Viktor Orban gesteht einige Fehler ein
Eu-parlament. Offene Debatte über die demokratischenwerte in der EU. Starke Rückendeckung Ungarns durch Konservative.
STRASSBURG (SN). Der ungarische Regierungschef Viktor Orban wählte nach der Einleitung von drei Vertragsverletzungsverfahren durch die Eu-kommission die Offensive. Und das Eu-parlament bot ihm am Mittwoch in Straßburg eine in dieser Form noch nie da gewesene Plattform, um sich mitten in der Höhle des Löwen zu verteidigen. Herausgekommen ist dabei eine Grundsatzdebatte über die Wahrung der Demokratie in der EU, die zwar von großer Polemik zwischen dem rechten und linken politischen Lager geprägt war. Dennoch war sie auch ein Beispiel dafür, wie künftig Gegensätze und Meinungsunterschiede in der EU offen im Miteinander ausgetragen werden können.
Die negativen Erfahrungen und die kontraproduktivewirkung der Sanktionspolitik gegen Österreich im Jahr 2000, als alle bilateralen Beziehungen abgebrochen worden waren, wirkt da bis heute als warnendes Beispiel nach.
Große Töne spuckte Orban nur im Vorfeld der Auseinanderset-
„Orban soll Vaclav Havel nacheifern.“
Hannes Swoboda,
Eu-parlamentarier zung mit den Abgeordneten in einem Interview mit der deutschen „Bild“-zeitung: „Wir werden uns der Macht beugen, nicht den Argumenten.“Im Plenum des Parlaments gab sich Ungarns Premier dann aber sehr zahm und zeigte seine Verhandlungsbereitschaft mit der Kommission über die Kritik an neuen Gesetzen, die nicht mit Eu-recht konform gehen und die Unabhängigkeit der Zentralbank, der Justiz und der Datenschutzbehörde gefährden.
Danach verfolgte Orban relativ entspannt die Debatte, in der ihn die Vertreter der Europäischen Volkspartei vehement verteidigten. Eu-vizepräsident Othmar Karas (EVP) hatte im Sn-interview unmittelbar vor der Auseinandersetzung noch gesagt, er erwarte, dass Ungarn eins zu eins die Auflagen der Eu-kommission erfüllt. Der Deal mit Viktor Orban, nach wie vor Vizepräsident der EVP, dürfte gewesen sein: Der ungarische Regierungschef lenkt ein, dafür stellt sich die Fraktion auf offener Bühne hinter ihn.
Eu-kommissionspräsident José Manuel Barroso, ebenfalls ein Konservativer, stellte eingangs aber unmissverständlich klar: Die Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn seien heikel, aber wenn es um diewerte und Grundsätze der EU gehe, müsse man konsequent sein. Barroso wies erneut darauf hin, dass er auch auf die Bedenken der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds hin noch vor der Verabschiedung der beanstandeten Gesetze Orban in Briefen gebeten habe, die Einwände ernst zu nehmen. Vergeblich.
356 Gesetze beschlossen
Am Mittwoch rief Barroso seinen Parteifreund erneut auf, im gesamteuropäischen Interesse die entsprechenden Gesetze zu ändern. Dazu scheint Orban nach seinem Auftritt auch bereit zu sein. Der Regierungschef relativierte die Verletzung von EURecht mit dem Hinweis darauf, dass seine mit Zwei-drittel-mehrheit agierende Partei bisher 356 Gesetze verabschiedet habe. Die Umgestaltung Ungarns sei auf der Basis europäischer Werte erfolgt. Bei einem so hohen Reformtempo gebe es natürlich Streitfragen.
In seiner ersten wichtigen Rede als neuer Fraktionschef der Sozialdemokraten holte Hannes Swoboda (SPÖ) kräftig aus. Viele einstige Mitstreiter Orbans im Kampf gegen den Kommunismus seien heute betroffen von den ungarischen Gesetzen, weil die Freiheit stückweise zurückgenommen werde. Ungarns Regierungschef solle sich ein Beispiel am ehemaligen tschechischen Präsidenten Vaclav Havel nehmen, der immer gegen den Kommunismus, aber auch für die Freiheit gekämpft habe. Und: „Zwischen Havel und Orban liegen Welten.“
Sozialdemokraten, Liberale und Grüne sind im Eu-parlament auch dafür, ein Verfahren nach Artikel 7 des Eu-vertrags einzuleiten, weil aufgrund vieler bisher noch gar nicht angesprochener Kritikpunkte die europäischen Werte gefährdet seien. Das könnte nicht nur zu Klagen beim Europäischen Gerichtshof, sondern auch zur Suspendierung von Rechten eines Mitgliedsstaates in der Europäischen Union führen.