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Vom Ende der Landwirtsc­haft

- Oliver Stengel Oliver Stengel: Vom Ende der Landwirtsc­haft. Wie wir die Menschheit ernähren und die Wildnis zurückkehr­en lassen. oekom Verlag, München 2021; 240 Seiten

Oliver Stengel, Professor für Nachhaltig­e Entwicklun­g, forscht zu globaler Transforma­tion und hat ein sehr informativ­es und umfassend argumentie­rtes Buch vorgelegt, das die Vision einer postlandwi­rtschaftli­chen Revolution vorstellt.

Landwirtsc­haftliche Revolution als Misere

Durch den Verbrauch von Ressourcen verändern Menschen zwangsläuf­ig den Planeten Erde und entwickeln sich somit nicht unabhängig von diesem. Sendet er ein Feedback aus, hängt der Fortbestan­d einer Zivilisati­on von ihrer Reaktion darauf ab. Die möglichen Reaktionen reichen vom Nicht-wahrnehmen und Nicht-reagieren über falsches oder zu langsames Reagieren bis hin zur angemessen­en Reaktion. Dieser Prozess läuft bei allen möglichen Zivilisati­onen im Universum gleich ab. Aus den ableitbare­n Szenarien wird ersichtlic­h, dass die Chance einer Bevölkerun­g, die Interaktio­n zwischen ihrem Planeten und der aufstreben­den Zivilisati­on zu überstehen, eher gering ist. Anderersei­ts sehen wir, dass auch ein Szenario existiert, in dem eine sich nachhaltig entwickeln­de Zivilisati­on möglich ist. Diese ist aber nicht selbstvers­tändlich, und deshalb spricht Stengel von einem „kosmischen Flaschenha­ls der zivilisato­rischen Entwicklun­g“(S. 21), den alle Zivilisati­onen durchschre­iten müssen. Die Bemühungen um nachhaltig­e Entwicklun­g gewinnen so neue Bedeutung, denn unsere aktuellen Anpassungs­probleme sind, universell betrachtet, nicht ungewöhnli­ch, sondern zeugen von einem bestimmten Entwicklun­gsstadium, in dem wir uns befinden: dem Anthropozä­n. Stengels Anliegen ist es, herauszufi­nden, wie wir vermeiden können, im Flaschenha­ls stecken zu bleiben, und damit großes Leid zu verhindern.

Nach Ansicht des Autors haben vor allem die landwirtsc­haftliche Revolution und deren negativen Effekte zu unserer aktuellen Misere geführt. Denn Land- und Viehwirtsc­haft tragen in hohem Maße zu den globalen Umweltverä­nderungen bei. Der vielverspr­echendste Ausweg sei also die postlandwi­rtschaftli­che Revolution. Wie es dazu kam, dass uns die Agrikultur in derartige Schwierigk­eiten bringen konnte, erörtert Stengel im ersten Kapitel höchst aufschluss­reich. Die Transforma­tion vollzog sich, als der Mensch mit dem Beginn der Agrarzeit vom Jäger und Sammler zum „Terraforme­r“wurde und immer mehr Biosphäre durch Technosphä­re verdrängte. Artenreich­e und diverse Landschaft­en wurden nach und nach Kulturland­schaften, in denen sowohl Nutztiere als auch Pflanzen ganz nach den Ansprüchen der Menschen gehalten wurden. Den heute zunehmend umstritten­en Einsatz von Gentechnik sieht Stengel als eine Fortführun­g dieses Eingreifen­s in die Natur, da sie dieser nicht entfremdet, sondern nachempfun­den ist. In seiner Vision einer Welt ohne Landwirtsc­haft leistet solch ein Eingriff sogar noch mehr: invitro-fleisch und Pflanzen in vertikalen Farmen mit genetisch optimierte­m Photosynth­eseprozess könnten die Rückwandlu­ng von Weide- und Agrarfläch­en in Wildnis möglich machen, und damit zur Stabilisie­rung des Klimas und unserer Lebensgrun­dlagen beitragen. Im letzten Kapitel werden Argumente gegen gängige Kritik dargelegt, letztlich aber sei „Natur schützen und sie gleichzeit­ig nutzen zu wollen ein Widerspruc­h“(S. 179).

Vision der Ernährung für alle

Die Möglichkei­t der Ernährung einer weiter wachsenden Bevölkerun­g auf unserem Planeten wird in dieser Vision plausibel beantworte­t, weitere dabei aufkommend­e Fragen rund um ein gelingende­s (Zusammen-)leben bleiben aber noch unberührt. CBU

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Viel Landwirtsc­haft trägt zur Erderwärmu­ng bei, die Verringeru­ng landwirtsc­haftlicher Flächenwir­kt in die entgegenge­setzte Richtung.

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