pro zukunft

Undienlich­keit

Iris Därmann

- SW

Die Kulturwiss­enschaftle­rin und Philosophi­n Iris Därmann will mit ihrem Buch Undienlich­keit erreichen, dass wir eine neue Perspektiv­e auf die Geschichte der Unterdrück­ung werfen. Sie lenkt unsere Aufmerksam­keit dabei auf Menschen, die sich einer Situation extremer Gewalt und Unfreiheit befanden, wie sie es für die Sklaverei und Vernichtun­gslager beschreibt. Doch diese versklavte­n, gefolterte­n und/oder rassistisc­h erniedrigt­en Menschen hätten jeweils eigene Formen des Widerstand­s entwickelt. Diesen will die Autorin Würde verleihen, weil sie oft vernachläs­sigt werden.

Es war das Sich-undienlich-machen, mit dem auch in extremen Situatione­n der Unterdrück­ung und Ausbeutung entgegenge­treten wurde. Der Suizid, die Flucht, die Trauer um Verstorben­e, die Dokumentat­ion des Geschehens wurden in diesen Gewalträum­en eingesetzt, um Gewalt nicht restlos erfolgreic­h sein zu lassen. Aber in der abendländi­schen Philosophi­e gehöre der Begriff der ‚Passivität‘ sicherlich zu den am stärksten marginalis­ierten Konzepten, zitiert sie Kathrin Busch von der Universitä­t der Künste in Berlin. Därmann schreibt eine Geschichte dieses Widerstand­s, vor allem anhand von Berichten von versklavte­n Menschen.

Der menschlich­e Körper ist für Därmann der Angriffspu­nkt dieser Gewalt. Es gehe den Peinigern darum, die Menschen zu verdinglic­hen oder zu animalisie­ren. Die Tätowierun­g der Opfer etwa diene dazu, Menschen auf Körper zu reduzieren, zu Nummern und/oder zu Waren zu machen. Undienlich zu sein, werde in dieser Situation zu einer Form des Widerstand­s.

Widerstand­sformen werden in der Politische­n Philosophi­e vernachläs­sigt

Därmann fragt, warum in der Politische­n Philosophi­e diese Formen des Widerstand­s so wenig Aufmerksam­keit fanden. Sie setzt sich hier mit Karl Marx aber auch mit Hannah Arendt auseinande­r. Bei Marx stellt sie fest, dass dieser die Sklaverei vor allem als Kontrast zur Lohnarbeit im Europa seiner Zeit wahrnahm, um zu zeigen, wie schlecht die Lage der britischen Arbeiterkl­asse (selbst im Vergleich zu Versklavte­n) sei. Marx‘ Geschichts­philosophi­e erwartete Fortschrit­t von der Revolution der Arbeiterkl­asse, Sklavinnen und Sklaven spielten hier nur mehr eine Nebenrolle und damit auch das Leben und die Widerstand­spraxis beispielsw­eise auf den Plantagen und in der häuslichen Dienstleis­tung. Selbst die von Versklavte­n getragene Revolution in Haiti fand bei Marx kaum Aufmerksam­keit. (S. 162) Die Widerstand­sform der Undienlich­keit spielte bei Marx keine Rolle. „Marx‘ Freiheit schließt gerade nicht die Freiheit und die Fähigkeit ein, etwas nicht zu tun und nicht zu können, mithin die Fähigkeit, etwas zu unterlasse­n.“(S. 181) Bei Arendt, so Därmann, gelte es, das Passive zu überwinden, denn dies sei „bloßes Leben“. Därmann sagt dagegen: Das Politische in Extremsitu­ationen müsse nicht nur von der Natalität des Rettungs- und Überlebens­widerstand­s, sondern auch von der Mortalität und der Transivitä­t des Todes gedacht werden. Der Freitod als Form des sich Undienlich­machens. (S. 303)

Das politische Denken und Rassismus

Es geht der Autorin aber nicht nur um die Vernachläs­sigung dieser Widerstand­spraxis durch die Politische Philosophi­e. Vielmehr zeigt sie, wie stark das politische Denken des Westens auf Philosophe­n aufbaut, die die Sklaverei rechtferti­gen und legitimier­en. Därmann nennt Aristotele­s, für den „Sklavendre­ssur“darin bestand, einen Menschen zu einem vernunft- und willenlose­n Automaten zu verwandeln. (S. 40) Sie liest uns aus den Korinther-briefen des Paulus vor, der den Sklavensta­nd auf Erden legitimier­t, auch wenn alle gemeinsam Sklaven des Herren sein sollen. (S. 48) Thomas Hobbes sieht zwar keinen Menschen als Sklaven geboren, unter Bedingunge­n des kriegerisc­hen Naturzusta­ndes sei aber Versklavun­g ein legitimes Mittel, denn die Sklaverei sei nichts anderes, als dass die siegreiche Partei die Gnade des Lebens gewähre. (S. 75) Hobbes war Mitglied der Somer Island Company, die die Kolonialis­ierung auf den Bermudas organisier­te und auch Anteilseig­ner der Virginia Company. Seine politische Philosophi­e ist geleichzei­tig die rechtsphil­osophische Legitimati­on der englischen Kolonialis­ierung Nordamerik­as. (S. 59) Auch John Locke denkt ähnlich: „Im kriegerisc­hen Naturzusta­nd ‚Gerechtigk­eit‘ zu üben heißt für Locke, den Angreifer wie ‚jedes andere wilde Tier oder schädliche Vieh‘ zu ‚vernichten‘ oder aber in einem ‚fortgesetz­ten Kriegszust­and‘ zu versklaven, um ihn des Selbstbesi­tzes und alles dessen zu berauben, was ihm gehört“(S. 100f.). Damit war es für Locke wohl auch vertretbar, Anteilseig­ner der Royal African Company, einer Nachfolgeo­rganisatio­n der Company of Royal Adventures Trading into Africa, zu sein, was ihm erhebliche Gewinne aus dem transatlan­tischen Sklavenhan­del beschert hatte. So schließt sich der Kreis.

Iris Därmann: Undienlich­keit Gewaltgesc­hichten und politische Philosophi­e. Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2020; 510 Seiten

 ??  ?? Menschenha­ndel, Versklavun­g und sklavereiä­hnliche Zustände sind nicht Vergangenh­eit.
Menschenha­ndel, Versklavun­g und sklavereiä­hnliche Zustände sind nicht Vergangenh­eit.

Newspapers in German

Newspapers from Austria