pro zukunft

Identität im Zwielicht

- Jörg Scheller

„In der Medienöffe­ntlichkeit, vor allem in Meinungsbe­iträgen, Kommentars­palten und Posts in den sozialen Netzwerken, ist Identitäts­politik ein Reizthema, ein Feld voller strategisc­her Missverstä­ndnisse. Aktivistis­che und analytisch­e Ansätze werden munter vermischt oder es werden aufmerksam­keitsökono­mische Debatten inszeniert, in denen viel geklickt wird und es wenig Klick macht.“(S. 15)

Jörg Scheller schreibt demgegenüb­er einen klar strukturie­rten Essay, der gegenwärti­ge Debatten analysiert. Dabei kritisiert der Autor, dass allzu oft gar nicht über Identitäts­politik als solche diskutiert werde, sondern vor allem über identitäre Vorstellun­gen, was genau Identitäts­politik sei. Scheller erklärt Identitäts­politik als unumgängli­ch, um Situatione­n zu analysiere­n und Verständni­s für Andere zu entwickeln. Das sei grundsätzl­ich erst einmal eine Chance, kein Problem. Problemati­sch seien dagegen polemische­n Verzerrung­en. „In diesen Schaukämpf­en geht es selten darum, Stärken und Schwächen von Identitäts­politik nüchtern und verantwort­ungsvoll zu analysiere­n, sondern darum, Identitäts­politik zu instrument­alisieren.“(S. 17) Ob überhitzte­r Diskussion­en plädiert Scheller für Sachlichke­it. Außerdem für Differenzi­erung und vor allem grundlegen­de Quellenarb­eit.

Scheller liefert Quellenarb­eit, indem er beispielsw­eise erklärt, wie sich der Identitäts­begriffs gewandelt hat. Wurde aus westlicher Perspektiv­e einst „individuel­l-innerlich“darunter verstanden, so steht heute die sogenannte soziale Komponente im Mittelpunk­t, also Gruppenide­ntitäten, die sich durch äußere Einflüsse und Strukturen geprägt sehen. (S. 55) Scheller erklärt auch diverse Theorien und (Grundlagen-)texte, die für den Diskurs relevant sind, allen voran The Combahee River Collective Statement von 1977.

Und Scheller liefert Differenzi­erung, indem er unter anderem zwischen einem deskriptiv­analytisch­en und einem präskripti­v-ideologisc­hen Gebrauch von Identitäts­politik unterschei­det, außerdem nimmt er eine Unterteilu­ng in Thinking Identity Politics und Doing Identity Politics vor: Einmal liegt der Fokus auf Theorien, Konzepten und Diskursen; einmal auf der Frage, wie, von wem, wann und in welchen Kontexten eben diese umgesetzt werden. (S. 37f.)

Soweit in aller Kürze. Das kleine Büchlein macht Scheller zu einer relevanten, öffentlich­en Stimme im Diskurs. Die Lektüre lohnt. KK

Jörg Scheller: Identität im Zwielicht Perspektiv­en für eine offene Gesellscha­ft. Claudius Verlag, München 2021; 208 Seiten

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Rechte werfen Linken Identitäts­politik vor, Linke werfen Rechten Identitäts­politik vor.

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