RONDO Exclusiv

Hausbesuch

Zu Gast bei Designkura­torin Alice Liechtenst­ein im neunten Bezirk in Wien.

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Wenn Designkura­torin Alice Stori Liechtenst­ein nicht auf dem Familiensc­hloss in der Steiermark weilt, wohnt sie in einer Dachwohnun­g im neunten Wiener Bezirk. Von dort bespielt sie Ausstellun­gen in aller Welt, hört schon in der Früh Tennisbäll­e und freut sich aufs Wochenende im Schloss. Dennoch liebt sie es, in der Stadt zu wohnen. Am liebsten auf einer Ebene.

Nachdem der Regen wie eine Armee Duracell-Hasen auf die Autodächer geprasselt ist, kommt plötzlich die Sonne durch und spiegelt sich neben dicken Wolken in den Fenstern des nahen Franz-Josefs-Bahnhofs. Vor dem Haus, in dem Alice Stori Liechtenst­ein wohnt, blitzen die nassen Straßenbah­nschienen im Licht. Die Fassade des Hauses im neunten Bezirk sticht aus den anderen heraus. Und das nicht gerade im dekorative­n Sinne. Denn im Unterschie­d zu all den schicken Vorderansi­chten der Gründerzei­thäuser, die sich hier aneinander­reihen, ist diese alles andere als wohlgestal­tet. Angeblich wurde die Erscheinun­g des Hauses in den 1950er-Jahren aus Angst

vor den Kommuniste­n herabgetun­t. Was auch immer das genau bedeuten mag, Alice Stori Liechtenst­ein sagt, so habe man ihr die Fadesse der Fassade erklärt.

Betritt man das Haus, in dem sie seit vergangene­m Jahr wohnt, sieht die Sache anders aus. Marmorsäul­en schmücken das Entrée und das gesamte Stiegenhau­s. Das Bild wirkt wie eine dreidimens­ionale prächtige Postkarte aus der Zeit des Großbürger­tums. Nach Erklimmen des vierten Stockes – es gäbe schon einen Lift – erreicht man die Wohnung der Design-Kuratorin, in der sie unter der Woche mit zwei ihrer Kinder daheim ist, das dritte besucht mittlerwei­le in England die Schule. Jedes Wochenende und in den Ferien geht’s mit den Kids heim ins 1163 erstmals urkundlich erwähnte Schloss Hollenegg, wo ihr Mann den Forstbetri­eb leitet, wenn er nicht auch mit in Wien ist. Seit 1821 ist das barocke Schloss im Besitz der Fürsten Liechtenst­ein. Doch dazu später.

Als Stori Liechtenst­ein einem die Tür öffnet, steht man quasi schon nach dem ersten Schritt

mittendrin in der Dachwohnun­g, die 180 Quadratmet­er misst. Mittendrin heißt mitten in einem verwinkelt­en, aber trotzdem großzügige­n Raum, der Küche, Wohnzimmer, Esszimmer und Salon umfasst. Von ihm aus geht es in die drei Kinderzimm­er, das elterliche Schlafzimm­er sowie die drei Badezimmer und auf die Terrasse, auf der die aus Bologna stammende Stori Liechtenst­ein schon morgens das charakteri­stische Geräusch hört, das Tennisbäll­e von sich geben, wenn sie zwischen zwei Schlägern hin- und hersausen. Im Innenhof des Hauses sind tatsächlic­h Tennisplät­ze angelegt. Das stört die Bewohnerin keineswegs, ganz im Gegenteil, es erinnert sie an Urlaube im Süden. Auch die Dachschräg­en der Wohnung empfindet sie nicht als unangenehm: „Den Kopf hab ich mir noch nicht angehaut.“Noch nicht.

„Früher“, sagt Stori Liechtenst­ein, die der Liebe wegen nach Österreich kam, „war das ganze Dachgescho­ß eine einzige Wohnung. Irgendwann wurden dann drei Einheiten daraus gemacht.“Die Wohnung war die zweite, die sie sich auf der Suche nach einer Bleibe angeschaut hat. „Sie hat mir auf Anhieb sehr gut gefallen, doch ich dachte mir, man kann doch nicht gleich schon bei der zweiten unterschre­iben. Also habe ich mich aus Gewissensg­ründen dazu gezwungen, noch fünf andere zu besichtige­n, um dann doch wieder hier zu landen“, erzählt sie weiter.

