Deep Green Resistance
Die Strategie von Deep Green Resistance (DGR) zielt auf eine Störung und Zerstörung der heute dominierenden industriellen Zivilisation ab, weil sie tagtäglich und mit zunehmender Effektivität die planetaren Grenzen überschreitet und unser aller Existenzbedingungen – und die der nachfolgenden Generationen sowie aller anderen Lebewesen – vernichtet. Daher gelte es, die „Troika aus Industrialisierung, Kapitalismus und Patriarchat aufzuhalten“(S. 14) und es sei „längst an der Zeit für diejenigen von uns, denen das Leben auf der Erde etwas bedeutet, die Initiative zu ergreifen, um diese Kultur daran zu hindern, jedes lebende Wesen zu zerstören.“(S. 7) Dabei wird vermutet, „dass diese Kultur keine freiwillige Transformation in eine gesunde und nachhaltige Lebensweise vollziehen wird.“(S. 8)
Im Buch werden am Beispiel der USA vielfältige Handlungsmöglichkeiten eines tiefenökologischen Widerstands beschrieben, von gewaltlosen Aktionen bis hin zu GuerillaKriegsführung. DGR erfordert offenkundig extrem starkes Engagement und dies in einer Gesellschaft, wo vieles auf Bequemlichkeit ausgerichtet sei, auf Hyperkonsumismus, Unterhaltung, Ablenkung. Doch die wesentliche Frage laute: „Wollen wir uns gut fühlen oder wollen wir effektiv sein? Sind wir Sentimentalistinnen oder Kriegerinnen?“(S. 17) Solch radikaler Widerstand ist nur für Wenige praktikabel und stellt hohe Ansprüche: „Dieser Widerstand wird Körper um Körper aufgebaut von einigen wenigen, den Standhaften, den Mutigen, den Entschlossenen, denen, die bereit sind, sowohl gegen die Mächtigen als auch gegen sozialen Druck zu stehen.“(ebd.)
Das mit der DGR zum Ausdruck kommende Phänomen ist ohne Zweifel interessant, unter anderem für die Zukunftsforschung, denn aufgrund der zu erwartenden krisenhaften Zuspitzungen und kaskadenhaften Kumulation von Krisen und Katastrophen ist mit eskalierenden Reaktionsmustern zu rechnen. Für die Ausarbeitung von Szenarien eröffnen sich daher Varianten für mögliche Entwicklungen im Spektrum best case und worst case. Zugleich sind die in der DGR artikulierte Frustration und Dringlichkeit ernst zu nehmen. So gibt es auch in Europa zahlreiche Menschen, meist sehr gut informiert und mit einem gut entwickelten Vorstellungsvermögen gerüstet, bei denen die Geduld mit dem Zerstörungsprozess zu Ende geht. EG Derrick Jensen, Lierre Keith, Aric Mcbay: Deep Green Resistance Strategien zur Rettung des Planeten. Promedia, Wien 2020; 352 S.
Andri Snær Magnason verfasst Bücher, Gedichte und Essays. Im Deutschen sind bislang Die Geschichte vom blauen Planeten und Traumland erschienen. Das vorliegende Buch wurde nach der Veröffentlichung 2019 in Island zum Bestseller, weshalb wir uns über eine weitere Übersetzung freuen dürfen.
Wasser und Zeit wird im Untertitel „Eine Geschichte unserer Zukunft“genannt, was man verstehen kann als eine Gegenwartsgeschichte, die für die Zukunft spricht. Gewidmet seinen Kindern und Enkeln ist das Buch im Angesicht der Klimakrise eine Mythologie der Gegenwart: Ein Werk, in dem Lyrik und alte Mythen Platz finden, ohne die menschliche Existenz undenkbar ist; ein erzählendes, informierendes und berührendes Werk: Geschichten des eigenen Erlebens und Nachforschens, eigener Bedenken und Visionen. Gespräche mit den Großeltern, die fast ein Jahrhundert durchlebt haben, zeugen von einem unfassbaren Wandel. Ein Dialog mit dem Dalai Lama, der sein Leben (und die dreizehn Leben davor) dem Lehren von Mitgefühl widmet, gibt Fragen zu heutigem Verhalten auf. Wissenschaftliche Forschungen zur Klimakrise gehen nicht im Rauschen unverständlicher Fakten unter, sondern sind in die Erzählung eingewoben. Die schwarz-weißen Bildseiten sind ohne Worte wichtiger Teil des Buchs.
