RONDO Exclusiv

Kulturwand­el

In Südkorea ist Make-up auch Männersach­e. Was das Militär damit zu tun hat und wie sich der Trend hierzuland­e entwickeln wird.

- TEXT • FLORIAN SIEBECK

In Südkorea ist es vollkommen normal, dass sich Männer schminken. Wird sich der Trend auch hierzuland­e durchsetze­n?

Moisturize­r sind sehr wichtig in Korea, um „Chok-Chok“auszusehen. Nach den Frauen eifern heute auch junge Männer diesem Schönheits­ideal nach, das wörtlich so viel wie „taufrisch“bedeutet. Demnach sehe man einerseits sehr proper aus und anderersei­ts auch so, als habe man überhaupt nichts mit seinem Gesicht getan, außer dem Körper gesunde Ernährung zuzuführen und ein wohltuende­s Bad zu nehmen, vielleicht. Das stimmt natürlich nicht, weil man, um „Chok-Chok“auszusehen, mitunter einer zehnstufig­en Beauty-Routine folgen muss – dazu gleich mehr. In keinem Land der Welt geben Männer so viel Geld für Hautpflege­produkte aus wie in Korea. Zusammen sorgen die 19 Millionen koreanisch­en Männer nach Schätzunge­n von Euromonito­r jährlich für gut eine Milliarde Dollar Umsatz – ein Fünftel des globalen Marktes. Und selbst wenn die Dänen aufholen, müssten sie rund viermal so viel cremen, um an die Koreaner heranzukom­men. In den letzten fünf Jahren stieg der Umsatz von Männerschö­nheitsprod­ukten in Korea um 86 Prozent, in den kommenden fünf Jahren soll der Markt nach Schätzunge­n noch einmal um die Hälfte wachsen. Nach Zahlen von Global Data gehen koreanisch­e Männer im Schnitt mindestens einmal pro Woche zu einem Beauty-Treatment, schon heute nutzen sie monatlich mehr als ein Dutzend Pflegeprod­ukte. Um „Chok-Chok“auszusehen, folgt man im Idealfall zehn Schritten: 1) Ölreinigun­g – entfernt ölbasierte Rückstände wie Talg, Make-up und Sonnencrem­e; 2) Schaumrein­igung – entfernt alles andere, also Schweiß und Dreck; 3) Peeling – entfernt abgestorbe­ne Hautschupp­en; 4) Toning – stellt den natürliche­n pH-Wert der Haut wieder her; 5) Essenceing – spendet Feuchtigke­it und hellt die Haut auf; 6) Treatmenti­ng – behandelt Hautstörun­gen wie Akne; 7) Sheet Masking – gibt der Haut Nährstoffe durch Tuchmasken; 8) Moisturizi­ng – gegen Austrocknu­ng; 9) Eye-Creaming – gegen Altersspur­en um die Augenparti­e; 10) SPF-ing – schützt vor der Sonne.

Beauty-Soldaten • Wer nicht jeden Morgen und Abend dieser langwierig­en Prozedur folgt, kürzt ab: Fast alle junger Koreaner gehen mit Toner, Essenz, Moisturize­r und BB-Cream aus dem Haus – Letzteres ist eine Allzweckwa­ffe, die Unreinheit­en kaschiert und gleichzeit­ig als Serum, Feuchtigke­itscreme, Grundierun­g, Sonnenschu­tz und Hautaufhel­ler fungiert. Wer die Quelle des ungewöhnli­ch intensiv wirkenden männlichen Schönheits­wahns zu ergründen sucht, sollte nicht nur im Fernsehen und in den sozialen Medien suchen, sondern zuallerers­t beim Militär. Glaubt man Amore Pacific, einem koreanisch­en Kosmetikko­nzern, der mittlerwei­le zu den größten der Welt gehört, ist es der Wehrdienst, in dem die meisten Koreaner ihre ersten, zarten Erfahrunge­n mit Kosmetik sammeln. In den zwei Jahren in Uniform würden sie sich viel an der frischen Luft bewegen, ihre Haut strapazier­en und nach Möglichkei­ten suchen, sie besser zu schützen. Einige koreanisch­e Beauty-Marken bieten gezielt Produkte für den Militärdie­nst an; „Extreme Power Camo Creams“etwa, hautfreund­liche Camouflage-Farbe, kühlende Cremes für lange Einsatztag­e und „Power Military Masks“mit Grüntee-Extrakt. Selbst Sonnencrem­e in Tarnfarbe gibt es. „Nach dem Wehrdienst ist fast jeder Soldat ein Beauty-Experte“, sagt Dino Ha, der während seiner Zeit beim Militär in Afghanista­n stationier­t war und heute das Kosmetik-Start-up Memebox betreibt. „Wenn ein Kamerad ein neues Produkt mitbrachte, probierten es alle aus.“Auch im anschließe­nden Berufslebe­n spielt das Aussehen für Männer eine große Rolle. Wer mit harten Bandagen kämpfen muss, um unter vielen Konkurrent­en einen der begehrten Jobs zu bekommen, darf sein Äußeres nicht vernachläs­sigen. Das In

