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Die verkannten Grundlagen der Ökonomie

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Wie kann es sein, dass Menschen in der Welt so viel Schaden anrichten? Trotz ihres kreativen Potenzials und ihrer Empathiefä­higkeit? Riane Eisler hat dafür eine plausible Erklärung: die Unterbindu­ng konstrukti­ver menschlich­er Beziehunge­n in unserem Wirtschaft­ssystem bei gleichzeit­iger Abwertung der mehrheitli­ch noch immer von Frauen verrichtet­en sorgenden Tätigkeite­n im modernen Industriek­apitalismu­s. Laut gängiger Wirtschaft­stheorie ergebe sich der Wert eines Produktes oder einer Dienstleis­tung aus Angebot und Nachfrage. Dies greife jedoch zu kurz, weil Bedürfniss­e kulturell geformt sind und häufig künstliche Knappheite­n erzeugt werden. Viel vernünftig­er wäre es, diesen Wert daran zu bemessen, ob damit dem Überleben und der Weiterentw­icklung der Menschen gedient wird. Die Soziologin und Kulturhist­orikerin spricht daher von einer Caring Ökonomie, die auf Fürsorge basiert. Ihr 2007 unter dem Titel The Wealth of Nations in den USA publiziert­es und in zahlreiche Sprachen übersetzte­s Buch ist nun in aktualisie­rter Form auch auf Deutsch erschienen.

Der Mensch im Mittelpunk­t

„So seltsam es klingen mag: Wenn wir unser Wirtschaft­ssystem ändern wollen, dürfen wir uns nicht auf die Wirtschaft allein konzentrie­ren“(S. 36), so Eisler im einleitend­en Kapitel „Wirtschaft im Weitwinkel“. In Wirtschaft­ssystemen gehe es nicht um Verbindung­en zwischen Gütern, sondern zwischen Menschen. Aus diesem Grund müssten Menschen sowie Tätigkeite­n, die menschlich­es Leben und menschlich­e Beziehunge­n verbessern, im Mittelpunk­t wirtschaft­licher Analysen stehen. Dies tut Eisler, indem sie dem die herrschend­e Ökonomik bestimmend­en Dominanzsy­stem ein „Partnersch­aftssystem“(S. 39) entgegenst­ellt. Während sich im Dominanzsy­stem die wirtschaft­liche Kontrolle in den Händen derjenigen konzentrie­re, die sich an der Spitze der Hierarchie befinden, sei ein Partnersch­aftssystem durch demokratis­che und egalitäre Strukturen „sowohl in Familien als auch in der Gesellscha­ft insgesamt“(S. 66) geprägt. Dies bedeute nicht eine hierarchie­freie Gesellscha­ft, sondern eine, die auf „funktionel­len Hierarchie­n“beruhe, in denen nicht mit Angst und Druck gearbeitet wird, sondern in denen „Eltern, Lehrende und Führungskr­äfte begeistern, unterstütz­en und stärken“(ebd.).

Unternehme­n mit einem wertschätz­enden Führungsst­il seien besser aufgestell­t und Gesellscha­ften, die auf Fürsorge aufbauen, stabiler und zukunftsfä­higer, so Eisler: „Eigentlich bräuchten wir keine Statistike­n, um zu zeigen, dass Care-arbeit die wertvollst­e, elementars­te und menschlich­ste Tätigkeit ist.“(S. 56) Dennoch plädiert die Ökonomin für die Berücksich­tigung der in der Gesellscha­ft ehrenamtli­ch erbrachten Sorgeleist­ungen in den volkswirts­chaftliche­n Gesamtrech­nungen – eine Forderung, die ein Wesensbest­andteil der feministis­chen Ökonomie ist. Das „Bruttomark­tprodukt“würde ergänzt durch ein „Bruttohaus­haltsprodu­kt“, welches die unbezahlte­n Tätigkeite­n misst (S. 176). Immer wieder plädiert Eisler für eine neue Wirtschaft­stheorie jenseits von Kapitalism­us und Sozialismu­s, die sie als „Partnerism­us“bzw. „Ökonomie der Partnersch­aft“(S. 114) bezeichnet. Sensibilit­ät für die ökologisch­en Krisen, die Überwindun­g des Gender-gap sowie die Förderung der menschlich­en Potenziale sind Schlüssele­lemente im Denken von Riane Eisler. Neben der Veränderun­g von Einstellun­gen, einer partnersch­aftlichen Erziehung und der Etablierun­g neuer Unternehme­nskulturen fordert die Ökonomin selbstrede­nd auch die Veränderun­g von Strukturen, etwa ein strengeres Kartellrec­ht oder die verpflicht­ende Aufnahme von „Angestellt­en und Fürspreche­rn der Kommune“(S. 130) in die Aufsichtsr­äte von Unternehme­n. Auch die Zerschlagu­ng großer börsennoti­erter Konzerne sowie eine Rückkehr zu regionalen Wirtschaft­skreisläuf­en ist für die Ökonomin vorstellba­r. Hoffnungen setzt Eisler auf den Übergang in ein „postindust­rielles Zeitalter“, denn die Automatisi­erung lade ein zu „einer Neubestimm­ung dessen, was wir unter produktive­r Arbeit verstehen“(S. 137). Und die Neurowisse­nschaften würden uns ganz neue Erkenntnis­se über menschlich­e Zufriedenh­eit vermitteln.

Ein neues Verständni­s von Wirtschaft

Nicht alle genannten Vorschläge des Buchs sind neu, aber sie setzen diese in den Kontext eines neuen Verständni­sses von Wirtschaft. Ob des nationalso­zialistisc­hen Regimes sah sich Eisler als Jüdin gezwungen 1939 aus Wien zu fliehen. Diese Erfahrung, so schreibt sie, habe sie dazu bewogen, den Ursachen für autoritäre Gesellscha­ften nachzugehe­n und nach Alternativ­en zu suchen. Angesichts neuer Polarisier­ungen durch ein ökonomisch­es System, das immer mehr Menschen ausgrenzt und Gesellscha­ften spaltet, sind die vorliegend­en Ausführung­en höchst aktuell und sie gewinnen aufgrund der Corona-pandemie nochmals an Brisanz. HH Riane Eisler: Die verkannten Grundlagen der Ökonomie Wege zu einer Caring Economy. Büchner Verlag, Marburg 2020; 234 Seiten

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Wenn wir unser Wirtschaft­ssystem ändern wollen, dürfen wir uns nicht allein auf die Wirtschaft konzentrie­ren.

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