Eine neue Sprache für Lösungen
In unserer Geschichte gab es immer wieder Systeme, die ihren bevorstehenden Zusammenbruch nicht denken konnten. Die Realität war begrenzt, bestimmt von vorherrschenden Denkbildern. Um das Unfassbare zu fassen, bräuchte es eine grenzüberschreitende Sprache. Steht heute ein Zusammenbruch bevor, den wir nicht denken können – und brauchen wir eine neue Sprache, um Lösungen zu finden?
Unsere Weltanschauung ist noch immer geprägt von der Vorstellung, die Erde sei eine endlos nutzbare Ressource. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die das Gegenteil aufzeigen und vor Klimakatastrophen warnen, können sie nicht fassen. Wir haben zwar Begriffe für „Treibhauseffekt“und „Versauerung der Meere“– doch diese führen uns in die Irre, indem sie Kontrollierbarkeit suggerieren. Sie sind geradezu wirkungslos geblieben. Was sie bezeichnen ist so ernst, dass ihre Bedeutung in einem Rauschen untergeht. Daher sucht Magnason mit diesem Buch einen neuen Weg des Sprechens.
Wasser und Zeit sind die zwei ineinander verschmelzenden Themenkreise des Buches: Als der Autor im Zuge einer Ausstellung am Institut für isländische Studien das 700 Jahre alte
Konungsbók mit der Lieder-edda in Händen zu halten bekommt – und in derselben Woche sein erstes Kind geboren wird – eröffnet sich ihm eine neue Sensibilität für Zeit und Kostbarkeit. Schon in dieser uralten Handschrift, die er heute noch entziffern kann, ist von Ragnarök, dem Weltuntergang die Rede. Wird diese Handschrift weitere 700 Jahre überstehen, und es dann eine Zivilisation geben, die sie aufbewahrt und entziffern kann?
Zum Themenkreis Wasser widmen sich Teile des Buchs der Versauerung der Meere, dem Sterben der Korallen, der Krokodile und anderer Tierarten sowie dem Tauen des Permafrosts. Anstatt des Anstiegs des Meeresspiegels wird das weniger beachtete Phänomen der Gletscherschmelze hervorgehoben. Als Isländer ist der Autor mit Gletschern aufgewachsen. Seine Großeltern haben bei ihrer Hochzeitsreise (und zu Forschungszwecken) den großen Vatnajökull bestiegen. Für sie ist der Gletscher mächtig, ein ewiger weißer Riese. Heute schmilzt er in einer bisher nicht gekannten Geschwindigkeit, bis er in spätestens 150 Jahren verschwunden sein wird.
Um die Rettung der Erde bemühen
Wie dramatisch das Schmelzen der Gletscher weltweit ist, beginnen wir zu erfassen, als Magnason auf eine überraschende Übereinstimmung zwischen dem Mythos der heiligen Kuh Indiens mit einem bislang rätselhaften nordischen Mythos stößt: Hier nährt die aus Raureif geschaffene Kuh Au∂humla mit den Milchströmen aus ihren Zitzen die Welt. Es wird klar, dass die Kuh den Himalaya symbolisiert und ihre fruchtbare Milch die Flüsse der umliegenden Länder. Für die Niederlassung der Menschen waren sowohl die Kuh als auch die Gletscher wichtig, da sie das Land zur stets richtigen Zeit mit Wasser versorgten. Versiegt der Ursprung des Wassers, sind die Auswirkungen dramatisch. Die Dringlichkeit der Lage und die Bedeutsamkeit dieses uralten Mythos inspirieren Magnason, ihn für die Gegenwart fortzuschreiben: Hat sich Au∂humla ihm offenbart, um die Menschen zu warnen? Er will kein Weltuntergangsprophet sein und die Menschen lähmen. Doch vielleicht lähmt das Wissen um große Gefahr gar nicht, sondern macht Reflexion und Entwicklung neuer Kräfte möglich? Die Antwort bleibt offen, aber besonders im Blick auf unsere Vorfahren und Nachkommen wird deutlich: einen anderen Weg, als uns um die Rettung der Erde zu bemühen, haben wir nicht. Ein offenherziges, entzauberndes und bezauberndes Buch. CBU Andri Snær Magnason: Wasser und Zeit Eine Geschichte unserer Zukunft. Insel Verlag, Berlin 2020; 304 S.