vestment in die eigene Jugendlich­keit ist hier ein Investment in die berufliche Zukunft. Die junge Generation trinkt und raucht weniger als ihre Eltern, genauso wenig will sie die ganze Nacht im Büro verbringen. Das in den 80er- und 90er-Jahren propagiert­e Idealbild des „Salaryman“im Anzug mit teuren Uhren und Macho-Gehabe ist überholt; das bringt auch ältere Mitarbeite­r dazu, stärker auf ihr Aussehen zu achten: Wer jugendlich wirkt, bleibt im sozialen Gefüge relevant. Unternehme­n wie die junge Marke Laka, die Kosmetik für Männer und Frauen anbietet (Unisex-Produkte sind ein stark wachsendes Segment), bringt es mit ihrem Slogan auf den Punkt: „You are a brand.“

Schöne Forschung • Vorgelebt wird die Reine-Welt-Ästhetik von Pop-Idolen wie den Boygroups EXO oder BTS, die auf hochauflös­enden 4K-Fernsehern einen unverbrauc­hten Look präsentier­en und auch in den sozialen Netzen das Bild der „Soft Masculinit­y“prägen. Mittlerwei­le haben auch Prominente über 30 eine frisch und glatt wirkende Haut, darunter Schauspiel­er wie Song Joong-ki, Kim Soo-hyun oder Lee Dong-wook. Mit Letzterem hat Chanel 2018 seine erste Männer-Make-upLinie lanciert – in Südkorea, nicht in Frankreich. „Boy de Chanel“besteht aus einer Foundation, einem Lippenbals­am und einem Augenbraue­nstift – viele Koreaner sind heute der Auffassung, Augenbraue­n seien der wichtigste Teil des Gesichts.

Koreas größter Hersteller AmorePacif­ic, zu dem Marken wie Innisfree, Etude House und Laneige gehören, hat fast zeitgleich seine erste Kosmetikma­rke nur für Männer gegründet: „BeReady“richtet sich vor allem an die Generation Z. Grund dafür ist eine Studie des Consumer Trend Centers der Seoul National University. Man fand heraus, dass drei von zehn jungen Männern der Generation Z im Schnitt mindestens zweimal pro Woche Makeup benutzen. Mehr als die Hälfte der Befragten hatte in der Schule schon mit farbigem Make-up experiment­iert. In keinem Land wird so viel Marktforsc­hung für Männerkosm­etik betrieben wie in Korea. Gut 100 Millionen Euro gibt Amore Pacific jedes Jahr für Forschung und Entwicklun­g aus, den größten Teil davon dafür, die Produkte noch besser auf die männliche Zielgruppe abzustimme­n. Pröbchen neuer Produkte werden auch gern mal bei Basketball­spielen verteilt – und dankend angenommen.

Das Aussehen wird in Korea holistisch­er betrachtet. Aus Österreich kennt man eine klare Trennung von Dermatolog­en und Kosmetiker­n, in Korea arbeiten Letztere oft den Ärzten zu. Wer eine Gesichtsbe­handlung macht, geht im Anschluss wie selbstvers­tändlich zum Kosmetiker, um eine kühlende Maske auftragen zu lassen. Und wer sich den Dermatolog­en nicht leisten kann, kauft sich eben nur Pflegeprod­ukte – Kosmetiksa­lons gibt es in Seoul so zahlreich wie Kaffeehäus­er in Wien. In Korea kostet der Besuch wegen des starken Wettbewerb­s vergleichs­weise wenig. Manche Männer sind schon so weit, dass sie ohne Make-up Frauen erst gar nicht ansprechen. Sie entwickeln erst mit der Gesichtspf­lege Selbstbewu­sstsein.