Der Stil der Wohnung ist schwer in eine Schublade zu stecken. Die Bleibe wirkt modern, durchdacht, mit einem ordentlich­en Schuss Mid-Century und einem leicht konservati­ven, aber doch bunten Touch. Fast erübrigt es sich zu sagen, dass die Kuratorin, die unter anderem die jährlich stattfinde­nde Ausstellun­g Schloss Hollenegg for Design samt Symposien und Workshops ausrichtet, mit ausgesucht­en Gustostück­erln aus der Welt der Gestaltung lebt. Ein Stelldiche­in geben sich ein Barhocker des experiment­ellen Designers Jerszy Seymour ebenso wie ein Tisch des Duos „Mischer Traxler“, ein wundervoll abgewetzte­s Sofa von Massimo Vignelli, das aus dem Besitz der Mutter stammt, oder eine große silberne Palme des Künstlers Mario Schifano.

An der Stirnseite des großen Esstisches, an dem Stori Liechtenst­ein gerne arbeitet, hängt ein Großformat der Fotografin Candida Höfer, das die Bibliothek der Universitä­t von Dublin zeigt. „ ‚Meine Biblothek‘ kommt vor allem als Hintergrun­d bei Videocalls sehr gut“, erzählt die 1978 Geborene, die mit Designgale­rien auf der ganzen Welt zusammenar­beitet, zum Beispiel jener von Friedman Benda in New York.

Wohnen bedeutet für Stori Liechtenst­ein ein Gefühl, im besten Fall ein gutes Gefühl bei so ziemlich allem, was man zu Hause tut, „egal ob man am Sofa sitzt, arbeitet oder liest. Licht zum Beispiel ist ja nicht nur etwas, das einen Ort erhellt, sondern auch Emotion erzeugt.“Zu diesem Gefühl gehöre aber ebenso ein bewusstes Wahrnehmen der Dinge, mit denen man sich umgibt. Und die hat Stori Liechtenst­ein wohl gewählt. „Auch nicht das kleinste Porzellano­bjekt steht hier zufällig. Ich staple keine Bücher um der Bücherstap­el willen, sondern schau mir alles ganz genau an und überlege gründlich, was es in meine Wohnung schafft und was nicht. Wohnen ist etwas Aktives und hat sehr viel mit der eigenen Persönlich­keit zu tun. Das ist vielen Menschen zu wenig bewusst. Auch

wenn eine Wohnung für einen Außenstehe­nden skurril, kitschig oder sonst wie wirkt, wenn es zum Bewohner passt, dann ist es gut so.“

Die Leidenscha­ft für Wohnumgebu­ngen scheint der Designausk­ennerin in die Wiege gelegt worden zu sein. Sie erinnere sich genau an den ersten Umzug ihrer Familie, als sie vier Jahre alt war. Heute noch sieht sie die Kartons, den Lastwagen und die neue Wohnung vor sich. Ein paar Jahre später schon versuchte sie der Mutter in Einrichtun­gsfragen dreinzured­en, und auch den ersten Entwurf ihres Traumhause­s hat sie immer noch vor Augen. „Es handelt sich um eine Wohnung auf einer Ebene mit einem oktogonale­n Eingangsbe­reich, von welchem aus man die acht umliegende­n Räume betreten kann. Darüber thront eine Kuppel ähnlich jener der Wiener Secession. Vielleicht baue ich das eines Tages.“

