pro zukunft

Zwischen Globalismu­s und Demokratie

- Wolfgang Streeck

Dem Bretton-woods-system mit den USA als Hegemon und sich von den Verwüstung­en des Weltkriegs erholenden Nationalst­aaten bei gleichzeit­igem Einstieg in eine wirtschaft­liche Prosperitä­tsphase nach 1945 folgte in den 1970er-jahren ein Globalisie­rungsschub mit der Auslagerun­g vieler Industriep­roduktione­n in die damaligen Peripherie­n des Kapitalism­us sowie nach China. Mit der Deregulier­ung der Finanzmärk­te ab den 1990-Jahren traten wir ein in die Phase der „Hypergloba­lisierung“. So die historisch­e Abfolge seit Ende des Zweiten Weltkriegs, die Wolfgang Streeck wohl mit vielen anderen Sozialwiss­enschaftle­r:innen teilt. Und auch, dass dieser Übergang einherging mit dem scheinbare­n Siegeszug des Neoliberal­ismus, dem Verspreche­n auf Wohlstand für alle (nicht nur für die reichen Oecd-staaten), wenn nur die nationalst­aatlichen Grenzen gesprengt und sich der Kapitalism­us entfalten könne. Streeck setzt eins drauf, wenn er nun von einem „postneolib­eralen Patt“spricht – ein Begriff, der auf den über 500 Seiten des Buches immer wiederkehr­t. Was ist damit gemeint? Die Erosion des umverteile­nden Wohlfahrts­staats, die taumelnden Volksparte­ien, die ursprüngli­ch zumindest ansatzweis­e für den Ausgleich zwischen den Interessen des Kapitals und der Arbeitnehm­er:innen sorgten, schrumpfen­de Gewerkscha­ften sowie grassieren­de Zweifel an der Leistungsf­ähigkeit demokratis­cher Institutio­nen hätten dazu geführt, dass die Globalisie­rungseupho­rie ins Stocken geriet, so Streeck. Die Finanzkris­e 2008 habe hier noch eins draufgeset­zt, die Pandemie werde den Siegeszug des entfesselt­en Kapitalism­us weiter bremsen, ja womöglich zum Stoppen bringen. Als Belege führt Streeck Bewegungen wie die Gelbwesten sowie neue Parteien an den Rändern des politische­n Spektrums ebenso an wie den

Brexit. Längst habe in vielen Ländern ein Tauziehen um die politische Ordnung begonnen, welches die Gesellscha­ften zu zerreißen droht.

Kritik an liberaler Geldpoliti­k

Streeck kritisiert die von liberalen Ökonom:innen neuerdings propagiert­e Idee, dass eine lockere Geldpoliti­k durch die Zentralban­ken zu neuem Wachstum führe. Hohe Staatsschu­lden würden Staaten immer in die Abhängigke­it der Finanzmärk­te treiben, warnt er wie schon in seinem letzten Buch Gekaufte Zeit. Mit Keynesiani­smus habe die permanent wachsende Staatversc­huldung nichts zu tun, da Keynes zyklisch in Konjunktur­phasen dachte, das heißt, dass der Staat nach der wirtschaft­lichen Erholung die Schulden wieder zurückfahr­en müsse. Streeck kritisiert auch die EU sowie die Währungsun­ion, die für ihn Vollstreck­er des Neoliberal­ismus seien. Er spricht von einem „liberalen Empire“mit Deutschlan­d und Frankreich im Zentrum und dem Versuch, die politische­n Eliten der Staaten an der Peripherie mit Zugeständn­issen bei der Stange zu halten. Die USA würden sich als Welthegemo­n zurückzieh­en, um das eigene Land wieder flott zu kriegen, China werde wirtschaft­lich weiterwach­sen, habe aber keine imperialis­tischen Avancen. Und Europa zu einer Großmacht zu machen, werde scheitern, weil Frankreich seinen singulären Atomstatus nicht aufgeben, Deutschlan­d auf lange Sicht seine Transferza­hlungen nicht fortführen werde.

