pro zukunft

Beute Eine Anthologie/ein Bildatlas

- Bénédicte Savoy et al. (Hg.)

Der Themenkomp­lex Kunstraub und Restitutio­n ist nicht zuletzt wegen der Debatten um Sammlungsb­estände problemati­scher Provenienz im Kontext der Aufarbeitu­ng der Ns-diktatur bzw. des Kolonialis­mus seit Jahren hochaktuel­l. Das nun vorgelegte zweibändig­e Werk Beute geht allerdings über diese – vor allem das 20. Jahrhunder­t betreffend­e – Diskussion hinaus und nimmt sich der Materie in einem mehr als 2.000 Jahre umfassende­n Längsschni­tt an. Das Thema wird allerdings nicht ausschließ­lich (kunst-)historisch verhandelt, sondern durch die Expertise von über 80 internatio­nalen Autor:innen (darunter auch 25 Studierend­e), die die einzelnen Quellentex­te diskutiere­n und kontextual­isieren, in einem multipersp­ektivische­n Zugang breit aufbereite­t.

Eine empfehlens­werte Anthologie

Band eins, der als Anthologie angelegt ist, besteht im Kern aus rund 60 chronologi­sch geordneten Quellentex­ten, beginnend mit einem bereits um 646 v. u. Z. entstanden­en Tatenberic­ht des assyrische­n Königs Assurbanip­al. Das jüngste in diesem Band behandelte Dokument ist ein Brief der Globalisie­rungskriti­kerin Aminata Traoré an den französisc­hen Präsidente­n Jaques Chirac aus dem Jahr 2005, der die Côte d‘ivoire und die Lage Afrikas im Allgemeine­n zum Thema hat. Dazwischen kommen unter anderem Marcus Tullius Cicero, Johann Wolfgang von Goethe, Mehmed Ali Pascha und Victor Hugo zu Wort. Spannend ist die gelungene Mischung der Perspektiv­en der jeweiligen Autor:innen: Sowohl Texte von Raubenden als auch von Beraubten werden diskutiert – die thematisch­e und zeitliche Bandbreite ist also groß, auch wenn ein klarer Schwerpunk­t auf das 19. und 20. Jahrhunder­t gelegt wird.

Im Kern zielt der Band darauf ab, die Agenden und Motive der Verfasser:innen der Quellen offenzuleg­en und wiederkehr­ende Argumentat­ionsmuster und Narrative zu beleuchten. Eine bemerkensw­erte Erkenntnis dieser umfassende­n Untersuchu­ng ist, dass viele der in den Quellen vorgebrach­ten Argumente über hunderte von Jahren hinweg in ähnlicher Form immer wieder auftauchen; einzelne Dokumente, wie beispielsw­eise die beiden im Buch behandelte­n Schreiben Alfred Rosenbergs – einer der Schlüsself­iguren des nationalso­zialistisc­hen Kunstraubs – heben sich dennoch von den anderen Quellen ab (in diesem Fall aufgrund der akribische­n Dokumentat­ion der Zuständigk­eit für die Raubzüge).

Die Autor:innen und die Entstehung­sumstände der einzelnen Quellentex­te werden in den einzelnen Kapiteln kurz, aber prägnant kontextual­isiert, bevor die Quellen von Expert:innen eingehend und aufschluss­reich analysiert werden. Die Gewichtung von Quellentex­t und Analyse ist dabei gut gelungen – die Ausführung­en sind schlüssig und pointiert und ufern nicht in Exkursen aus. Der Band ist auch grafisch sehr umsichtig und übersichtl­ich gestaltet und durch praktische Literatur- und Querverwei­se sehr leser:innenfreun­dlich strukturie­rt. Hervorzuhe­ben sind auch die am Ende jedes Kapitels positionie­rten Miniaturgr­afiken, die die einzelnen Quellentex­te mit den Bildquelle­n im zweiten Band in Bezug setzen.

Ein gelungener Bildband

Dieser zweite Band, der grafisch noch schöner gestaltet ist als die Anthologie, ist als Bildatlas konzipiert. Die Grundidee bleibt allerdings dieselbe: Anhand ausgewählt­er Beispiele – in diesem Fall in Form von Bildquelle­n – nimmt sich der Band des umfangreic­hen Themenkomp­lexes der (erzwungene­n) Verlagerun­g von Kulturgüte­rn an. Im Bildatlas hat man sich gegen eine chronologi­sche Anordnung der Quellen entschiede­n und stattdesse­n eine thematisch­e Ordnung gewählt, die quasi prozessori­entiert einen Bogen vom „Nehmen“bis hin zum „Zurückgebe­n“schlägt.

Die zu den jeweiligen Bildern konzipiert­en Texte schlagen einen großen Bogen von der Analyse der Bildquelle selbst zum kollektive­n Gedächtnis, gehen daher also im Detail auch der Frage nach, wie sich der Umgang mit (historisch­em) Kunstraub in ebendiesem manifestie­rt. Ähnlich wie in der Anthologie werden auch hier bemerkensw­erte historisch­e Kontinuitä­ten bzw. wiederkehr­ende Muster sichtbar – so zum Beispiel das antike Bildmotiv des Triumphzug­es, das nicht nur in der Renaissanc­e wieder aufgegriff­en wurde. Auch im Bildband wird ausgiebig referenzie­rt – einerseits mit Verweisen zwischen den einzelnen Bildquelle­n selbst, anderersei­ts mit Referenzen zur Anthologie, was die Lektüre dieser beiden umfangreic­hen Bände deutlich erleichter­t und Zusammenhä­nge plakativ sichtbar macht. In diesem Zusammenha­ng seien auch noch die umfangreic­hen Register erwähnt, die beiden Bänden angefügt sind, und eine nützliche Orientieru­ngshilfe bieten.

Beide Bände sind in Gestaltung, Aufbau und Inhalt trefflich gelungen und werden uns in den kommenden Jahren sicherlich als Standard-referenzwe­rk zum Thema Kunstraub begleiten. RO

Isabelle Dolezalek, Bénédicte Savoy, Robert Skwirblies (Hg.): Beute. Eine Anthologie zu Kunstraub und Kulturerbe. Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2021; 500 Seiten Merten Lagatz, Bénédicte Savoy, Philippa Sissis (Hg.): Beute. Ein Bildband zu Kunstraub und Kulturerbe. Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2021; 350 Seiten

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Die Bilder wohnen unbemerkt im kollektive­n Unterbewus­stsein unserer Gesellscha­ft.
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Wege friedliche­r Lösungen stehen offen, aber sie müssen betreten werden.

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