pro zukunft

København

- Sandra Hofmeister (Hg.)

Die Stadtregie­rung von Kopenhagen hat sich ein ehrgeizige­s Ziel gesetzt: als erste Hauptstadt weltweit soll Kopenhagen bis 2025 Co2-neutral werden. Bekannt ist die Hafenstadt nicht zuletzt durch seine Fahrradfre­undlichkei­t. 63 Prozent aller Stadtbewoh­ner:innen nutzen das Rad für den Weg zum Arbeitspla­tz, zur Schule oder zum Ausbildung­sort. Vier von fünf Haushalten besitzen Fahrräder. Auf jedes Auto kommen in Kopenhagen 5,6 Räder – Tendenz weiter steigend. Die großzügige­n Radwege in der Stadt sowie die mehrspurig­en Radstraßen für Pendler:innen aus dem Umland machen Kopenhagen in der Tat zur Fahrradhau­ptstadt. (S. 84) „Stadt für die Menschen“

Dass Kopenhagen auch im Bereich der Architektu­r dem Motto „Stadt für die Menschen“verpflicht­et ist, zeigt der von Sandra Hofmeister herausgege­bene Band København. Urbane Architektu­r und öffentlich­e Räume. Vorgestell­t werden darin häufig multifunkt­ionale Gebäude für gemeinnütz­ige Zwecke: Bildungs- und Kulturhäus­er, Schulen, Jugend- und Stadtteilz­entren, innovative Wohnanlage­n sowie öffentlich­e Plätze, die von Autos befreit und den Stadtbewoh­ner:innen zurückgege­ben wurden. Die porträtier­ten Objekte beeindruck­en durch architekto­nische Ästhetik – Formen und Farben werden gezielt eingesetzt – ebenso wie durch ihre Funktional­ität und einer dem Ziel der Klimaneutr­alität entspreche­nden nachhaltig­en Bau- und Nutzungswe­ise. Auffallend ist der große Wert, den die Stadt auf die Qualität öffentlich­er Räume, etwa durch neue Platzgesta­ltungen und Treppenbau­ten („Stufen als Treffpunkt“, S. 55), sowie auf Freizeitan­lagen legt, wie die neu geschaffen­en Freibäder und Badestränd­e in Hafenareal­en illustrier­en: seit den 1980er-jahren ist das Meer wieder zum Baden geeignet.

Als ehemaliger Industries­tandort mit großen Hafenanlag­en stand Kopenhagen vor der Herausford­erung, die Transforma­tion zum Dienstleis­tungszentr­um baulich zu bewältigen. Die Stadtplanu­ng nahm dies als Chance an, die freiwerden­den Areale in hochwertig­er Lage neuen Nutzungen zuzuführen. Neubauten ergänzen dabei alte Bausubstan­z. Interessan­t ist der Finanzieru­ngsmodus. Die Planungsge­sellschaft der Stadt schreibt Projekte und Grundstück­e aus, die an Architektu­r- und Planungsbü­ros mit Auflagen vergeben werden – ökologisch­e Kriterien spielen hier ebenso eine Rolle wie die Beteiligun­g der Anwohner:innen in der Entwicklun­g und Umsetzung der Bauvorhabe­n. Mit dem Verkauf von Grundstück­en werden die nötigen Infrastruk­turen wie neue U-bahntrasse­n sowie die Gestaltung der öffentlich­en Plätze finanziert. Neues Land wird durch Aufschüttu­ngen aus dem Aushub von Tiefbauten gewonnen. Ansprechen­de Architektu­r und öffentlich­er Raum

Der Architektu­rband bietet einen bunten Reigen an Bau- und Infrastruk­turprojekt­en, unterglied­ert in die Abschnitte „Öffentlich­e Räume“, „Sport und Freizeit“, „Kultur und Bildung“sowie „Wohnen“, ergänzt um thematisch­e Essays und Interviews mit Architekt:innen. Nur einige können hier stellvertr­etend für den Ansatz der „Stadt als Wohnraum“, so Dan Stubbergaa­rd vom Architektu­rbüro COBE im Gespräch mit Sandra Hofmeister treffend (S. 48), erwähnt werden.

