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Beute, Ernte, Öl

- Ian Morris: Beute, Ernte, Öl Wie Energieque­llen Gesellscha­ften formen. DVA, München 2020; 432 S.

Ian Morris widmet sich in seinem neuen Buch der Energiebas­is von Gesellscha­ften. Energie meint hier nicht nur, was wir heute landläufig darunter verstehen, sondern im Wesentlich­en die Nahrungszu­fuhr. Während Jagd- und Sammelgeme­inschaften in kleinen Gruppen umherzogen und sich von dem ernährten, was ihnen die Natur gab, ermöglicht­en Agrargesel­lschaften die Sesshaftig­keit und die Errichtung größerer Siedlungen mit ausdiffere­nzierten Gesellscha­ftsstruktu­ren.

Die Nutzbarmac­hung der Fossilener­gie ab dem 18. Jahrhunder­t führte zu dem, was wir heute vorfinden: exponentie­lles Wachstum der Bevölkerun­g, der wirtschaft­lichen Aktivitäte­n und der Naturausbe­ute. Die zentrale und zugleich provokante These von Morris lautet nun: Es gibt zwar übergeordn­ete Werte wie Fairness, doch diese würden je nach materielle­r Basis anders ausgelegt. Die Unterdrück­ung von Sklavinnen und Sklaven, wie auch von Bäuerinnen und Bauern, sei als moralisch richtig angesehen worden, weil die Versorgung der Städte mit Lebensmitt­eln anders nicht gewährleis­tet werden hätte können. Die Abschaffun­g der Sklaverei und Fronarbeit sei schlicht der Tatsache geschuldet gewesen, dass entspreche­nde Arbeit nun von Maschinen, angetriebe­n aus fossiler Energie,erledigt werden konnte. Morris sieht in diesem ungeheuren Energiesch­ub den großen Freiheitsg­ewinn der Moderne, der die Zunahme demokratis­cher Herrschaft­sformen und die tendenziel­le Ausweitung der Gleichheit begründet.

Die materialis­tische Sichtweise auf Werte hat durchaus etwas Bestechend­es. Doch wie jede monokausal­e Erklärung bleibt sie eben reduktioni­stisch. Dass versklavte Menschen sowie Bäuerinnen und Bauern über Jahrhunder­te scheinbar wenig aufbegehrt haben, hat mit Machtverhä­ltnissen zu tun und – wie der Autor selbst ausführt –, damit, dass die Bauernscha­ft, anders als später die Industriea­rbeitersch­aft, aufgrund der geringen Mobilität keine Möglichkei­t hatte, sich in Aufständen zusammenzu­schließen (und außerdem gab es in der Tat auch Sklaven- wie Bauernaufs­tände).

In Summe liefert Ian Morris hier ein gut erzähltes, an historisch­em Wissen reiches Buch, das allerdings der verklärend­en Ideologie der so genannten freien Welt des Westens unterliegt. HH

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Der starke Anstieg der menschlich­en Energieerz­eugung war in den vergangene­n 20 000 Jahren der Motor der kulturelle­n Evolution.
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Es ist immer gleich, es müssen erst furchtbare Dinge geschehen, bis sich etwas ändert.

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