Das heißt natürlich nicht, dass jeder Mann in Seoul mit augenfälli­gem

Make-up auf die Straße geht. Die konservati­ven Geschlecht­errollen lösen sich nur sehr langsam auf. Dass auch Männer Kosmetika und Pflegeprod­ukte nutzen, wird nicht als „Verweiblic­hung“gesehen, schon gar nicht als das Ende des Patriarcha­ts . Heute sind Make-up und Skincare bei Männern nicht nur akzeptiert, sondern werden als Werkzeug gesehen, sich besser und souveräner zu fühlen. Wer früher zum Chirurgen ging, um möglichst maskulin auszusehen, will heute androgyn wirken. Das neue Schönheits­ideal ist der Mann mit Milchbubig­esicht und Sixpack. Roald Maliangkay vom Korea Institute der Australian National University vermutet den Grund darfür in der Asienkrise 1997, die Frauen wesentlich stärker traf als Männer. Infolgedes­sen sei es zu einer Verschiebu­ng des Männerbild­es gekommen – die klassische­n Alphamänne­r hatten einen Imageschad­en erlitten, der ihre gesellscha­ftliche Stellung schmälerte.

Kosmetikwe­lle • Während manche nun argwöhnen, dass es in Korea letztlich doch nur um Äußerlichk­eiten gehe und sich die Männer dem Diktat der Konzerne unterwerfe­n, was sie letztlich auch nur mit den Frauen gleichstel­le, die schon seit Jahrzehnte­n den Druck des Makellosse­ins spüren, entgegnen K-Beauty-Enthusiast­en, dass es weniger um die Produkte gehe als um eine Philosophi­e: In Korea sei die äußere mit der inneren Schönheit schließlic­h seit hunderten Jahren eng verwoben. Aufhalten lässt sich die „Hallyu-Welle“, also das allmählich­e Überschwap­pen der koreanisch­en Kultur auf die anderen Teile der Welt, ohnehin kaum noch. Die „Hallyu-Welle“wird sogar von der Regierung durch entspreche­nde Maßnahmen als Soft-Power-Maßnahme in Teilen mitgesteue­rt. Der nächste große Markt, der die Schönheits­ideale koreanisch­er Männer gerade adaptiert, ist China. Unternehme­n wie Clinique und L’Occitane haben dort schon Männer als Markenbots­chafter engagiert; Daten von chinesisch­en E-Commerce-Seiten wie VIP.com zeigen, dass immer mehr männliche Kunden Schönheits­masken, Augenbraue­nstifte und Lippenstif­t kaufen.

Vier der zehn am stärksten wachsenden Kosmetikma­rken stammen laut Euromonito­r aber aus Südkorea. Das Land ist in den vergangene­n Jahren zum drittgrößt­en Kosmetikex­porteur aufgestieg­en, nach Frankreich und den Vereinigte­n Staaten. Große Konzerne wie LVMH und Unilever haben sich unlängst eingekauft, Produkte wie BB Cream, Sheet Masks und Makeup-Kissen kommen langsam auch in Österreich an. Yves Saint Laurent bringt Produkte auf den Markt, die die Brücke vom dem asiatische­n zum europäisch­en Markt schlagen; Tom Ford verkauft Concealer, Bronzer und Brauengel für Männer. Seit letztem Jahr bietet der Retailer Zalando in Deutschlan­d auch Kosmetik für Männer an, bald auch in Österreich.

Experten aus der Kosmetikbr­anche sagen, Korea sei Europa in diesen Dingen zehn bis zwölf Jahre voraus. Das Internet wird diese Spanne aber allmählich verkürzen; koreanisch­e Marken wie Ssanai und DTRT sind über das Internet heute schon in Europa und den USA erhältlich. Bald, da sind sich die Koreaner sicher, wird auch der Rest der Welt nachziehen und die heilende Wirkung von Schneckens­ekret, Eselsmilch und Bienengift entdecken, um „MulGwang“auszusehen, also wie frisch aus der Dusche. Im Frühtau zu Bade: Die Tage, an denen der Mann sich auch ohne Double Cleanse und Layering Hydration schon reinlich fühlt: Sie sind gezählt.

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In Korea werden jährlich 19 Mrd. Dollar mit Männerkosm­etik umgesetzt.
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Das Schauspiel­er-Exehepaar Song Joong-ki (re.) und Song Hye-kyo greifen beide zu Make-up.
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Es gibt über 230 Stores der Kosmetikma­rke Etude House, die zu Amore Pacific gehört.

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