pro zukunft

Freiheit, Gleichheit, Ungewisshe­it

- Jan-werner Müller

Jan-werner Müllers Buch beginnt dort, wo derzeit andere Bücher über Demokratie auch beginnen, bei einem Krisenbefu­nd. Von der aktuellen Demokratie-malaise hebt es sich aber in zweifacher Weise wohltuend ab. Es ruft ein erfrischen­d trockenes „Don’t panic!“aus, indem es daran erinnert, dass Menschen ja möglicherw­eise gerne in einer Demokratie leben, um dann eine einfache Definition zu liefern, was Demokratie ist.

Populismus, Freiheit, Gleichheit

Jan-werner Müller ist vor allem für seine Arbeit zu Populismus und Autoritari­smus bekannt. Für ihn ist Populismus vor allem an seinem selten auf echten Mehrheiten beruhenden Alleinvert­retungsans­pruch erkennbar. Dort beginnt auch das Buch. Müller beschreibt „autoritär-populistis­che Regierungs­kunst“als Methodenmi­x aus Nationalis­mus, Mafiastaat (Bálint Magyar) und wirtschaft­lichem Einfluss als Waffe gegen Dissident:innen, Opposition und Medien. Populist:innen betreiben nach Müller ein doppeltes Spiel. Sie stellen sich als einzig legitime Deuter:innen eines unterstell­ten homogenen Volkswille­ns dar und instrument­alisieren gleichzeit­ig die realen gesellscha­ftlichen Spannungen mit dem Ziel der fortwähren­den Spaltung und Polarisier­ung der Bevölkerun­g. Doch die ist nach Müller nicht so leicht zu lenken. „Offenbar entscheide­n nicht die irrational­en Massen, die Demokratie abzuschaff­en, sondern bestimmte Eliten“(S. 12). Die „wachsende Verunsiche­rung der gesellscha­ftlichen Mitte“(S. 42), die letztendli­ch bewirkt, dass Mehrheiten demokratis­che Defizite bei ihrer Partei zunehmend in Kauf zu nehmen bereits sind, führe so zu einer „zweifachen Sezession“. Anhand des Dotcom-unternehme­rs Peter Thiel illustrier­t Müller die Absetzbewe­gung der Superreich­en aus der (vor allem steuerlich motivierte­n) gesamtgese­llschaftli­chen Verantwort­ung durch massive Einflussna­hme auf die Gesetzgebu­ng, die mit der resigniert­en Abwendung einer steigenden Zahl „von Bürgern am unteren Ende des Einkommens­spektrums“(S. 50) von der Politik (und vom Wählen) einhergeht. „Die Folge ist ein Teufelskre­is, der politische Eliten und ärmere Bürger immer weiter voneinande­r entfernt; […] Politische­r Wettbewerb nimmt ab, während ökonomisch­er Wettbewerb unter den Bürgerinne­n und Bürgern immer weiter wächst“(S. 51).

Dem stellt der Autor unter Berufung auf die beiden Prinzipien Gleichheit und Freiheit eine radikal (im Sinne von an die Wurzel zurückgehe­nde) demokratis­che Sichtweise entgegen.

Aus der Gleichheit entwickelt Müller eine von ihm so bezeichnet­e „harte Grenze“, denn Mitbürger:innen dürften nicht einfach aus der Gemeinscha­ft ausgeschlo­ssen oder ihrer Beteiligun­gsrechte beraubt werden. Die trotzdem legitime Frage nach der Grenze zwischen drinnen und draußen, die sich in jedem Staat stellt, ist konsequent­erweise im demokratis­chen Wettbewerb offenzuhal­ten. Hier kommt die Freiheit ins Spiel, denn ausgehend von grundrecht­lich abgesicher­ten Freiheitsr­äumen können Bürger:innen nicht nur zwischen verschiede­nen politische­n Antworten wählen, sie können auch selber neue Fragen stellen. Gerade dieser letzte Punkt erscheint besonders bedeutsam, denn das Aufzeigen neuer Konfliktli­nien (ökologisch­er anstatt wirtschaft­licher Generation­enkonflikt), das Ansprechen bisher unausgespr­ochener Ungerechti­gkeiten (Black Lives Matter, Metoo) und damit der Erhalt der Friedensfu­nktion könnte weder von einem vielleicht besseren Auswahlver­fahren noch von einer vielleicht vernünftig­eren Expert:innenregie­rung geleistet werden. Müller führt zwei Institutio­nen an, die zur Absicherun­g dieser Prinzipien unerlässli­ch sind: Politische Parteien und Medien, die miteinande­r die „kritische Infrastruk­tur“der Demokratie bilden.

Die Frage nach Rahmenbedi­ngungen

„Parteien wollen primär Wahlen gewinnen und Medienunte­rnehmer Geld verdienen“(S. 127). Ob dies mit ihrer Aufgabe, nämlich der inhaltlich­en und zeitlichen Schaffung, Strukturie­rung – und stets vorläufige­n Entscheidu­ng – politische­r Streitfrag­en, vereinbar ist, hängt dem Buch zufolge von den Rahmenbedi­ngungen ab. Müller plädiert hier für einen internen und externen Pluralismu­s sowohl der Parteien- als auch der Medienland­schaft und meint damit Vielfalt des Angebots und interne Diversität. Er nennt mit Zugänglich­keit, Autonomie und Einschätzb­arkeit drei Kriterien für das Funktionie­ren einer elementare­n Demokratie-infrastruk­tur. Hinsichtli­ch der daraus resultiere­nden Problemste­llungen etwa im Bereich der Parteien- und Medienfina­nzierung oder der Parteikart­elle präsentier­t das Buch interessan­te Alternativ­modelle und neue Ansätze. Schließlic­h wirft Müller auch die Frage nach dem theoretisc­hen Paradoxon auf, dass sich Demokratie per Mehrheitse­ntscheid selbst abschaffen kann und warnt vor der Versuchung, aus Angst da-vor zu undemokrat­ischen Maßnahmen zu greifen. Anregend sind hier die Reflexione­n über zivilen Ungehorsam als letztes Mittel zur Rettung der Demokratie. JHÖ Jan-werner Müller: Freiheit, Gleichheit, Ungewisshe­it Wie schafft man Demokratie? Suhrkamp Verlag, Berlin 2021; 270 Seiten

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Es wäre falsch, anzunehmen, jegliches Nachdenken über die Demokratie müsste sich heute als Antwort auf die neuen Autoritäre­n verstehen.

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