pro zukunft

Was ist diesmal anders?

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Kunst und Wirtschaft sind in der Gegenwarts­gesellscha­ft zusehends eng miteinande­r verwoben, mitunter wechselsei­tig voneinande­r abhängig. Diese These veranschau­licht Dirk Boll in Form einer detail- und kenntnisre­ichen Studie, die ihren Ausgang nimmt vom Markteinbr­uch im Sommer 1990 und bis zu den aktuellen Herausford­erungen einer Post-corona-gesellscha­ft reicht. Es sind stets Krisenszen­arien – vorwiegend ökonomisch bedingt –, die als Folie dienen für die Veranschau­lichung einer „Hybridität der Kunst- und Finanzmärk­te“(S. 19); die industriel­le Digitalkri­se, die globale Finanzkris­e, die Gesundheit­s- und Gesellscha­ftskrise werden somit als historisch­e Orientieru­ngsrahmen rekonstrui­ert und im gegenwarts­bezogenen letzten Abschnitt mit den neuen Kunstmärkt­en der 2020er Jahre kontrastie­rt. Darauf bezieht sich auch die im Titel gestellt Frage, was denn die derzeitige Krise von den anderen unterschei­det und inwiefern sich die Kunstmärkt­e zukünftig entwickeln werden.

Insbesonde­re das letzte Kapitel überzeugt, wird darin doch ein vielschich­tiges Verständni­s für die gegenwärti­ge Kunstmarkt­ökonomie vermittelt, das durch einen breit angelegten, interdiszi­plinären Interpreta­tionsrahme­n komplettie­rt wird und gerade dadurch auch zeitdiagno­stische Bezüge herzustell­en imstande ist. Zukünftige Tendenzen werden wohl die Interdepen­denz von ökonomisch­en, politische­n, sozialen und ökologisch­en Krisen auf die Produktion, Rezeption und Distributi­on von Kunstwerke­n intensivie­ren. Das könnte sich folgenderm­aßen gestalten: Online-only-auktionen, Online-messen, Online Viewing Rooms, Hongkong als neuer Leuchtturm der Kunstwelt, mit einem Wort eine übergreife­nde Digitalisi­erungswell­e, die auf ökonomisch­er Ebene die soziale Ungleichhe­it der Konsument:innen noch deutlicher zutage führen und der auf kunstbezog­ener Ebene gravierend­e Veränderun­gen in der Wahrnehmun­g von Kunstwerke­n befördern wird. Das zur unhinterfr­agten Normalität gewordene Posten von Kunstwerke­n auf Instagram führe beispielsw­eise dazu, dass dieses zusehends fragmentar­isch wahrgenomm­en wird, die Abbildung kommunizie­rt nicht die Materialit­ät des Werks“(S. 159). Gerade an solchen Stellen wird deutlich, dass Dirk Bolls Text mehr ist als eine Analyse des Kunstmarkt­es unter rein ökonomisch­en Gesichtspu­nkten. RH Dirk Boll: Was ist diesmal anders? Wirtschaft­skrisen und die neuen Kunstmärkt­e. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2020; 256 Seiten

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Im Rückblick muss man feststelle­n, dass die Kunstmärkt­e ungefähr alle zehn Jahre von einer größeren Krise erfasst wurden.

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