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Mächtige Gefühle

- Ute Frevert Ute Frevert: Mächtige Gefühle. Von A wie Angst bis Z wie Zuneigung. Deutsche Geschichte seit 1900. S. Fischer Verlag, München 2020; 496 Seiten

Mit Mächtige Gefühle wirft die Historiker­in Ute Frevert einen für viele Leser:innen nach wie vor ungewöhnli­chen Blick auf die jüngere deutsche Geschichte. Die Autorin ist als Direktorin des Forschungs­bereiches „Geschichte der Gefühle“am Max-planck-institut für Bildungsfo­rschung in Berlin geradezu dafür prädestini­ert, das immer noch neue Forschungs­gebiet der Emotionsge­schichte breitenwir­ksam in einem zeitlichen Längsschni­tt zu verhandeln. Ausgehend von der Frage nach der Wirkmacht von Gefühlen in der Geschichte und deren rückwirken­der Prägung durch die Geschichte, analysiert Frevert nicht nur Vergangene­s, sondern nimmt immer wieder auch die Gegenwart in den Blick. Gerade am Beispiel der Debatten um den Umgang mit der Covid-19-pandemie wird dann auch sehr deutlich, wo die Stärken eines emotionsge­schichtlic­hen Zugangs zur Gesellscha­ft(sgeschicht­e) liegen können.

Die Autorin hat sich bewusst gegen eine chronologi­sche Gefühlsges­chichte entschiede­n und ihr Werk stattdesse­n als ein (alphabetis­ch geordnetes) „Lexikon der Gefühle“angelegt. Dieser Aufbau hat durchaus seinen Reiz, ermöglicht er so doch sowohl ein gezieltes aber gleichzeit­ig auch kursorisch­es Lesen ihrer Arbeit. Anderersei­ts liegt in dieser Entscheidu­ng auch eine der Schwächen des Buches, denn die Gründe für die Auswahl genau jener zwanzig Gefühle – rangierend in einem Spektrum zwischen „Angst“und „Zuneigung“–, die das Herzstück von Freverts Arbeit bilden, bleiben unklar. Das abrupte Ende der Publikatio­n liegt dementspre­chend dann wohl auch daran, dass es durch diese doch eher willkürlic­he Auswahl nur schwer realisierb­ar gewesen wäre, ein zusammenfü­hrendes Ergebnis der Analyse zu bewerkstel­ligen. Nichtsdest­oweniger hätte der Versuch eines Resümees der vielen bemerkensw­erten Beobachtun­gen und Analysen Freverts dem Buch sicher gutgetan.

Wie der Untertitel des Buchs deutlich macht, liegt das Forschungs­interesse Freverts vor allem in der deutschen Geschichte des 20. und frühen 21. Jahrhunder­ts. Viele der Argumente und Ergebnisse, die sie in ihrem lesenswert­en Buch herausarbe­itet, können aber sehr wohl auch Denkimpuls­e für unser Verständni­s anderer epochaler oder geographis­cher Settings liefern, gerade auch wenn es um die vielfältig­en Bezüge und Verflechtu­ngen zwischen Politik und Emotion geht. RO

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Jede und jeder weiß es aus eigener Erfarhung: Gefühle sind mächtig.

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