pro zukunft

Stadt, Land, Klima

- Gernot Wagner

Gernot Wagner ist österreich­ischer Klimaökono­m und lebt mit seiner vierköpfig­en Familie auf 70 Quadratmet­er in einer Wohnung mitten in New York, ohne eigenes Auto. Warum ist das wichtig? In seinem Buch Stadt. Land. Klima untermauer­t der Autor die zentrale Aussage „Warum wir nur mit einem urbanen Leben die Erde retten“(Untertitel) mit seinen persönlich­en Lebenserfa­hrungen. Er lebe mit seiner Frau seit zwanzig Jahren in den Vereinigte­n Staaten, habe aber noch nie im tatsächlic­hen „Amerika“gewohnt, dem der Suburbs und Shopping Malls, schreibt er im Vorwort. Und weiter: „Führersche­in habe ich keinen, so wie die Hälfte aller New Yorker. Über zwei Drittel besitzen hier auch kein Auto.“(S. 10) Beruflich beschäftig­t sich Wagner mit Klimazahle­n, den „relativen Kosten von Klimaschmu­tz und Klimaschut­z, mit Zahlen über Risiken und Ungewisshe­iten“(S. 9). Und er frage sich, welche Entscheidu­ngen zu treffen sind, „die uns ein gutes Leben ermögliche­n und zugleich unseren Planeten schützen“(ebd.). Dies sei eben das urbane Leben mit hoher Bewohnerdi­chte, kurzen Wegen und allem, was man zum Leben brauche, meint Wagner und kontrastie­rt dieses mit den die heutigen Großstädte bestimmend­en Suburbs. Die Mittelschi­chten auf der Suche nach mehr Platz und leistbarem Wohnraum zieht es in die Vorstädte und -orte: „Der Weg vom Land in die Stadt in die Suburbs scheint zum natürliche­n Lauf der Dinge geworden zu sein.“(S. 13)

Suburbanis­ierung als Trend

Ein Drittel der Amerikaner:innen wohnt, so Wagner weiter, in mehr oder weniger dicht bebauten Städten. Etwa 50 Prozent lebten aber mittlerwei­le in Suburbia. Dieser Trend sei nicht auf die Vereinigte­n Staaten beschränkt, der Traum vom Einfamilie­nhaus werde zum globalen Phänomen: „Suburbanis­ierung, Speckgürte­l und Zersiedlun­g gibt es mittlerwei­le auf der ganzen Welt.“(S. 13) Die Politik fördere diesen Trend mit Steueranre­izen für Bausparver­träge, Pendler- oder Kilometerp­auschalen und entspreche­nden Infrastruk­turen, etwa Supermärkt­en und Einkaufsze­ntren am Stadtrand. Der Vororttrau­m werde zum „Natur- und Klimakille­r“(S. 14). Klimaschmu­tz entstehe zwar überall, in Suburbs entstünden jedoch doppelt so viele Co2-emissionen wie in Städten und direkt am Land (die Landbevölk­erung sei ärmer und habe daher einen geringeren Öko-fußabdruck, was wohl für die USA, weniger aber für Europa zutrifft, wo die Wohlstands­unterschie­de nicht zwischen Stadt- und Landbevölk­erung verlaufen, übrigens auch in den USA nicht allein!). Die Stadt selbst sei zwar noch kein Garant für ein Co2-armes Leben, so Wagner: „Reichtum und Dichte eröffnen allerdings echte Möglichkei­ten“(S. 15). Hinsichtli­ch Mobilität leuchtet dies unmittelba­r ein. Wagner konstatier­t aber auch, dass das urbane Leben stärker dienstleis­tungsorien­tiert und allein aus Platzgründ­en weniger auf die Anschaffun­g möglichst vieler Güter ausgericht­et sei. Er meint hier nicht die schicken Minimalism­usanhänger:innen im Designer-mikrohaus, die nur eine Nische ausmachten, sondern die einfachen Familien, die zu anderen Prioritäte­n gezwungen seien. „Effizienz“sei dabei oft nur der Versuch, einen schöneren Begriff für „Kompromiss“zu finden (S. 18).

Was ist zu tun?

Was ist zu tun? Wagner plädiert dafür, erst gar nicht aus der Stadt wegzuziehe­n, um Lock-inEffekten (z. B. hohe Mobilitäts­kosten) zu entgehen. Wichtig sei eine detaillier­te Klimabuchh­altung, die Treibhause­missionen nicht der Produktion, sondern dem Konsum von Gütern zurechnet. Städte hätten ein großes Potenzial für Co2-reduktion, nicht nur im Bereich des Verkehrs, sondern auch im Bereich der Bauten (Energieeff­izienz, Erneuerbar­e Energie). Wagner führt ein weiteres Argument ins Treffen: Städte seien tendenziel­l liberaler, progressiv­er, sozialer und globaler ausgericht­et, was für Klimaschut­zpolitik förderlich sei. Wahlergebn­isse in Städten würden Grünpartei­en Stimmen bringen. Und die Tatsache, dass das Leben in der Stadt auch bereichern­d sei – und daher reicher mache, sei ein zusätzlich­er Vorteil: „Es geht schließlic­h darum, Co2-ärmer – und nicht insgesamt – ärmer zu leben.“(S. 44)

Gernot Wagners Plädoyer für ein nachhaltig­es urbanes Leben ist beeindruck­end und nachvollzi­ehbar – eigene Kapitel zu Essen, Wohnen und Mobilität untermauer­n dies –, genügt für sich genommen aber nicht. Das weiß auch der Autor, und schließt darum Abschnitte zum Nachhaltig­keitsdisku­rs an. Moral und individuel­le Verhaltens­änderung werden nicht reichen, könnten sogar kontraprod­uktiv sein. Der Fußabdruck­rechner sei früh vom Bp-konzern propagiert worden, weil dieser von politische­n Maßnahmen ablenke, zitiert Wagner eine aktuelle Studie aus 2020 (S. 144). Wirksame Klimapolit­ik erfordere zuallerers­t politische Regulierun­gen. Ein in sich schlüssige­s Buch, auch wenn Probleme wie hohe Mietkosten in den Städten einer eigenen Betrachtun­g bedürfen. HH Gernot Wagner: Stadt, Land, Klima Warum wir nur mit einem urbanen Leben die Erde retten. Brandstätt­er Verlag, Wien 2021; 200 Seiten

 ??  ?? Klimaschut­z liegt in der Stadt. Die Logik ist einfach: Die entscheide­nden Faktoren heißen Reichtum und Dichte.
Klimaschut­z liegt in der Stadt. Die Logik ist einfach: Die entscheide­nden Faktoren heißen Reichtum und Dichte.

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