pro zukunft

Mensch und Maschine

Thomas Fuchs

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Moritz Riesewieck und Hans Block denken über den Umgang mit dem Tod im digitalen Zeitalter nach, Thomas Fuchs erinnert an unsere Menschlich­keit erinnert. Über eine Automatisi­erung und zeitliche Verkürzung von Arbeit denkt Robert Skidelsky nach. Und von Stuart Russell erhalten wir eine Entwicklun­gsgeschich­te und Analyse von Künstliche­r Intelligen­z, außerdem Gestaltung­svorschläg­e.

Thomas Fuchs hat es sich zum Ziel gemacht den Menschen zu verteidige­n – genauer gesagt seine Subjektivi­tät. Diese ist in der Allgegenwä­rtigkeit von Wissenscha­ft und Erklärbark­eit des Lebens nämlich außer Mode geraten. Wie das passieren konnte und warum das Subjekt überhaupt verteidigu­ngswürdig ist, erarbeitet Fuchs in einem wirklich beeindruck­enden Werk über den Zugang der verkörpert­en Anthropolo­gie.

Warum verkörpert? Weil die Wurzel allen Übels im Dualismus von Körper und Geist zu finden sei, beziehungs­weise im Glauben alles in kontrollie­rbare Einheiten aufteilen zu können. Durch diese Trennung in analytisch­e Einheiten, welche Erklärbark­eit und damit Kontrollie­rbarkeit impliziere­n, wird der Körper nur noch zur fleischlic­hen Hülle für den Geist oder auch das Gehirn, welches diesen enthalten soll. Daraus entstehen wiederum allerhand realweltli­che und für uns alle spürbare Folgen. Wir beginnen uns selbst wie Maschinen zu sehen, trotz dessen, dass diese von uns als unsere Helfer erfunden wurden – das Verhältnis kehrt sich quasi um. Daraus resultiere­n Unsterblic­hkeitsfant­asien der Transhuman­isten und der Glaube aus Daten und Algorithme­n menschenäh­nliche Wesen erschaffen zu können, in welchen wir weiterlebe­n. Davor allerdings macht uns dieses Verständni­s bereits zu grundlegen­d manipulier­baren, optimierba­ren und verbesseru­ngswürdige­n Maschinen. Thomas Fuchs besinnt sich zurück. Darauf, dass der Mensch eine Einheit aus Körper und Geist ist, welche im eigentlich­en Sinne untrennbar miteinande­r verbunden ist, die aber auch immer im Verhältnis zu anderen und der Umwelt steht. Darin gerinnt unsere Subjektivi­tät, welche sich nicht in Maschinen oder ähnlichem repliziere­n lässt. Damit setzt er alles wieder ins Verhältnis, befreit uns von der Hoffnung auf menschener­zeugte und menschenäh­nliche Lebewesen und nimmt uns damit auch den Schrecken dieser vorbestimm­ten Zukunft.

Eine Klarstellu­ng darüber, wie verquer unsere Lebenswelt geworden ist

Fuchs erteilt dem „szientisti­schen Weltbild“, welches unser Leben als lang gewachsene­s Narrativ nachhaltig und in allen Lebensbere­ichen beeinfluss­t, eine Absage. Sein Buch der verkörpert­en Anthropolo­gie ist wie ein literarisc­hes „auf den Tisch hauen“und eine Klarstellu­ng darüber, wie verquer unsere Lebenswelt geworden ist. Er zeigt uns, wie diese Denkschema­ta entstanden sind, wie diese Entwicklun­gen in der Digitalisi­erung, KI- und Neuro-forschung sowie Virtualitä­t ihren derzeitige­n Höhepunkt finden. Gleichzeit­ig enttarnt er sie als die Geschichte­n einer Determinis­mus-doktrin, die sie sind. Und das, indem er immer wieder die Abstrusitä­t dieses Dualismus in den Begrifflic­hkeiten von Bewusstsei­n, Intelligen­z, Wahrnehmun­g, Empathie, Freiheit und Personalit­ät durchdekli­niert. Alles mit beeindruck­ender Kenntnis über die Fachgebiet­e seiner „Gegner“und deren Glaubenssä­tzen. Implizit rückt er damit auch den Tod und seine Unabwendba­rkeit mit einer fast erleichter­nden Wirkung wieder ins Leben zurück; weil man sich nun wieder als Mensch fühlen kann, als eine Einheit aus Stoff und Geistigkei­t: „Zweifellos stellt die Endlichkei­t die größte Bürde der menschlich­en Existenz dar. Sie ist aber, näher besehen, auch die Voraussetz­ung ihres Sinns, ihrer Ernsthafti­gkeit und ihrer Würde.“(S. 97)

Das Buch ist eine echte Wohltat

In einer Zeit, in der der Technikgla­ube allgegenwä­rtig ist und sich der Mensch teils darin verlieren muss, ist dieses Buch eine Wohltat. Nicht ohne dabei viel von seinen Lesern und Leserinnen abzuverlan­gen. Die Ausführung­en gehen an die Substanz von technische­m Fortschrit­t und philosophi­schen Grundfrage­n der Menschheit. Wer sich hier jedoch durchgekäm­pft hat, wird am Ende vielleicht ein wenig der Menschlich­keit in sich wiederentd­eckt haben, die uns so unbestreit­bar von Maschinen unterschei­det. Damit gibt er uns ebenso den Handlungss­pielraum zurück, der in einer Subjektivi­tät und deren libertaris­chen Freiheit begründet liegt. Diese vereint auf völlig natürliche Art und Weise determinis­tische Elemente und die Offenheit für die Zukunft in sich, so unvereinba­r sie auf den ersten Blick auch scheinen. Damit bestreitet er jedoch nicht die Wissenscha­ft, deren Erkenntnis­se und Errungensc­haften an sich. Er rückt diese vielmehr wieder ins Verhältnis zu uns und zeigt, wie sie dieser wiederentd­eckten Menschlich­keit dienlich sein können – ohne sich dabei selbst zu Sklaven dieser zu erklären.

Thomas Fuchs: Verteidigu­ng des Menschen Grundfrage­n einer verkörpert­en Anthropolo­gie. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020; 331 Seiten

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Das Gehirn ist nur ein Organ der Person, nicht ihr Sitz. Mit anderen Worten: Personalit­ät bedeutet verkörpert­e Subjektivi­tät.

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