, Berlin 2020; 256 S.

Es ist eine erschütter­nde Gesamtscha­u antisemiti­scher Übergriffe und Gewalttate­n in Deutschlan­d seit 1945, die Ronen Steinke in seinem neuesten Werk darlegt. Steinke beschreibt darin das Leben einer Bevölkerun­gsgruppe in Deutschlan­d in ständiger Bedrohungs­lage, die für Außenstehe­nde nur schwer vorstellba­r ist. Besonders deutlich wird dies, wenn er den Lebensallt­ag jüdischer Kinder schildert, deren Schulen sich hinter Hochsicher­heitseinri­chtungen verstecken müssen. Oder wenn er die inneren Konflikte von Eltern und Lehrperson­en aufzeigt, die im ständigen Zwiespalt stecken, wie weit sie die Kinder mit der ständig drohenden Gefahr konfrontie­ren sollen.

Der Untertitel „Eine Anklage“ist nicht grundlos gewählt, denn der Autor macht auf bedrückend­e Weise das Versagen des Staates und seiner Behörden sichtbar. Dies manifestie­rt sich bereits zu Beginn des Buchs am Beispiel des Doppelmord­s an Shlomo Lewin und dessen Lebensgefä­hrtin Frida Poeschke im Jahr 1980, als die zuständige­n Ermittlung­sbehörden gegen jede Logik an der Hypothese eines jüdischen Mordkomplo­tts festhielte­n und in der jüdischen Community nachforsch­ten, während der tatsächlic­he Täter aus dem Neonazi-milieu unbehellig­t ins Ausland verschwind­en konnte. Wer jetzt an den Umgang der deutschen Behörden mit dem NSU denkt, kann bereits erahnen, wie Steinke in weiterer Folge beinahe stakkatoar­tig das jahrzehnte­lange Scheitern der Ermittlung­sbehörden im Umgang mit antisemiti­scher Gewalt aufzeigen wird.

Steinke zerpflückt die Mär der ewigen Einzelfäll­e schon im Fließtext seines Buchs – in der abschließe­nden ausführlic­hen Chronik hunderter antisemiti­scher Gewalttate­n in Deutschlan­d seit 1945 wird das allerdings noch einmal auf eindrückli­che Weise verdichtet. Allen, die hier noch kein gesamtgese­llschaftli­ches Problem erkennen, führen spätestens die zwei detailreic­hen kartograph­ischen Visualisie­rungen antisemiti­stischer Gewalt vor Augen, wie omnipräsen­t die antisemiti­sche Bedrohung war und ist.

Auch wenn dem Buch an mancher Stelle zu wünschen wäre, dass sich der Autor mehr Zeit für eine die Materie durchdring­ende Analyse und Argumentat­ion genommen hätte: Steinke hat mit Terror gegen Juden nicht nur ein erschütter­ndes, sondern auch unbedingt lesenswert­es Buch vorgelegt. RO

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