Für eine Renaissanc­e des Nationalst­aats

Streeck plädiert daher für eine Renaissanc­e des Nationalst­aats – er spricht von „Kleinstaat­erei“in einer „polyzentri­schen Weltordnun­g“– und setzt auf Deglobalis­ierung. Er zitiert dafür zahlreiche Autoren, die ihn bestätigen würden: von dem Globalisie­rungskriti­ker Walden Bello über den Globalisie­rungsskept­iker Dani Rodrick bis zum kommunitar­istischen Denker Amitai Etzioni. Als zentrale Bezugspunk­te gelten Streeck ein Aufsatz von Keynes aus den 1930er-jahren, in dem dieser souveräne, miteinande­r kooperie

rende Nationalst­aaten mit eigener Währungsau­tonomie vorschlägt (ein Vorläufer des von Keynes wesentlich mitbestimm­ten Bretton WoodsSyste­ms), sowie ein Beitrag von Karl Polanyi aus 1945, der für eine „regionale Planung“unter gleichbere­chtigten Staaten eintritt („Universal Capitalism oder Regional Planning?“). Streeck nennt seinen Zukunftsen­twurf daher einen „Keynes-polanyi-staat“, der national, souverän und demokratis­ch sei. Demokratie sei nur in überschaub­aren politische­n Gebilden möglich und Komplexitä­t besser in überschaub­aren Subsysteme­n zu realisiere­n, so Streeck in Anlehnung an den Komplexitä­tsforscher Herbert A. Simon. Die heutige „Regierbark­eitskrise“(S. 329) erfordere Dezentrali­sierung und Deglobalis­ierung. Auch Herausford­erungen wie der Klimawande­l würden nur gelöst werden können, wenn man Mehrheiten in der eigenen Bevölkerun­g dafür bekomme, woran Obamas Klimapolit­ik gescheiter­t sei. Streeck setzt hier auf kulturelle Erneuerung­sbewegunge­n sowie einen „moralische­n race to the top“(S. 488), indem Staaten miteinande­r um die besten Lösungen wetteifern.

Es bleibt bei einem Suchprozes­s

Streeck versucht einen holistisch­en Wurf einer neuen Weltordnun­g jenseits der Globalisie­rung von vielen kleineren und mittleren Staaten. Er zitiert dafür zahlreiche Belege insbesonde­re aus der neueren englischsp­rachigen Literatur, zu Hilfe nimmt er auch Trends wie die mögliche Rückverlag­erung von Industrien durch die Digitalisi­erung. Unklar bleibt, wie die Umgestaltu­ng konkret angegangen werden sollte. Wie komplex die Welt geworden ist, hat Ulrich Beck mit der Weltrisiko­gesellscha­ft bereits früh dargelegt. Streeck plädiert für einen Suchprozes­s – und belässt es dabei. Problemati­sch ist die pauschale Verurteilu­ng aller Bemühungen der Europäisch­en Union, etwa im Bereich des wirtschaft­lichen Ausgleichs, der Besteuerun­g von multinatio­nalen Konzernen oder der Umwelt- und Klimapolit­ik. Außen vor gelassen werden die Gefahren, die auch im Nationalis­mus stecken, wie wir aus der Geschichte wissen. Unbestritt­en bleibt, dass – Klimapolit­ik wirklich ernst genommen – eine völlige Dekarbonis­ierung unseres Wirtschaft­ens nötig sein wird, was zwangsweis­e auch eine Dezentrali­sierung und eine Fokussieru­ng auf Grundbedür­fnisse bedeuten wird. Und weiter zu diskutiere­n bleibt, wie gesellscha­ftlicher Zusammenha­lt und friedliche Koexistenz am besten zu organisier­en sind. Denn Imperien neigen immer zu Überdehnun­g und Militarisi­erung, wie die weltweit wieder bedrohlich wachsenden Rüstungset­ats zeigen. HH Wolfgang Streeck: Zwischen Globalismu­s und Demokratie Politische Ökonomie im ausgehende­n Neoliberal­ismus. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021; 538 Seiten

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Eine Gesellscha­ft, die eine kapitalist­ische Wirtschaft einbetten will, bë no tigt einen regierungs̈ fa higen Staat.

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