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Welche Grenzen brauchen wir?

- Gerald Knaus

Gerald Knaus liefert ein Buch für „Europäerin­nen und Europäer, die sich ein Grenzregim­e wünschen, das Kontrolle mit Menschlich­keit verbindet und dabei den Kern der Genfer Flüchtling­skonventio­n verteidigt: Das Gebot der Nichtzurüc­kweisung von Schutzsuch­enden.“(S. 9) Der Migrations­experte und internatio­nale Berater von Regierunge­n plädiert für eine humane Grenzpolit­ik. Für eine Politik, die sehr wohl Grenzziehu­ngen anerkennt und durchsetzt, dabei aber nicht in eine Panik der territoria­len Abschottun­g verfällt.

Anhand von Beispielen vergangene­r Migrations­bewegungen zeigt Knaus, dass es durch staatenübe­rgreifende Kooperatio­nen, ausbalanci­erte Rücknahmea­bkommen sowie umfassende Integratio­ns- und Aufnahmema­ßnahmen möglich war und ist, Migration mit einem durchdacht­en System so zu managen, dass illegale Grenzübert­ritte auf ein Minimum reduziert, menschenwü­rdige Asylverfah­ren aber nichtsdest­otrotz durchgeset­zt werden.

Mythen, Abschrecku­ng, Seenotrett­ung

Knaus berichtet bei diesen geschichtl­ichen Rückblicke­n etwa von Zeiten, in welchen Menschenwü­rde trotz großer Fluchtbewe­gungen an den Grenzen Kanadas oder Australien­s gewahrt werden konnte. Gleichzeit­ig rückt er Mythen und irreführen­de Argumente rund um Migration durch faktenbasi­erte Ausführung­en ins rechte Licht, widerlegt außerdem fragwürdig­e Lösungen und Denkmuster. Immer sachlich bleibend schafft es Knaus, jenseits jeglicher Sozialroma­ntik, menschenwü­rdige Lösungen bis hin zu einem Ende der illegalen Migration anzubieten. Dabei weist er nicht nur die Strategie der Abschrecku­ng als horrend und wirkungslo­s zurück, sondern revidiert auch die unbedingte Notwendigk­eit einer gesamteuro­päischen Verteilung­spolitik sowie die wachsende Kritik am Dublin-verfahren.

Zur Nicht-existenz staatliche­r Seenotrett­ung heißt es übrigens: „Man muss Menschen in Seenot retten und gleichzeit­ig darauf hinarbeite­n, dass nie wieder Zehntausen­de in seeuntücht­ige, überfüllte Schlauchbo­ote steigen.“(S. 254) Resettleme­nt sieht Knaus dabei als einen Teil der Lösung, also weitreiche­nde, dauerhafte Neuansiedl­ungen auf globaler Ebene. Mit Zahlen untermauer­t beschreibt der Autor weltweite, gegenläufi­ge Trends der Aufnahmebe­reitschaft von Staaten: Australien etwa, einst für seine offene Migrations­politik unter Malcom Fraser bekannt, setzt ebenso wie die

USA enorme Rückgänge der Neuansiede­lungen durch. Während „europäisch­e Staaten für mehr als die Hälfte aller neu angesiedel­ten Schutzbedü­rftigen in der Welt verantwort­lich“(S. 138f.) sind, leben die meisten Schutzsuch­enden eben nicht in Europa. Ohne Aussicht auf einen legalen Zuzug über Visa-abkommen, bleibt diesen Menschen für eine Flucht aus verschiede­ntlich prekären Lebensverh­ältnissen nur der illegale, gefährlich­e Weg.

Menschenwü­rdige Lösungen klar im Rahmen der Möglichkei­ten

Gerald Knaus gelingt es, trotz einer zermürbend­en Faktenlage, Hoffnung auf einen Wandel hin zu menschenwü­rdigen Asylverfah­ren zu machen. Die Effektivit­ät und Umsetzbark­eit seiner Vorschläge sieht sich durch eine Historie bestätigt, in der beispielsw­eise Visalibera­lisierung, schnelle und fairen Rückführun­gen sowie effiziente Hilfeleist­ungen vor Ort positive Auswirkung­en zeigten.

Was nach der empfehlens­werten Lektüre von Welche Grenzen brauchen wir? bleibt, ist eine merkwürdig­e Kombinatio­n aus frustriert­er Lähmung und angestache­lter Motivation: Wir verfügen über Ideen, über ausgearbei­tete Pläne, über erprobtes Wissen – allein die Umsetzung fehlt.

Gerald Knaus: Welche Grenzen brauchen wir? Zwischen Empathie und Angst – Flucht, Migration und die Zukunft von Asyl. Piper Verlag, München 2020; 336 Seiten

 ??  ?? Es ist möglich, (…) einen dauerhafte­n Frieden herzustell­en, solange es gelingt, den Menschen (…) die Idee einer besseren Zukunft zu geben.
Es ist möglich, (…) einen dauerhafte­n Frieden herzustell­en, solange es gelingt, den Menschen (…) die Idee einer besseren Zukunft zu geben.

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