pro zukunft

The Future of the Museum

- András Szántó

In 28 Interviews führt András Szántó mit führenden Museumslei­ter:innen weltweit einen Dialog über die Zukunft der Museen. Dabei steht die Dringlichk­eit der Frage im Vordergrun­d, wie eine Selbstjust­ierung des Museums auszusehen hat, die sich den gegenwärti­gen und zukünftige­n Krisen und Transforma­tionen seiner Umgebung stellen muss. Eine kritische Auseinande­rsetzung mit der eigenen Institutio­n erfolgt in den Dialogen erstmal nicht; dafür werden zeitaktuel­le Diskurse weiterentw­ickelt und an die diversen Lokalitäte­n angepasst. Ein insgesamt interessan­ter und multipersp­ektivische­r Einblick in eine globale Museumslan­dschaft, deren wesentlich­e Verschiebu­ng sich geographis­ch in Richtung Lateinamer­ika, Asien und Afrika bewegt und zunehmend das soziale und politische Moment der Institutio­n in den Fokus ästhetisch­er und institutio­neller Kunstpraxi­s rückt.

Krisen und ein Blick in die Zukunft

Szántó nutzte das pandemisch­e Jahr 2020, um im Auge des Sturms eine Momentaufn­ahme der gegenwärti­gen Museumslan­dschaft zu zeichnen. Dazu verwendete der Kulturstra­tege und Autor die digitalen Medien und aktivierte sein bestehende­s Netzwerk: Beruhend auf Zoom-konversati­onen interviewt­e er Museumslei­ter:innen aus 14 verschiede­nen Ländern zu der Frage, wie eine spekulativ­e Zukunft des Museums aussehen könnte, dessen lokales-, kulturelle­s- und politische­s Klima einem stetigen Wandel ausgesetzt ist. Ganz zentral steht dabei die Frage, wie Museen mit aktuellen Krisen und Transforma­tionen umgehen können und wie sie sich für eine ungewisse Zukunft rüsten. Dabei fragt der Autor auch nach den Effekten der pandemisch­en Krise, nach der darauffolg­enden „Kernschmel­ze der Museumsfin­anzen“(S. 85) und nach den Auswirkung­en von George Floyds Tod als Symbol für eine sich verändernd­e Museumslan­dschaft.

Szántos Erfahrung als Kulturstra­tege wird präzise genutzt: er kennt seine Dialogpart­ner:innen persönlich und stellt sie anhand ihrer ersten Begegnunge­n charmant vor. Er kennt auch die jeweiligen Institutio­nen und hat viele von ihnen besucht. Zwischen biografisc­hem Porträt und Museumsana­lyse entwickelt er für die Gespräche einen je eigenen Fragenkata­log, abgestimmt auf den Werdegang der Person, die Institutio­n, deren Kontext und die Spezifik des Landes, in dem das Museum verortet ist. In diesem Sinne lesen sich die Dialoge wie perspektiv­ische Sozialanal­ysen und lassen die Museen als neue Versammlun­gsorte und Community-zentren der Zukunft erscheinen. Das spiegelt sich auch in den Titeln wider, die als kleine geographis­che Narrative fungieren, etwa „Learning from China“. Sie machen den Wandel sichtbar, der weltweit längst stattgefun­den hat: Der Westen, als Geburtsstä­tte des Museums, spielt nur mehr in seiner Dialektik eine Rolle. Die großen Player finden sich in Asien, Lateinamer­ika und zunehmend auch in afrikanisc­hen Ländern und grenzen sich von eurozentri­schen Perspektiv­en ab.

Nicht der Westen und das Andere, sondern das Lokale und Globale werden hier auf unterschie­dlichen Ebenen neu verhandelt: Der jeweilige Standort, die Nachbarsch­aft, das Lokale rücken ins Zentrum jedes Dialogs und eröffnen Fragen nach Gastfreund­schaft, nach Formen des Welcomings und der Vermittlun­g von Kultur. Global spannt sich ein Netz zwischen Kyoto und Basel, Buenos Aires und Cape Town auf und lässt Ähnlichkei­ten wie Differenze­n sichtbar werden. Diskursiv unterschei­den sich die Museen kaum: eine Elite wird hier vorgestell­t, die mit Fragen nach Diversität, Dekolonial­isierung und Antifaschi­smus längst vertraut ist, sich jedoch in ihrer Verortung infrastruk­turell unterschei­det.

So unterschie­dlich die Standorte und ihre Aushandlun­gsprozesse auch sind, so einig sind sie sich in der Frage nach der Zukunft des Museums: Zugänge erleichter­n, Barrieren niederreiß­en, safe spaces erstellen und im besten Sinne des Wortes, zum Gut-ort werden, in dem sich die Gesellscha­ft wiederfind­en kann. Dazu trägt auch eine rasante Verschiebu­ng ins Digitale bei, die während der Pandemie an Bedeutung gewinnt und den Zugang für einige erleichter­t.

Ungeklärte­s darf offenbleib­en

Die 28 Perspektiv­en werfen einen vielstimmi­gen, wohlwollen­den und vor allem sehr sozialen Blick auf die Größen der Kunstwelt, deren Ziel es ist, der Gesellscha­ft als Ganzer einen Platz in ihnen zu geben. Eine echte Institutio­nenkritik bleibt leider aus. Als Vertreter:innen ihrer Marke verhandeln die Dialogpart­ner:innen ihre Institutio­nen in einem allzu hellen Licht. Sich bestehende­r Hierarchie­n und Machtgefäl­le einzugeste­hen, wäre eine Möglichkei­t gewesen, das aufzubrech­en. Dennoch liefert die Zusammenst­ellung einen guten Einblick in die Vielfalt der Diskurse, in die Bedeutung der jeweiligen Institutio­nen für ihre Umgebung und in die Dynamiken ihres Wandels. Folgt man dem platonisch­en Anklang dieser Dialoge, so findet die Zukunft des Museums innerhalb eines offenen Verhandlun­gsortes statt, in einer Agora zwischen Marktplatz und Archiv, in dem gleiche Rechte und gleiche Autorität herrschen und alle ihre Verortung finden. Ein durchaus lesenswert­es Buch. GL András Szántó: The Future of the Museum 28 Dialogues. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2020; 320 Seiten

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The future history of art museums will to a significan­t degree be written in Asia.

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