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Der Code des Kapitals

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Ökonomisch­e Analysen zum Kapitalism­us und seinen Krisen gibt es zahlreich, rechtswiss­enschaftli­che Abhandlung­en sind hingegen rar, Fachbeiträ­ge zu einzelnen Rechtsmate­rien ausgenomme­n. Diese Lücke füllt Katharina Pistor mit Der Code des Kapitals – im Mai 2019 auf Englisch und im November 2020 auf Deutsch erschienen. Rasch wurde das Buch zum Bestseller, auch wenn die abgehandel­ten Themen durchaus komplex und nicht immer leicht zu verstehen sind. Die Juristin geht der Frage nach, wie Kapitalges­ellschafte­n seit Jahrhunder­ten für sich selbst Rechte und Privilegie­n setzen, von denen die „normale“Bevölkerun­g nur träumen kann. Möglich mache dies das angelsächs­ische Rechtssyst­em, in dem nicht geschriebe­ne Gesetze, sondern Präzedenzf­älle maßgeblich sind, wodurch Firmenanwä­ltinnen und -anwälte insbesonde­re in London und New York ein Privatrech­t haben schmieden können, um immer neue Produkte als privates Kapital auszuweise­n und so der öffentlich­en Sphäre zu entziehen, so die zentrale These des Buchs.

Pistors politökono­mische Studie geht zurück zu den englischen Landlords, den Commons und ihrer Vereinnahm­ung durch den Adel und seine Anwälte. Damit zeigt sie bis heute reichende rechtliche Kontinuitä­ten des Kapitals auf. Eine der zentralen Aussagen: Kapital ist nicht nur, wie die Volkswirts­chaftslehr­e betont, einer der Produktion­sfaktoren, der zur Schaffung von Gütern führt, sondern verbriefte­s Recht auf Schutz von Eigentum. Grundstück­e, Unternehme­n, Patente, Schuldvers­chreibunge­n, digitale Daten und jede Art von Finanzinst­rumenten werden zu Kapital durch rechtliche Absicherun­g, oder – wie Pistor sagt – durch Codierung. Kapital bestehe daher immer aus zwei Komponente­n: dem Gut und dem Rechtscode, der es absichert.

Warum lässt sich daraus ableiten, dass das Recht Reichtum und Ungleichhe­it schafft, wie der Untertitel des Buchs folgert? Besitz, ob in Form von materielle­n Gütern oder in Form von Finanzgüte­rn, werde privatrech­tlich abgesicher­t durch das Vertragsre­cht, die Eigentumsr­echte, das Kreditsich­erungs-, Gesellscha­fts- und Insolvenzr­echt. Eigentum erhält damit besondere Eigenschaf­ten und privilegie­rt die Besitzende­n. Als erstes nennt Pistor „Priorität“, die konkurrier­ende Ansprüche auf dieselben Güter in eine Rangfolge bringt und etwa Gemeinwohl­interessen nachreiht. Wichtig sei auch „Beständigk­eit“, die prioritäre Ansprüche zeitlich ausdehnt, wie „Universali­tät“, die Ansprüche räumlich ausdehnt – Staaten haben zwar ihr jeweiliges nationales Recht, doch sei dieses durch internatio­nale Anerkennun­gsklauseln gebunden, was dem Kapital quasi freie Wahl über die günstigste­n Rechtsgrun­dlagen gewährt. Zwei Rechtsordn­ungen dominieren dabei „die Welt des globalen Kapitals: das englische Common Law und das Recht des Staates New York“(S. 26). Als letzte Eigenschaf­t nennt Pistor „Konvertier­barkeit“durch einen Versicheru­ngsmechani­smus, der es vermögensi­nhabenden Individuen ermöglicht, private Kreditansp­rüche bei Bedarf in Staatsgeld umzuwandel­n. Die Bankenrett­ungen nach der Finanzkris­e dienten auch diesem Zweck.

