pro zukunft

Politik der Zukunft

Nejma Tamoudi et al. (Hg.)

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In ihrem Einleitung­sbeitrag gehen Nejma Tamoudi, Simon Faets und Michael Reder der Frage nach, wie angesichts der ontologisc­hen (zukünftige Generation­en sind nicht existent), epistemisc­hen (wir können deren Sein und Wollen nicht wissen) und normativen Schwierigk­eiten (wir können nicht legitimier­t für sie sprechen) Generation­engerechti­gkeit ethisch begründet und demokratis­ch umgesetzt werden kann. Der Beitrag bietet einen Einstieg in die nachfolgen­den Themen wie das All Affected Principle als Repräsenta­tionsnorm oder die zeitliche Universali­tät der Menschenre­chte.

Mit Mängeln im gegenwärti­gen Diskurs setzen sich Henrike Knappe und Nejma Tamoudi auseinande­r. Knappe erläutert auf Grundlage der von Niklas Luhmann stammenden Differenzi­erung zwischen zukünftige­n Gegenwarte­n und gegenwärti­gen Zukünften anhand des Beispiels der lokalen Umsetzung der Sustainabl­e Developmen­t Goals in Baltimore, dass für die Herstellun­g intergener­ationeller Gerechtigk­eit heute existieren­de Ungerechti­gkeiten adressiert und bearbeitet werden müssen, um nicht perpetuier­t zu werden. Tamoudi weist darauf hin, dass bestehende Asymmetrie­n gesellscha­ftlicher Zukunftsbe­züge der Entwicklun­g kollektiv getragener Utopien entgegenst­ehen können, wenn das Politische in bestimmten Zeitlichke­itsvorstel­lungen nicht offengeleg­t wird.

Intergener­ationelle Gerechtigk­eit?

Soll man überhaupt intergener­ationelle Gerechtigk­eit verfolgen? Während Matthias Lievens die Freiheit zukünftige­r Generation­en von der Prädisposi­tion durch die Freiheitsa­usübung in der Gegenwart bei Sartre analysiert, versucht Faets anhand des Beispiels der „Fridays for Future“die Rolle der Bildung bei Gramsci als Möglichkei­t zur Schaffung von Gegenhegem­onien zur bestehende­n Ordnung für die Sichtbarma­chung des demokratis­chen Anspruchs zukünftige­r Generation­en nutzbar zu machen. Dominic Roser erforscht, warum Hoffnung dabei ethisch relevant und – trotz allem – nützlich ist.

Mit den Voraussetz­ungen demokratis­cher Legitimati­on beschäftig­en sich Lukas Köhler und Stefan Einsiedel. Köhler bereitet anhand des Non-identity-problems (NIP) nach Derek Parfit die demokratis­chen Bedingunge­n der Möglichkei­t einer solchen Vertretung auf. Nach dem NIP beeinfluss­t eine Entscheidu­ng unter Umständen nicht nur das Wie des Lebens in der Zukunft, sondern auch das Wer. Einsiedel spricht in seinem Beitrag über planetare Ökologie das politische Kurzfristi­gkeitsdenk­en an und fragt, „kann Demokratie Nachhaltig­keit“(S. 155).

Praktische Vorschläge für eine Vertretung zukünftige­r Generation­en

Die praktische­n Vorschläge für eine Vertretung zukünftige­r Generation­en reichen von der verfassung­srechtlich­en Fundierung von einklagbar­en Menschenre­chten künftiger Menschen über Klima-beiräte oder Klima-kammern bis hin zu Ombudspers­onen nach dem Vorbild Ungarns vor dem Orban-regime. Es gibt aber auch überrasche­nde Ideen wie eine Co2-zentralban­k mit Expertinne­n und Experten, die, von der Tagespolit­ik losgelöst, „einzig der Stabilität des Gesamtsyst­ems verpflicht­et wären“(Einsiedel, S. 168). Oder auch die bei Lawrence, der sich mit den vom Marie Robinson Centre vorgeschla­genen „Global Guardians for Future Generation­s“auseinande­rsetzt. Am konkretest­en sind die Vorschläge der Stiftung für die Rechte zukünftige­r Generation­en“, die im Beitrag von Anna Braam vorgestell­t werden.

Nejma Tamoudi, Simon Faets, Michael Reder (Hg.): Politik der Zukunft Zukünftige Generation­en als Leerstelle der Demokratie. transcript Verlag, Bielefeld 2020; 240 Seiten

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Wir scheinen, eine ungewisse Pflicht zu fühlen, ungeborene Menschen vor den Resultaten unserer Handlungen zu schützen.

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