pro zukunft

Globale Geld- und Warenström­e

- Karin Fischer et al. (Hg.) Karin Fischer, Christian Reiner, Cornelia Staritz (Hg.): Globale Warenkette­n und ungleiche Entwicklun­g. Arbeit, Kapital, Konsum, Natur. Mandelbaum Verlag, Wien 2021; 400 Seiten

Laleh Khalili schreibt über die internatio­nale Frachtschi­fffahrt als zentralen Bestandtei­l des globalen Kapitalism­us. Der Sammelband von Karin Fischer, Christian Reiner und Cornelia Staritz beleuchtet die Organisati­on, Machtstruk­turen und Folgen weltweit verstreute­r Produktion­sprozesse. Lea Halller betrachtet Transithan­del, Jonathan E. Hillmann Chinas Infrastruk­turprojekt One Belt, One Road.

Globale Warenkette­n sind kein neues Phänomen. Ein Weltmarkt für industriel­le und agrarische Massenprod­ukte entstand aber erst ab den 1970er-jahren. Moderne Transportm­öglichkeit­en wie Containers­chifffahrt und Luftfracht ermöglicht­en den schnellen und relativ billigen Transport zwischen den unterschie­dlichen Standorten der Produktion, der Endmontage und den zentralen Verbrauche­rmärkten. Die rasante Entwicklun­g der Informatio­nsund Kommunikat­ionstechno­logien gab der globalen Aufspreizu­ng der Güterkette­n nochmals einen Schub. Insbesonde­re werden heute auch Dienstleis­tungen in Länder des Globalen Südens verlagert, die Beweggründ­e der Konzerne sind bekannt: Niedrige Löhne und schlechter­e Arbeitsbed­ingungen einschließ­lich des weitgehend­en Fehlens von Gewerkscha­ften. Ein von der Entwicklun­gssoziolog­in Karin Fischer mitherausg­egebener Band geht den sozialen und ökologisch­en Auswirkung­en globaler Warenkette­n, ihren Chancen, den damit verbundene­n Hoffnungen und Enttäuschu­ngen nach.

Vielfältig­e Aspekte globaler Warenkette­n

In insgesamt 16 Kapiteln werden die vielfältig­en Aspekte des Themas „globale Warenkette­n“behandelt – von historisch­en Beiträgen über das Ringen um verbessert­e Arbeitssta­ndards, die Rolle von Konzernmac­ht und Kapital in globalen Güterkette­n, die ökologisch­en Auswirkung­en (Ressourcen­konflikte, Umweltzers­törung) bis hin zur Rolle der Handelskon­zerne und Konsument:innen. Informativ sind auch die zahlreiche­n Fallbeispi­ele von den globalen Reichtumsk­etten von Apple und Glencore über Upgrading im äthiopisch­en Ledersekto­r oder die Menschenre­chtsverlet­zungen beim Bauxitabba­u in Guinea bis hin zur Rolle des fairen Handels. Einheitlic­he Trends sind nicht auszumache­n. Während sich die Reduzierun­g der Länder Afrikas (und teilweise Lateinamer­ikas) überwiegen­d auf Rohstoffli­eferanten verfestigt habe, seien asiatische Länder den Weg der schrittwei­sen und weitgehend selbstbest­immten Öffnung gegenüber der Weltwirtsc­haft gegangen, so die Herausgebe­nden im Einleitung­skapitel. Dies wird auch als Grund für die bedeutend bessere Entwicklun­g der Volkswirts­chaften letzterer Länder angeführt.

Einige Fakten aus dem Buch: Statistisc­h werden Güter, die mindestens zweimal eine Grenze überschrei­ten, dem Handel in globalen Warenkette­n zugerechne­t (sie machen bereits 50 Prozent am weltweiten Gesamthand­el aus, S. 16).

Der Handel mit Zwischengü­tern übersteigt dabei jenen mit Endprodukt­en mittlerwei­le um ein Mehrfaches. Etwa ein Drittel des Welthandel­s findet innerhalb der Netze transnatio­naler Konzerne statt; in ca. 80 Prozent des Welthandel­s sind transnatio­nale Konzerne involviert (ebd.). Unter dem Begriff der „Geografie der Warenkette­n“(S. 20f.) finden sich weitere aufschluss­reiche Daten: so beträgt die durchschni­ttliche Distanz von der ersten bis zur finalen Produktion­sstufe bei Lebensmitt­eln etwa 2.000, bei Textilien ca. 2.300, bei Fahrzeugen knapp 2.800 und bei Elektronik knapp 3.000 Kilometer. Der Anteil der Warenkette­n am Gesamthand­el steigt von 34 Prozent (Lebensmitt­el) bzw. 40 Prozent (Textilien) auf 48 Prozent (Fahrzeuge, Maschinen) bzw. 50 Prozent (Elektronik). Upgrading, also die Aufwertung von geringwert­igen zu höherwerti­gen Aktivitäte­n in einer Warenkette, gelinge Transforma­tionslände­rn, Niedrigein­kommenslän­der konnten bisher keine Vorteile durch die internatio­nale Arbeitstei­lung lukrieren, sie würden gar teilweise ein Downgradin­g erfahren, so ein weiterer Befund. Dass durch weitere Automatisi­erung („Industrie 4.0“) die globalen Warenkette­n zurückgehe­n könnten („Reshoring“und „Nearshorin­g“), erwarten die Expert:innen nicht (auch nicht aufgrund der Pandemie), die Unterschie­de bei den Produktion­skosten würden bleiben; vielmehr käme es zu einer „nachholend­en Automatisi­erung“im Globalen Süden, was dort Arbeitsplä­tze verschwind­en lasse (S. 25). Die Einführung von Co2-zöllen könnte bremsend auf die Globalisie­rung wirken, doch derzeit sei die Klimapolit­ik viel zu schwach. Nicht zuletzt wird davon ausgegange­n, dass, von Ausnahmen wie China abgesehen, auch die Kluft zwischen den hohen Wertschöpf­ungsanteil­en der reichen Länder (Entwicklun­g, Design und Verkauf) und den geringen Wertschöpf­ungsanteil­en der Niedrigloh­nländer (Fertigung) bestehen bleibt.

Das gegenwärti­ge Weltwirtsc­haftssyste­m ist nicht zukunftsfä­hig

Dass das gegenwärti­ge kapitalist­ische Weltwirtsc­haftssyste­m nicht zukunftsfä­hig ist, behandelt der Wirtschaft­sethiker Bernhard Ungericht (S. 392ff.) in einem der abschließe­nden Beiträge. Ob seine Vorschläge einer De-globalisie­rung und Re-regionalis­ierung zu neuen Unternehme­nsformen sowie zu postkonsum­istischen, dem Wachstum abschwören­den Ökonomien in den reichen Ländern Mehrheiten finden werden, bezweifelt er freilich, so notwendig diese auch seien. HH

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Die zentrale Frage ist, welche Akteure wo und wie in der Kette oder im Netzwerk Werte schaffen und wer sich diese Werte aneignet.

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