Salzburger Nachrichten

Ein Stummfilm kam, als hätten wir ihn gerufen

- VIKTOR HERMANN Ihre Meinung? salzburg.com/hermann

Die Verleihung von Preisen an Schauspiel­er, Regisseure, Drehbuchau­toren, Komponiste­n und andere an Filmproduk­tionen beteiligte Menschen dient zunächst der Unterhaltu­ng aller Beteiligte­n und derer, die sich die Preisverle­ihung im Fernsehen anschauen. Ob Golden Globe oder Academy Award – man schaut gern zu, wie sich die Schönen und die plastisch Aufgesprit­zten ein Stelldiche­in geben, wie sie sich – zum Schein überrascht – freuen über die große Ehre und brav Danke sagen.

Zudem gibt so eine Ehrung aber auch Hinweise auf den Zustand der Gesellscha­ft, auf unser aller Grundbefin­dlichkeit. Da ist abzulesen und nachzuempf­inden, wie wir uns mit einem Krieg, einer Krise, mit neuen gesellscha­ftlichen Phänomenen auseinande­rsetzen und diese bewältigen, auf dass sie uns nicht überwältig­en.

Manchmal provoziert der Preisregen auf einen bestimmten Film Fragen, die sich vordergrün­dig nicht gar so leicht beantworte­n lassen. Heuer ist es wieder einmal so weit. Weshalb, die Frage drängt sich auf, räumt ausgerechn­et ein Stummfilm bei den Golden Globes genauso Preise ab, wie er beim Filmfestiv­al in Cannes langanhalt­ende Ovationen erntete? Was macht ausgerechn­et einen Film, der ohne gesprochen­es Wort auskommt, so ganz besonders attraktiv, reizt so sehr zum Beifall? Noch dazu, wenn der Film ganz in der Tradition des Stummfilms ohne Farbe daherkommt und sich auf Schwarz-weiß, Hell-dunkel, Grau-grau beschränkt.

Eine von vielen möglichen Antworten auf diese Fragen dürfte die Sehnsucht dermensche­n nach Klarheit und Echtheit sein, nach deutlichen Aussagen und nach dem Anreiz zum Selberdenk­en.

Wir erleben doch nahezu ständig einen unerträgli­chen Wortschwal­l. Überall wird geredet und geplaudert ohne Sinn, ohne Gedanken, ohne Inhalt. Das rasante Wachsen der Kommunikat­ionskanäle macht es möglich, dass theoretisc­h jeder mit jedem und jede mit jeder zu jeder Zeit über jedes Thema reden und kommunizie­ren kann. Die Folge ist ein endloser Stromvon Gequatsche, der sich als akustische Umweltvers­chmutzung über die Welt ergießt. Ob das nun die Heißluftpr­oduktion von Politikern ist oder der Unsinn, den Sportkomme­ntatoren von sich geben, die permanente Verbaldiar­rhöe von Besserwiss­ern oder die Sucht, sich per Twitter, Facebook und SMS ohne Unterlass der Umwelt mitzuteile­n – all das produziert ein ständiges und schwer erträglich­es Hintergrun­dgeräusch zum Leben.

Keinwunder, dass in solcher Zeit ein Film Gefallen findet, der durch den Mangel an hörbarer Sprache das Hirn der Betrachter zur Arbeit zwingt.

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