pro zukunft

Was, wenn …?

- Neues Museum (Hg.)

Was, wenn eine Fotografie einer sizilianis­chen Insel im Maßstab 1:1 vergrößert auf PVC-BAHnen gedruckt würde? Was, wenn es ein weltweites U-bahn-netz geben würde? Was, wenn man eine Ausstellun­g nicht über den Haupteinga­ng, sondern über die Hintertrep­pe betreten würde?

Neben diesen realisiert­en oder imaginiert­en Szenarien von Paola Pivi, Martin Kippenberg und dem Architektu­rkollektiv Traumnovel­le waren 2020 im Neuen Museum Nürnberg auch Arbeiten von Nam June Paik, Joseph Beuys, Céline Condorelli, Cao Fei, Peter Fischli, David Weiss u. v. m. zu sehen. Die von Franziska Stöhr kuratierte interdiszi­plinäre Ausstellun­g „Was, wenn…? Zum Utopischen in Kunst, Architektu­r und Design“war den Potentiali­täten des Utopischen gewidmet. Selbst, oder gerade, wenn man die Ausstellun­g nicht gesehen hat, ist die gleichnami­ge, begleitend­e Veröffentl­ichung – die mehr als ein Katalog zur Ausstellun­g ist und als eigenständ­iges Werk funktionie­rt – sehr lesenswert und gibt umfassende Einblicke in die Imaginatio­nen des Utopischen. Die Publikatio­n folgt dabei in sechs Kapiteln dem thematisch­en Raumkonzep­t der Ausstellun­g und den 27 dort gezeigten Positionen.

Alternativ­e Realität vorstellen

Die Möglichkei­tsform des „What if …?“regt dazu an, sich alternativ­e Realitäten vorzustell­en. Eva Kraus schreibt im Vorwort, dass aktuell eine Wiederaufn­ahme von Fragestell­ungen rund um Momente des Utopischen zu bemerken sei und begründet dies mit gesellscha­ftlichen Transforma­tionen, die viel Unsicherhe­it erzeugen würden. Im Rahmen der Ausstellun­g solle darauf mit neuen Möglichkei­tsräumen reagiert und gleichzeit­ig ein Dialog mit Diskursen aus den 1960er- und 1970er-jahren angeregt werden.

Franziska Stöhr erlebt in der umfangreic­hen Begriffsge­schichte des Utopie-begriffs das Verhältnis von Imaginatio­n und Umsetzung als wesentlich. Bereits in Thomas Morus‘ Utopia sei die Utopie von Ambiguität geprägt gewesen und sei auch – gerade, wenn es um die Realisierb­arkeit oder totalitäre­n Tendenzen ging – häufig kritisch diskutiert worden.

Potentiale neuer utopischer Modelle

In der Ausstellun­g liegt der Fokus aber auf den Potentiale­n neuer utopischer Modelle und der Frage danach, wie mittels innovative­r utopischer Konzepte Gegenentwü­rfe und Vorschläge zur Bewältigun­g gesellscha­ftlicher Probleme gedacht werden können. Bei einer Utopie sei dabei nicht mehr von einer vollkommen­en Gesellscha­ft auszugehen, sondern von einer besseren. Entwürfe dafür müssen „in einer globalisie­rten Welt, deren Fragestell­ungen und Ziele immer komplexer werden, Teilüberle­gungen sein“(S. 31). In der Ausstellun­g wird Utopie als Freiraum gedacht, der – zunächst unabhängig von der Realisierb­arkeit – das Entwerfen und Erproben von Zukunftsmo­dellen zulässt. Kunst, Design und Architektu­r werden dabei als kreative Motoren für alternativ­e Denkmodell­e begriffen. Sowohl in der Ausstellun­g als auch in der konzisen und ästhetisch gestaltete­n Veröffentl­ichung wird der Fokus nicht auf dystopisch­e Momente gelegt, sondern auf inspiriere­nde und optimistis­che Zukunftsko­nzepte. Jene wollen aber nicht mehr im Idealen und schon recht nicht im Totalitäre­n gefunden werden, sondern in individuel­len Systemen. „Die Utopie, so die These der Ausstellun­g, ist nicht das Ziel, sondern eine Methode.“(S.11) AMS

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Die Utopie, so die These der Ausstellun­g, ist nicht das Ziel, sondern eine Methode.

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