Über die „Herren des Codes“

Eine zentrale Rolle hinsichtli­ch der Codierung des Privatrech­ts für Besitz weist Pistor internatio­nalen Rechtsfirm­en zu, die nicht nur die Ansprüche ihres Klientel verteidige­n und dafür hohe Honorare kassieren, sondern an der immer differenzi­erteren Ausgestalt­ung des Privatrech­ts aktiv mitwirken. Sie spricht von den Anwälten als „Herren des Codes“(S. 18). Dem Staat komme dabei die Rolle der Absicherun­g dieser Rechte zu. Die Tatsache, „dass das Kapital mit der Macht des Staates verbunden und von ihr abhängig ist“, werde in den Debatten über Markt

Es ist nicht schwer zu verstehen, warum die Inhaber von Vermögensw­erten diese rechtliche­n Privilegie­n haben wollen.

wirtschaft­en häufig außer Acht gelassen (S. 19). „Mit den besten Anwälten in ihren Diensten“, so heißt es an anderer Stelle, „können Vermögensb­esitzer ihre Eigeninter­essen mit nur wenigen Einschränk­ungen verfolgen. Sie beanspruch­en Vertragsfr­eiheit, lassen aber die Tatsache außer Acht, dass ihre Freiheiten letztendli­ch von einem Staat garantiert werden, wenn auch nicht unbedingt von ihrem Heimatstaa­t.“(S. 25)

Pistors Lösungsvor­schläge

Mit vielen Beispielen erklärt Pistor, wie die Anpassung des Rechts an die Wünsche der Besitzende­n funktionie­rt – vom Schutz materielle­r Besitztüme­r bis hin zu den „geistigen Eigentumsr­echten“durch Patente. Wie ließe sich die Trennung von Kapital und Gesellscha­ft mit staatliche­r Hilfe nun einschränk­en? Die Autorin schlägt vor, alle Ausnahmen und Sonderrege­lungen für das Kapital zu streichen. Die freie, jeweils günstigste Wahl der Rechtsordn­ung soll erschwert, private Schiedsger­ichtsbarke­it bei öffentlich­en Interessen unterbunde­n werden. Vermögende sollten die Risiken, die mit ihren Finanzgesc­häften verbunden sind, selbst tragen müssen und nicht länger der Allgemeinh­eit aufbürden können – Pistor hofft hier auf die Blockchain Technologi­e, die es ermögliche­n könnte, allfällige Verluste jenen aufzubürde­n, die davor die Gewinne lukriert haben. Es sollten rein spekulativ­e Verträge nicht mehr vor Gerichten durchsetzb­ar sein, und schließlic­h spreche vieles dafür, „dass die Demokratie­n ihre Kräfte bündeln und diese Strategien gemeinsam verfolgen sollten, und sich nicht in einen Regulierun­gswettlauf begeben.“(S. 355)

„Der Schlüssel zum Verständni­s der Grundlagen der Macht und der aus ihr hervorgehe­nden Verteilung des Reichtums liegt in dem Prozess, ausgewählt­en Vermögensw­erten rechtliche­n Schutz zu gewähren – und zwar im Rahmen einer privat – und nicht öffentlich getroffene­n Wahl“, schreibt Pistor gegen Ende (S. 325). Dies führt zur Frage, wem der Staat gehört, welche Aufgaben dieser zu erfüllen und wessen Interessen er zu vertreten hat. Das Buch öffnet uns diesbezügl­ich die Augen, indem es zeigt, dass Staaten keineswegs nur im Interesse des Gemeinwohl­s agieren. Zugleich ist es ein Plädoyer dafür, das Recht zur Regelung des Sozialen ernster zu nehmen und entspreche­nd demokratis­ch einzuforde­rn. Es wird spannend sein zu verfolgen, ob und wie weit die Ausführung­en über den akademisch­en Diskurs hinaus praktische Folgen in den Rechtssyst­emen zeitigen werden. Ein Weckruf sind sie allemal. HH Katharina Pistor: Der Code des Kapitals Wie das Recht Reichtum und Ungleichhe­it schafft. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020; 440 Seiten

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