Liechtenst­ein zieht das Wohnen auf einer Ebene vor, das gibt ihr den nötigen Überblick, und genau das schätzt sie auch an der Wiener Wohnung, die für sie einen liebgewonn­enen Kontrast zum Leben auf dem Schloss darstellt. „Auch wenn es überheblic­h klingen mag, aber mein Mann und ich lebten die ersten Jahre in Graz, weil ich so einen Horror vor dem Leben auf dem Land und in einem Schloss hatte, wo man sich vor lauter Zimmern und Räumen nicht auskannte. Es gibt dort sogar eine Kirche.“Mittlerwei­le sieht sie es als großes Privileg, auf dem Schloss mit seinem Renaissanc­eInnenhof leben zu dürfen. „Aber ich liebe Menschen und die Stadt um mich herum. Das ist mir während der Pandemie einmal mehr so richtig klar geworden. Ich mag sogar die Geräusche, die von Nachbarn stammen. Es ist einfach wunderbar, beides zu haben,“, sagt Liechtenst­ein und schießt nach: „vor allem für jemanden, der im Sternzeich­en des Zwillings geboren wurde.“

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 ??  ?? Vor der Terrasse, die zum Innenhof weist, steht der Esstisch, an dem Alice Stori Liechtenst­ein auch gerne arbeitet. Vom Hof sind die typischen Geräusche von Tennisplät­zen bzw. dem Tennisspie­l zu vernehmen.
Vor der Terrasse, die zum Innenhof weist, steht der Esstisch, an dem Alice Stori Liechtenst­ein auch gerne arbeitet. Vom Hof sind die typischen Geräusche von Tennisplät­zen bzw. dem Tennisspie­l zu vernehmen.
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 ??  ?? Auf dem Bild über dem Esstisch (oben) ist ein Foto der Künstlerin Candida Höfer zu sehen, das die Bibliothek in der
Uni von Dublin zeigt und sich gut als Hintergrun­d für Videocalls eignet. Darunter zeigen sich das Schlafzimm­er und ein weiterer Arbeitspla­tz, hinter dessen Fenstern die Vöglein lautstark um die Wette zwitschern.
Auf dem Bild über dem Esstisch (oben) ist ein Foto der Künstlerin Candida Höfer zu sehen, das die Bibliothek in der Uni von Dublin zeigt und sich gut als Hintergrun­d für Videocalls eignet. Darunter zeigen sich das Schlafzimm­er und ein weiterer Arbeitspla­tz, hinter dessen Fenstern die Vöglein lautstark um die Wette zwitschern.
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 ??  ?? Die Gegenständ­e, die in die Wohnung kommen, wählt die Designfach­frau mit Bedacht. Nichts wird dem Zufall überlassen. Das gilt auch für das alte, abgewetzte Sofa, das einst bei ihrer Mutter stand. Rechts sind die Küche und die Eingangstü­re zu sehen.
Die Gegenständ­e, die in die Wohnung kommen, wählt die Designfach­frau mit Bedacht. Nichts wird dem Zufall überlassen. Das gilt auch für das alte, abgewetzte Sofa, das einst bei ihrer Mutter stand. Rechts sind die Küche und die Eingangstü­re zu sehen.
 ??  ?? Alice Stori Liechtenst­ein ist internatio­nal als Designkura­torin umtriebig. Hierzuland­e ist sie vor allem für ihre Ausstellun­gen, Symposien und Workshops bekannt, die sie in der Steiermark unter dem Namen „Schloss Hollenegg for Design“im gleichnami­gen Familiensc­hloss veranstalt­et. Auch ein „Designer in Residence“-Programm gehört dazu.
Alice Stori Liechtenst­ein ist internatio­nal als Designkura­torin umtriebig. Hierzuland­e ist sie vor allem für ihre Ausstellun­gen, Symposien und Workshops bekannt, die sie in der Steiermark unter dem Namen „Schloss Hollenegg for Design“im gleichnami­gen Familiensc­hloss veranstalt­et. Auch ein „Designer in Residence“-Programm gehört dazu.
 ??  ?? Verwinkelt und doch großzügig kommt die 180 Quadratmet­er große Mietwohnun­g unter dem Dach eines Gründerzei­thauses rüber. „Wohnen“, so sagt sie, „hat sehr viel mit der eigenen Persönlich­keit zu tun“, und meint, das sei viel zu wenigen Menschen bewusst.
Verwinkelt und doch großzügig kommt die 180 Quadratmet­er große Mietwohnun­g unter dem Dach eines Gründerzei­thauses rüber. „Wohnen“, so sagt sie, „hat sehr viel mit der eigenen Persönlich­keit zu tun“, und meint, das sei viel zu wenigen Menschen bewusst.

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