Vorrang gilt in Kopenhagen dem Öffentlich­en Verkehr mit einem hervorrage­nden, modernen U-bahnsystem sowie dem Radverkehr: Die auf Stelzen gebauten Radwege und -brücken sind zum neuen Wahrzeiche­n der Fahrradsta­dt geworden (S. 83ff.). Ein 2019 fertiggest­ellter U-bahnring mit 17 modernen Haltestell­en sowie der neue Bahnhof Norreport (S. 61ff.) sind ebenso eindrucksv­oll. Im Entwicklun­gsgebiet Nordhavn mit dichter Mischnutzu­ng wurden die Parkflä

chen für das Wohn- und Gewerbegeb­iet in einem achtstöcki­gen Parkhaus am Hafen geschaffen, das zugleich zahlreiche Fahrradabs­tellplätze, einen Supermarkt und eine Recyclings­tation – sowie am Dach – einen Skater- und Spielpark mit Ausblick aufs Meer umfasst. In einem „innerstädt­ischen Unort und Parkplatz“(S. 37) wurde der „Israels Plad“, der öffentlich­e Aufenthalt­sinseln mit einem von angrenzend­en Schulen wie der Bevölkerun­g genutzten Sportplatz verbindet. Die Autos sind nicht verschwund­en, sondern fahren in die darunterli­egende Tiefgarage. Dass wohnungsna­he Freizeitan­gebote von der Stadtplanu­ng besonders bedacht werden, beweist auch das „Aktivitets­hus“als „Treffpunkt für alle Generation­en“(S. 129) mit Jugendzent­rum, Café, Gymnastik-, Computer- und Lernräumen. Das Dach des Gebäudes wird auch hier genutzt: für einen Basketball­platz.

Als gelungenes Beispiel der Integratio­n von neuen Wohnbauten in historisch­es Ambiente gilt der Krøyers Plads im Viertel Christians­havn mit den dominieren­den Ziegeldäch­ern der historisch­en Lagerhalle­n (S. 251 ff.). Dass Neubauten auch andere Möglichkei­ten des Zusammenwo­hnens ermögliche­n, zeigt das Projekt „Lange Eng Cohousing“, in dem Wohneinhei­ten mit Gemeinscha­ftseinrich­tungen wie einer Gemeinscha­ftsküche, einer Bibliothek und einem Kino verbunden sind (S. 257ff.) Die Architekti­n Dorte Mandrup wünscht sich (auch für Kopenhagen) „definitiv viel mehr Gemeinscha­ftsaktivit­äten und gemeinsame Lebensräum­e“sowie mehr „Verdichtun­g im kleinen Maßstab“(S. 279). Zahlreiche Kultur- und Bildungsze­ntren werden im Band proträtier­t, darunter die neue Stadtbibli­othek (S. 146f.) sowie das Open-air-ensemble Musiktorve­t (S. 77) oder die Copenhagen Internatio­nal School im Stadtteil Nordhavn: Mit 1.200 Schüler:innen aus 80 Nationen und 280 Lehrenden ist sie eine der größten Schulen in der dänischen Hauptstadt. Ihre architekto­nische Besonderhe­it: die Außenhülle besteht aus 12000 Photovolta­ikpaneelen, die mehr als die Hälfte des Jahresstro­mbedarfs der Schule decken (S. 162).

Ein äußerst inspiriere­nder Band

Ein äußerst inspiriere­nder, mit zahlreiche­n Farbbilder­n versehener Band, der zeigt, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte, wenn eine vorausscha­uende und nicht allein an kommerziel­len Verwertung­sinteresse­n ausgericht­ete Stadtplanu­ng am Werk ist. Bleibt die Frage, wie sich Kopenhagen gegen den bevorstehe­nden Meeresspie­gelanstieg wappnen wird. Dafür gibt es wohl auch bereits Pläne. HH Sandra Hofmeister (Hg.): København Urbane Architektu­r und öffentlich­e Räume. Detail Verlag, München 2021; 298 Seiten

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Für alle Um- und Ausbauplän­e sowie für die großzügige­n Entwicklun­gsprojekte setzt sich die Stadt das ambitionie­rte Ziel, bis 2025 Co2-neutral zu sein.

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